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Dietrich Henschel (in Unterwäsche) steht im Mittelpunkt einer Produktion mit einigen starken Bildern, aber viel szenischem und musikalischem Leerlauf: Detlev Glanerts Oper "Solaris" in Bregenz.

Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Bregenz - Immer wieder hebt sich der Vorhang während des Orchestervorspiels, gibt den Blick auf ein Ambiente frei, das schon vor 50 Jahren als futuristisch durchgegangen wäre. Und immer wieder geht der Vorhang zu, nachdem die leere Bühne von blauem oder rotem Licht bestrahlt wurde.

Wenn die Uraufführung von Detlev Glanerts Oper Solaris bereits bei den ersten Takten ein wenig unentschlossen wirkte, sollte sich am Ende der Eindruck festigen, es handle sich bei diesem Auftragswerk der Bregenzer Festspiele um einen merkwürdigen Zwitter, um den Versuch, es möglichst vielen recht zu machen.

Für die letzten Jahre seiner Intendanz hat David Pountney eine Opernuraufführung pro Sommer angekündigt, aber zugleich sichergestellt, dass dabei keine allzu avancierten Schocks stattfinden. Die Zeiten, in denen etwa ein Georg Friedrich Haas sein visionäres Musiktheater in Bregenz vorstellen konnte (Nacht, 1998, Die schöne Wunde, 2003), scheinen - zumindest vorerst - Geschichte.

Solaris erzählt zwar eine aufwühlende Geschichte mit einigem Verstörungspotenzial; immerhin geht es beim literarischen Vorbild, dem gleichnamigen Roman von Stanislaw Lem aus dem Jahr 1961, um eine Gesellschaft, deren Mitglieder jeglichen Halt verloren haben. Denn der Planet, auf dem sie gelandet sind, entwickelt nicht nur ein Eigenleben, sondern übernimmt die Herrschaft über ihre Fantasien, indem er sie " materialisiert" und als reale Wesen auftauchen lässt, die die handelnden Personen in den Wahnsinn oder Selbstmord treiben.

Unort und Bühnenillusion

Die Opernwelt im Festspielhaus ist demgegenüber gar zu intakt. In gerader Linie spult das Libretto von Reinhard Palm die Story ab, und die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier illustrieren sie ohne jeglichen Versuch, diesem Unort zwischen Klinik und Raumstation (Bühnenbild: Christian Fenouillat) weitere Bedeutung abzuringen, obwohl bei diesem Stoff gerade das auf der Hand liegen würde.

Nur am Schluss tun sie, was sie gerne tun: Sie lassen die Kulissen sich um die eigene Achse drehen und dabei ihr technisches Rückgrat sichtbar werden. Damit wird zwar die theatrale Illusion an und für sich zerstört, ob und was das mit dem konkreten Stück zu tun hat, bleibt aber fraglich.

Währenddessen singt der einsam zurückgebliebene Dietrich Henschel als Protagonist Kris Kelvin so etwas wie eine Arie, deren Text seine Hoffnungslosigkeit beschreibt. Doch ist es eher die Persönlichkeit des Sängers, welche mit grandioser Intensität die Verzweiflung dieser Figur verkörpert. Denn Glanerts Musik besteht hier aus harmlosen Kantilenen und sphärischen Orchesterklängen.

Anderswo bedient sie sich illustrativer Mittel, die für anspruchsvolle Filmmusik fast schon zu simpel wären. Da sie sich zumeist auf eindeutig tonalen Geleisen bewegt und hier mit einfachen Motivwiederholungen arbeitet, kann sie jede Dissonanz als Bedrohung deuten - um an den dramatischen Höhepunkten mit vollen, schrägen Orchesterakkorden auf die Pauke zu hauen.

Jazz und Possierlichkeit

Das unterstützt die Vorgänge auf der Bühne bis zu einem gewissen Grad mit manchem Effekt, setzt Lems Schreckensvisionen aber keine gleichwertige Spannung entgegen. Der bitterschwarze Humor des Romans mutiert bei Glanert zu schenkelklopfender Possierlichkeit und revuehafter Unterhaltung, an deren Höhepunkt Walkingbass und Drumset eine Jazzsphäre heraufbeschwören. Das milde oder gar vergnügte Lächeln des Publikums an dieser Stelle belegte, dass sie als Groteske oder Verzerrung jedenfalls nicht funktionierte. Insbesondere versucht die Musik dort komisch zu sein, wo Kelvins Forscherkollegen Snaut (Martin Koch) und Sartorius (Martin Winkler) ihre Ticks nach außen tragen.

Dass alle von wiederkehrenden Visionen befallen sind, führt zu unaufhörlich wiederholten Versatzstücken: Kelvin sieht seine verstorbene Frau Harey (Marie Arnet), Snaut seine Mutter (Christiane Oertel), Sartorius einen Zwerg (Mirka Wagner).

Obwohl die Regie für einige starke Bilder sorgt und von allen Beteiligten das Beste aus dem Werk gemacht wird - insbesondere auch von den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Markus Stenz -, bleiben konzeptuell zu viele Schwächen. Auch der Prager Philharmonische Chor, der den Planeten Solaris repräsentieren sollte, bekam ein gar zu freundliches Klanggesicht verpasst, um ihn auch nur irgendwie bedrohlich wirken zu lassen. Somit wurde weder szenisch noch musikalisch das Abgelegene des Sujets irgendwann greifbar. Von einem anderen Stern ist diese Opernnovität also wahrhaft nicht. (Daniel Ender, DER STANDARD, 20.7.2012)