Mozarts «Zauberflöte» mit Nikolaus Harnoncourt als Eröffnungspremiere in Salzburg

Zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2012, der ersten Ausgabe unter der Leitung von Alexander Pereira, gab es Mozarts «Zauberflöte». Die Aufmerksamkeit galt Nikolaus Harnoncourt, der am Pult des Concentus Musicus Wien stand.

Peter Hagmann
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Auch wenn Papageno motorisiert antritt – zukunftsträchtig wirkt die Inszenierung nicht. (Bild: Monika Rittershaus)

Auch wenn Papageno motorisiert antritt – zukunftsträchtig wirkt die Inszenierung nicht. (Bild: Monika Rittershaus)

Nichts gegen die «Zauberflöte». Auch nichts gegen die «Zauberflöte» als Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele – wenigstens dann, wenn man ausblendet, dass in diesem Sommer, dem ersten des neuen Intendanten Alexander Pereira, Mozarts populäre Oper neben der populären «Carmen» und der populären «Bohème» zu stehen kommt. Und schon gar nichts gegen die «Zauberflöte» mit Nikolaus Harnoncourt; der ungebrochen neugierige wie streitbare Dirigent hat dem Werk schon vor einem Vierteljahrhundert interessante Perspektiven eröffnet – und hier hat er es nun zum ersten Mal mit dem Concentus Musicus Wien erarbeitet, seinem vor nunmehr bald sechzig Jahren gegründeten Ensemble für alte Musik. Allein, genau da liegt das Problem: Die «Zauberflöte» mit alten Instrumenten (oder entsprechenden Nachbauten) in der Salzburger Felsenreitschule – das geht nicht auf.

Musikalisch komplex

Für diese Art der Besetzung ist die Felsenreitschule ganz einfach zu gross – genau gleich wie das Grosse Festspielhaus, in dem der Concentus mit Harnoncourt 1993 bei Monteverdis «Poppea» untergegangen ist. Dass man die Ohren wahrhaft spitzen musste, um all der Feinheiten habhaft zu werden, die Harnoncourt in dieser Partitur entdeckt hat (und es kommen bei jeder Beschäftigung mit dem Werk neue dazu), dagegen wäre nichts einzuwenden. Sehr zu bedauern ist dagegen, dass sich diese Zeichnung mit dem Silberstift im Raum zu verlieren schien, dass die Fülle an interpretatorischen Anregungen ihre Wirkung nur bedingt entfalten konnte. Vor allem im zweiten Akt – das ausführliche Prüfungsritual, das sich dort abspielt, stellt jede Realisierung auf die Probe – liess die Spannung merklich nach, wovon nicht zuletzt der erhöhte Geräuschpegel im Publikum zeugte.

Mag sein, dass das auch mit dem langsamen Grundtempo zu tun hat, das Harnoncourt inzwischen pflegt; es ist, als ob er sich und uns allen Zeit geben möchte, den Dingen nachzulauschen und hörend auf den Grund zu gehen. Sich zum Beispiel umzutun in dem vielgestaltigen, auch ausdrucksreichen Netz an Beziehungen zwischen den einzelnen Tempi – und da gibt es so manche Überraschung. Etwa beim Duett «Schnelle Füsse» im ersten Akt, das Harnoncourt, und er nennt gute Gründe dafür, deutlich langsamer nimmt als gewohnt. Oder umgekehrt bei der Arie der verzweifelten Pamina im zweiten Akt, die hier merklich flüssiger daherkommt als anderswo, wofür sich der Dirigent auf zeitgenössische Berichte von der Uraufführung der «Zauberflöte» beruft.

Manches davon geht auf jene Aufführung der «Zauberflöte» zurück, die Harnoncourt 1986 im Rahmen des von Claus Helmut Drese initiierten Mozart-Zyklus am Opernhaus Zürich dirigiert hat. Zum Beispiel der korrekt als Sechzehntel und nicht als Achtel genommene Vorschlag vor dem zweiten Akkord der Ouvertüre – damals war das neu, heute versteht es sich von selber. Oder der auffällige Eingang, mit dem er Papageno in seine Auftrittsarie einsteigen lässt, aber auch, in der Bildnisarie des Tamino, die kleine Fermate auf dem Spitzenton des Beginns und dann, sozusagen zum Ausgleich und in Anlehnung an den Sprachduktus, die darauf folgende Beschleunigung – Klangrede, wie sie inzwischen Allgemeingut ist. Heute stellt die «Zauberflöte» auf alten Instrumenten keine Besonderheit mehr dar; es gibt diverse Aufnahmen, eine interessanter als die andere. Ohne die Anstösse, die von Harnoncourt ausgingen, existierten sie aber alle nicht – daran konnte man hier denken.

Auch bei den Sängern finden sich mittlerweile Stimmen, die mit schlankem Ton und sprechendem Artikulieren statt mit Dauerlegato arbeiten. So eindrücklich seinerzeit in Zürich Matti Salminen als Sarastro war – Georg Zeppenfeld, der diese Partie in Salzburg vortrefflich erfüllt, wirkt doch wesentlich entspannter, und so kann Harnoncourt die Hallen-Arie auch etwas schneller angehen als damals. Bernard Richter ist ein heller Tamino, der auf Drücker wie Schluchzer verzichten kann, und Julia Kleiter eine bei aller Diskretion der Linienführung äusserst wohlklingende Pamina. Lustig, aber arg klischeehaft der Papageno von Markus Werba, etwas zu nachdrücklich die Papagena von Elisabeth Schwarz, meist akkurat, aber doch nicht ausreichend beweglich die Königin der Nacht von Mandy Fredrich. Schlicht sensationell dagegen die drei ungenannten Tölzer Knaben, während Rudolf Schasching witzig wie stets einen flüsternden Monostatos abgibt. Manostatos heisst der Mohr hier übrigens, der Impotente – so hat ihn Mozart in der handschriftlichen Partitur genannt.

Szenisch simpel

Im Vergleich zu dem, was sich in der neuen Salzburger «Zauberflöte» musikalisch ereignet – bis hin zu der aufregenden Verbindung von Tempo und Artikulation oder den Schönheiten der Klangbildung –, fällt das Szenische besonders ab. Man muss die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in der Ausstattung von Mathis Neidhardt nicht an Ingmar Bergmans «Trollflöjten» von 1975 messen, auch nicht an dem unvergesslichen Traum-Zirkus, mit dem Achim Freyer 1997 die Felsenreitschule verzaubert hat, aber einfach diesen magischen Spielort mit seinen Arkaden zu verdoppeln und einige Gags beizufügen, bleibt doch zu bescheiden. Die heiligen Hallen sind ein Internat, in dem Gehirnwäsche an der Tagesordnung ist, und der Sonnenkreis ist ein blinkendes Kästchen, von dem ein Schlauch direkt zum Schädel Sarastros führt – ach, wie spannend. Die drei Knaben als drei welterfahrene Greislein – die Idee muss man erst haben. Das Ende aber, das Sarastro und die Königin der Nacht in einem handgreiflichen Zweikampf zeigt, es geht auf Harnoncourt zurück, der seit je der Meinung ist, beim edlen Sarastro stehe auch nicht alles zum Besten. Was das alles heissen mag, zeigt vielleicht «Das Labyrinth», eine zeitgenössische Fortsetzung der «Zauberflöte», die demnächst im Residenzhof zu sehen sein wird.