Salzburger Festspiele: Diese "Zauberflöte" ruckelt

Salzburger Festspiele Diese Zauberfloete
Salzburger Festspiele Diese ZauberfloeteAPA-FOTO: BARBARA GINDL
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Erstmals musiziert der Concentus musicus eine Mozart-Oper in der Felsenreitschule. Damit hat Nikolaus Harnoncourt die Möglichkeit, ohne passive Orchester-Resistenz sein Mozartbild zu verwirklichen. Es hat, anders als die lahme Regie Jens Daniel Herzogs, Methode.

Mancher Musikfreund hat die eigenwillige Melange aus Faszination und Renitenz noch in Erinnerung, mit der die Philharmoniker einst den ungewohnten Tempovorgaben Nikolaus Harnoncourts bei dessen Staatsopern-„Zauberflöten"-Einstudierung folgten. Oder eben nicht folgten.

Herzrhythmusstörungen

Längst haben sich die Musiker mit dem Originalklang-Apostel angefreundet. Doch für seine Salzburger Produktion von Mozarts Spätwerk wollte Harnoncourt offenbar jedes Risiko ausschalten. Also sitzt erstmals sein Concentus musicus für eine Mozart-Oper im Festspiel-Orchestergraben. Er realisiert auf Punkt und Komma, was Harnoncourt vorgibt. Also klingt die „Zauberflöte" völlig anders als gewohnt. Wo traditionsgemäß langsam gespielt wird, geht es rasch vorwärts - und umgekehrt. Vor allem aber: Nicht einmal darauf ist Verlass.
Die Diskussion um den Pulsschlag von Paminas g-Moll-Arie wird diesmal sozusagen live geführt. Die Musiker sind die Diskutanten, beginnen etwa im doppelten Tempo, um ein paar Takte später ins gewohnte Trauermarsch-Andante zurückzufallen. Es ist, als wollte Harnoncourt das Auf und Ab der Gezeiten beschwören. Nicht in einer einzigen Nummer „steht" das Tempo. Immer wieder kommt die Bewegung ins Stocken, Pausen treten ein - nicht nur am Beginn des Duetts zwischen Pamina und Papageno, wo die berüchtigten Bläserakkorde nach dem Streicher-Auftakt natürlich fehlen.

Sie stehen ja auch nicht in Mozarts Partitur. So wenig wie die fortwährenden Temporückungen, deren Sinnhaftigkeit nur erkennt, wer weiß, was Harnoncourt weiß - andernfalls er Gefahr läuft, entdecken zu müssen, dass Seekrankheit auch akustische Auslöser haben kann.
Salzburgs Festspielpublikum hat keine Mühe, sich da dreinzufinden und jubelt über die musikalische Neudeutung einhellig. Es genießt wohl auch die oft betörend schönen Farbeffekte, die das Original-Instrumentarium bietet. Warum die Holzbläser Holzbläser heißen, erfährt man etwa bei den wunderbar weichen Flötensoli. Und beim Einsatz eines ganz speziellen Piccolos in Monostatos' Arie. Der „böse Mohr" heißt diesmal übrigens, wie in der Partitur, aus altgriechisch-sprachlichem Kalkül Manostatos . . .
Im Übrigen nimmt es Regisseur Jens-Daniel Herzog mit der Texttreue nicht so genau. Er verortet Sarastros Reich abwechselnd in einem Pensionat, dann wieder in einer psychiatrischen Anstalt samt Assoziationen zu Freuds Traumdeutung. All das bleibt zusammenhangloses Bilderwerk - ohne jeglichen Anflug von Humor.

Dass der Bezug zum Volkstheater völlig ausgeblendet bleibt, schadet vor allem den Papageno-Szenen. Da nützt es wenig, dass Markus Werba den Wiener Dialekt beherrscht. Er darf ihn nur sporadisch anwenden. Sein Spiel muss so distanziert bleiben wie das der übrigen Handelnden. Was an Theater-Effekten geboten wird, bleibt aufgesetzt, wie mit dem Holzhammer auf die Geschichte draufgeklopft. Vor allem wird jeder Witz nur angefangen: Dass die drei Damen dem Vogelhändler kein Schloss vor den Mund stecken, sondern ihm die Zähne einschlagen, mag für eine Mainzer Karnevals-Version der „Zauberflöte" dezent genug sein. Wann aber soll der „dreimalige Akkord" das Signal zur Lachsalve geben? Wie der Arme seine Sprache wiedergewinnt, bleibt unklar. Er bekommt sein Gebiss nicht wieder. Nicht einmal ein falsches.

Sichtbar wird: Der mächtige „Sonnenkreis" ist eine Art "Hirnschrittmacher", den Sarastro um den Hals trägt und der via Verkabelung mit seinem Kopf verbunden ist. Auch Papagena (Elisabeth Schwarz) funktioniert in diesem Klinikum per Fernsteuerung. Allein, die Wirkung des Zauberkästchens, das die Königin der Nacht so dringend zurückbekommen möchte, scheint lediglich eingebildeter Natur zu sein. Zuletzt schwingen Tamino und Pamina das Ding als exotische Babyrassel über den Kinderwägen, mit denen sie und das Vogelhändler-Pärchen sich aus dem Staub machen, während Sarastro und die Königin einander einen Ringkampf liefern.

Stadttheater-Format

So ratlos ist schon lange kein Regie-Team den Geheimnissen der „Zauberflöte" gegenüber gestanden. Ratlosigkeit herrscht bei manchem Betrachter auch ob der Besetzungspolitik der neuen Salzburger Festspiel-Führung. Die inhomogene Sänger-Liste weckt Erinnerungen an die schlimmsten Jahre der Ära Mortier, wo musikalische Fragen prinzipiell letzte Priorität zu haben schienen. Stadttheater-Niveau darf man dieser Festspiel-„Zauberflöte" von 2012 mehrheitlich zusprechen. Wobei die wie Walküren brüllenden drei Damen oder der mehrheitlich sprechende Monostatos von Rudolf Schasching (der allerdings eindrucksvoll-brutale Figur macht) Extremwerte markieren.

Zwischendrin etwa ein schön singender, ungewohnt schlankstimmiger Sarastro (Georg Zeppenfeld), eine makellos phrasierende Pamina (Julia Kleiter, der Lichtblick des Abends), ein in der Höhe unedelmetallisch gefärbter Tamino (Bernard Richter) und Mandy Fredrich, die über die Koloraturen der Königin offenbar schon hinaus ist . . .

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