Rodrigo (Gregory Kunde, li.) und Giacomo (Luciano Botelho) mit Elena (Malena Ernman). 

Foto: Rittershaus

Wien - Auf die Inspiration durch Lars von Triers Film Breaking the Waves hat Regisseur Christof Loy hingewiesen. Und tatsächlich ist diese schüchterne Elena, die anfangs vergeblich versucht, bei einer Chorprobe (in einem kleinen Theater) Teil des singenden Kollektivs zu werden, gewandet wie jene Bess McNeill, die ihr querschnittgelähmter Gatte auffordert, ihre sexuellen Bedürfnisse außer Haus zu stillen.

Doch grauer Bess-Mantel hin, graue Mütze und blauer Schal her - im Gegensatz zu von Triers Figur hat Rossinis Elena bei Loy den Weg zur Ehe noch vor sich. Mehr noch: Ihr steht der steinige Pfad zu sich selbst bevor; Loy schickt Elena als Pippi-Langstrumpf-artiges, verträumtes (oder halluzinierendes) Wesen auf Identitätsreise.

Neben gruselig-poetischen Situationen wurde zu diesem Zweck auch eine raffiniert eingefädelte Persönlichkeitsabspaltung (also Verdopplung Elenas) ersonnen. So erscheint der Elena verehrende Malcom (ausgewogenste vokale Leistung des Abends: Varduhi Abrahamyan) in heiklen Momenten als eine Art beratendes und zu befragendes Alter Ego, das auch gleich kostümiert ist wie Elena.

Als Fantasiegeschöpf kann dieser Malcom bei Loy allerdings als überraschender Gestaltwandler noch mehr: Er erscheint auch im Schottenrock, wie ihn jener Herr Rodrigo trägt, dem Elenas Vater Douglas (solide Maurizio Muraro) seine Tochter versprochen hat. Das macht bei einem Dorffest surreale Effekte und bleibt gleichzeitig eine konsequente Variation über den ins leicht Psychotische abhebenden Charakter Elenas, den der väterliche Wunsch nach einer profitablen Vernunftehe in Seelennöte stürzt.

Nicht unwillig, sich (durch Heirat) der Gesellschaft zu fügen, zieht es sie ja seit einer zufälligen Begegnung zu dem geheimnisvollen Giacomo (klangschön, jedoch die Schwere der Partie durchaus vermittelnd: Luciano Botelho), der sich bei Rossini als König entpuppt und mit dem bei Loy (für Elena) schließlich ein eher konventionelles Ehe-Happy-End möglich wird.

Vieldeutige Szenen

Dass es bei Rossini auch um einen politischen Konflikt zwischen herrschendem König und Umstürzlern geht, spielt bei Loy keine Rolle. Ihm geht es um die Psychologie der Selbstfindung einer Frau im Rahmen eines engen Milieus. Mit durchaus vieldeutigen Ergebnissen letztlich: Bleibt denn auch - bei dieser Kooperation mit dem Grand Théâtre de Genève - manches eher rätselhaft, so fasziniert, wie konsequent und subtil Loy an die Figuren herangeht. Präzise werden Opernschablonen zu facettenreichen Charakteren; alles wird zu einem intensiven Kammerspiel kleinster Theaterregungen gebündelt, bei denen auch Koloraturen zu Trägern seelischer Botschaften geraten.

Auch von solchen voll opernhafter Komik: Wie Malena Ernman (als intensive, stimmlich etwas reife, aber immer glaubwürdige Elena) gewisse Intervalle slapstickartig auflädt und die eine oder andere Note pointiert-ironisch einfärbt - das war von delikatem Charme, wie auch jenes übertrieben heldische Gehabe von Gregory Kunde (als Hochtöne exaltiert schmetternde Rodrigo-Karikatur).

Akustische Ohrfeige

Im Orchestergraben tat sich unter der Leitung von Dirigent Leo Hussain durchaus Prägnantes. Hätte der Maestro das Radio-Symphonieorchester Wien an lauteren Tuttistellen nicht zur akustischen Ohrfeige geformt, hätte man von einem gänzlich vital-ausgewogenen Dirigat sprechen können. Das Auditorium hatte bei Sängern und auch Dirigent nur Lob zu verteilen; Regisseur Christof Loy hingegen musste einen heftigen Kampf zwischen Bravos und Buhs erleiden. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 13.8.2012)