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Am Busen des Bösen. Räuberhauptmannstochter Fiorella (Steffi Lehmann) nimmt sich Florian Anderer und Bastian Reiber zur Brust. Foto: Jörg Landsberg

© Jörg Landsberg

Herbert Fritsch inszeniert Jacques Offenbach: Der Bremer Spaßmusikant

An der Berliner Volksbühne war und ist er der Scherzbold vom Dienst. Nun hat Herbert Fritsch die Operette entdeckt und inszeniert in Bremen Jacques Offenbachs "Banditen". Die Sänger treibt er dabei lustvoll an Schmerzgrenzen - und das Publikum sowieso.

War das jetzt der zwingende nächste Schritt? Musste nach all den Komödien, die Herbert Fritsch in den vergangenen Jahren inszeniert hat, nun die Operette kommen? Konnte der auf die Spitze getriebenen Sinnfreiheit der Ein-Wort-Revue „Murmel, Murmel“ an der Berliner Volksbühne nur mehr der gesamtkunstwerkliche Wahnsinn des Musiktheaters folgen? Musiziert wird ja fast immer in den Fritsch-Frivolitäten – jetzt aber, im Bremer Theater, sind professionelle Opernsänger engagiert, sitzt ein ganzes Orchester im Graben.

Die Sache ist ein Wagnis. Partituren zeigen sich ungemein hartleibig gegen das Bedürfnis, ganz frei mit Ton und Tempi umzugehen, wie es für Herbert Fritschs krachlederne Regiekunst so typisch ist. Im Schauspiel kann er zudem darauf setzen, dass die Darsteller ihm „was anbieten“. Sänger dagegen wollen geführt werden. Sie haben zwar – im Gegensatz zu den Sprechtheaterkollegen – am ersten Probentag ihre Partien komplett drauf, aber eben nur musikalisch. Sie können jede Note auswendig und wollen sich am liebsten auch ganz auf die Musik konzentrieren. Bei Fritsch dagegen blödeln die Darsteller normalerweise nicht nur, bis die Schwarte kracht, sondern sind auch mit Ganzkörpereinsatz dabei, hechten sich so tollkühn über Balustraden und Bühnenbrüstungen, dass schon vor der Premiere öfter mal ein Knochen bricht.

In den Proben redet Fritsch gern vom Fußball, animiert seine Spieler, dass sie losstürmen, die Pointe reinmachen sollen. Aber ohne das Teamplay zu vergessen, bei dem man auch mal anderen eine Vorlage liefert. Als bekannt wurde, dass der Jürgen Klopp des Staatstheaters in Bremen mit Jacques Offenbachs „Banditen“ im Musiktheaterfach debütieren wolle, stand sofort die Frage im Raum: Wie reagiert so ein Spitzentrainer darauf, wenn er es plötzlich mit einem Manager und einem Klub-Präsidenten zu tun bekommt, also wenn da auch ein Komponist und ein Dirigent ihre Rechte einfordern? Würde er andere Götter neben sich dulden?

Er hat sie – was für ein genial-perfider Trick! – einfach eingemeindet in seinen Klub der Deppen, Dödel und Dauerhanswürste. Wenn Titus Engel den Taktstock zur Ouvertüre hebt, sieht er mit seinem zerstrubbelten Haarkranz den einschlägigen Offenbach-Karikaturen schon sehr ähnlich. Im Lauf des Abends wird er dann nicht nur aus dem Orchestergraben hechten, um auf der Bühne einen besonders wüsten Chaoschor zu dirigieren, sondern sich auch von Bastian Reiber niederschlagen und am Pult ersetzen lassen. Reiber ist ein Fritsch-Vertrauter, den sich der Regisseur als Spaß- und Spielmacher nach Bremen mitgebracht hat, ebenso wie Florian Anderer. Beide haben auf dem Papier nur Nebenrollen, spielen sich mit routiniertem Fratzenschneiden, Gegen-Wände-Rennen und In-Gruben-Fallen aber mächtig in den Vordergrund. Natürlich bringen sie keinen geraden Ton heraus, dürfen aber beide in jeder Ensemblenummer mitgrölen.

Gespielt wird eine musikalische Bearbeitung von Tobias Schwencke. Die ist recht intelligent gemacht, beraubt Offenbach aber nicht nur seiner großstädtischen Eleganz, sondern auch seines hintersinnigen Humors. Rumpelmusik ist das hier, mit vielen hinzukomponierten Dissonanzen, mal klingen die 16 Musiker wie eine beschwipste Tangokapelle, dann wie eine Bigband. Die Bettlerszene wird zum Blues, unplugged auf der Gitarre begleitet. Erstaunlich immerhin, wie begeistert die Bremer Ensemblemitglieder sich auf Fritschs Veralberungstechnik einlassen: Steffi Lehmann und Nadine Lehner bewahren dabei stimmlich stets die Contenance, während Hubert Wild als Räuberhauptmann Falsacappa vokal derart ausrastet, dass man um die Zukunft seines Baritons fürchtet.

Weil hier alle wie bekloppt spielen, weil jede Handlung egal ist, geht der Biss der Offenbach’schen Sozialsatire flöten. Und weil ohne Unterlass uriniert, kopuliert und kujoniert wird, stellt sich bald Leerlauf ein. Sollte der stets auch als eigener Bühnenbildner auftretende Herbert Fritsch gar ein antipodischer Geistesbruder von Robert Wilson sein? Einer, der seine Masche gefunden hat und sie nun jedem Stück überstülpt, was mal genial zündet („Die (s)panische Fliege“!), ebenso oft aber radikal den Kern des Stückes verfehlt? Dramaturgisch ist das Fritsch-Theater Rammler-Sex: pubertär und nicht für alle befriedigend. Mit bangem Herzen denkt man daran, dass er 2014 an der Komischen Oper Mozarts „Don Giovanni“ inszenieren soll.

Der dreistündige Abend neigt sich mittlerweile seinem Ende zu – und natürlich wird die Schlusspointe totgeritten, in diesem Fall jener Ohrwurm, mit dem die Banditen ihre verbeamteten Verfolger verhöhnen. Die Stiefel, sie trappen und trappen und trappen und trappen, gesungen, geröhrt wird aus allen Kehlen, durch Tröten gequetscht. In endloser Polonaise marschiert die ganze vermaledeite Bande über den Steg rund um den Orchestergraben, unermüdlich in Feierlaune. Und nervtötend. War das wirklich so gemeint? Ist das Offenbach? Nein, Bremen.

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