Die frustrierten Erben in Giacomo Puccinis "Gianni Schicchi"

Foto: Theater an der Wien

Wien - Was immer man im sommerlichen Salzburg über Puccinis Festspielhaus-Bohème (mit Anna Netrebko) gedacht haben mag - die Fähigkeit von Regisseur Damiano Michieletto, Figuren zu Personen mit glaubhafter seelischer Innenausstattung zu formen, stand außer Zweifel. Der langsam zum Szeneliebling mutierende Vertreter des nirgends wirklich aneckenden, jedoch nicht unoriginellen Regie-Mainstreams (nächstes Jahr setzt er in Salzburg Verdis Falstaff um) hat mit dieser seiner Gabe ein Ass im Ärmel, das ihn ohne Absturzgefahr jede Situation meistern lässt.

Animiert ein Werk - wie etwa Gianni Schicchi - mit tumultösen Verzweiflungsekstasen enterbter Verwandter, braucht Michieletto quasi nur effektvoll einen Opernelfmeter zu verwerten, indem er Makabres mit Slapstickartigem mixt. So muss der leblos im Bett liegende Enterber Buoso (Rudolf Karasek) auch als Leiche noch einige Prügel ertragen. Und das Tempo dieser szenischen Figurenfuge weicht der Verinnerlichung nur in jenem kurzen Arienaugenblick, da Lauretta ihr O mio babbino caro haucht (sehr respektabel Ekaterina Sadovnikova).

Das szenische Furioso findet in einer recht grell tapezierten mehrstöckigen Wohnlandschaft statt, die nach den ersten beiden Teilen von Il trittico zu einer stimmungsaufhellenden Überraschung mutiert. Nicht nur inhaltlich, auch räumlich ist ja zuvor bei Il tabarro und bei Suor Angelica Nüchternheit am Platz. Das Schiffscontainer-Bühnenbild, das den Beginn markiert, wird zum Schauplatz einer Trostlosigkeit, die für Michele (routiniert, auch später als Gianni Schicchi: Roberto Frontali) und Giorgetta (sehr intensiv Patricia Racette später auch als Suor Angelica) eine beziehungstechnische ist. Wie eine Schockmauer steht der Tod ihres Kindes zwischen dem Pärchen.

Leerer Kinderwagen

Giorgetta findet denn auch keinen Zugang zum abweisend-aggressiven Michele, der sich eine eigene Realität bastelt: Er schiebt einen leeren Kinderwagen vor sich her, trägt Kinderschuhe bei sich - wie Souvenirs aus einer fernen Vaterzeit, die er herbeizusimulieren trachtet.

Auch bei Suor Angelica geht es dann letztlich um Verlust. Und hier gelingt der Regie ein elegantes Herübergleiten von einer zur anderen Oper: Aus der verzweifelten Giorgetta (ihr Liebhaber Luigi, von Maxim Aksenov profund dargestellt, wird ermordet) wird die gläubige Angelica, der in einer Art Haftanstalt zur Bestrafung die Haare geschnitten werden. Angelica ist an diesem Ort, da sie ihre Familie wegen eines unehelichen Kindes verbannt hat.

Als ihr die (hier falsche) Nachricht vom Tod ihres Kindes übermittelt wird, lässt Regisseur Michieletto auch Angelica wie zuvor Michele in eine Fantasiewelt abdriften. Da entkleiden sich Kinder bis zur Unterwäsche, und Angelica "bastelt" sich daraus einen Bauch. Und wirkt da manches bisweilen etwas aufgesetzt, so ist es Michieletto doch gelungen, die ersten beiden Teile thematisch elegant zu binden. Bis eben bei Gianni Schicchi die finale Komödie mit einem guten Sängerensemble losbricht.

Dirigent Rani Calderon (für Kirill Petrenko eingesprungen) verzichtet konzentriert auf billige Effekte. Mit Umsicht animiert er das RSO Wien zur Ausgewogenheit, wodurch weder die süffigen Aspekte dieser Musik unterschlagen werden - noch die dramaturgischen und orchesterfarbliche Ansinnen von Puccini. Schließlich Applaus für alle.   (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 12.10.2012)