Theater an der Wien: Suche nach verlorenem Selbst

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Im Theater an der Wien deutet Claus Guth Monteverdis "Ritorno d'Ulisse in patria" als Psychogramm eines traumatisierten Kriegsheimkehrers.

Ein Bogen ist ein Bogen ist ein Bogen. Obwohl Penelope hier selbstverständlich nicht in einem antiken Palast auf ihren Mann wartet, sondern das Werk irgendwann im 20. Jahrhundert spielt, in einem der großbürgerlich-konservativen Ambiente nämlich, die der Ausstatter Christian Schmidt so gern ersinnt, bleibt die Waffe sie selbst. Odysseus' Bogen zu spannen ist ja jene Aufgabe, mit der sich die Freier Penelopes würdig erweisen sollen und die doch nur der rechtmäßige Gatte erfüllen kann. Klaus Guth ersetzt sie nicht etwa durch den Umgang mit einem Maschinengewehr, was sich nahtlos in seine Inszenierung eingefügt hätte. Das korrekte Symbol in seiner Ambivalenz zwischen Kriegsgerät und Liebesgott-Utensil war ihm an dieser Stelle offensichtlich wichtig – auch wenn er es im nächsten Moment schon fallen lässt und Odysseus seine Konkurrenten nicht mit Pfeil und Bogen erschießt, sondern im Blutrausch, in dem seine Vergangenheit nochmals in aller Brutalität hervorbricht, mit der Pistole abknallt.

Letzten Dezember hatte am Theater an der Wien „L'Orfeo“ Premiere: Auftakt einer Monteverdi-Trilogie aus Guths Sicht. Schon da wurden symbolträchtige Elemente ganz aufgegeben oder bloß ein Stück weit zitiert, die Götter nur als Projektionen der Titelfigur gedeutet. Ließ Guth Orfeo einen eindrucksvoll quälenden Akt lang in den Tod gehen, setzt er bei „Il ritorno d'Ulisse in patria“ seine psychologisierende Deutungsweise fort, indem Odysseus/Ulisse lange Zeit nicht ins Leben zurückfindet: Körperlich ist der Kriegsheimkehrer längst da, seelisch aber in seinen Traumata gefangen. Keine schlechte Idee, auch wenn sie letztlich nicht so recht zündet und die einhellig bejubelte, behutsame Innenschau insgesamt eher im Gediegenen verharrt. Immerhin steuern Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset passenderweise vorwiegend feinfühlige, zwar nicht direkt karge, aber doch zart dimensionierte Klänge bei, die zum genaueren Hinhören zwingen. Nirgends motzt Rousset den ja ohne Angaben zur Instrumentation überlieferten Notentext knallig auf, beschränkt sich auf eine kleine Besetzung, wie sie vermutlich auch 1641 in Venedig nur zur Verfügung stand, und markiert bloß die wenigen Götterszenen mit schnarrenden Regal- oder mild glänzenden Bläserfarben.


Intimer Tonfall. Das Ensemble, das Guths Konzept überzeugend verwirklicht, orientiert sich auch vokal weitgehend an diesem intimen Tonfall: zuvörderst Garry Magee als traumverlorener Ulisse mit ausdrucksvoll-wendigem Bariton, aber auch Delphine Galou, die der Penelope eine nuanciert schmerzensvolle, leicht herbe sängerische Gestalt verleiht. Ein immer noch junges Paar, das sich am Ende, wenn Ulisse symbolhaft seinen Kampfanzug verbrennt, wirklich wieder gefunden hat. Willkommene Abwechslung auf dem meist trist anmutenden Weg dahin bieten inmitten einer guten Besetzung etwa Marcel Beekman als blitzsauber und fokussiert singender, schrulliger Eumete sowie Jörg Schneider als zuletzt publikumswirksam heulender, parasitärer Proto-Falstaff namens Iro; Rupert Enticknap macht als L'Umana fragilità und Pisandro mit feinem Countertenor auf sich aufmerksam, Phillip Ens orgelt eindrucksvoll als Il Tempo und zürnender Nettuno.

Nicht unähnlich dem Bühnenbild dreht sich auch Guth in seinen Arbeiten immer wieder um sich selbst, zeigt (innere) Räume, die einander trotz subtiler Änderungen stark ähneln. Gerinnt sein Personalstil langsam zur Routine? Sei's drum. Mag „L'Orfeo“ musikalisch konziser und die (noch ausstehende) „Poppea“ durch den Sieg der Unmoral moderner wirken, so ist auch in dieser Realisation die Größe des „Ulisse“ zu fühlen.
Bis 17. 9., 19h. Karten: 01/588 85

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2012)

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