„Carmen“, großes Spektakel

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Bei Regisseur Robert Herzl ist Bizets Heldin blond und entleibt sich selbst. Als Gesamtkunstwerk gefällt die Aufführung sehr.

Er ist nicht zu beneiden: der Intendant der Opernfestspiele von St. Margarethen. An der heurigen „Carmen“-Premiere konnte Wolfgang Werner, Inhaber einer Konzertagentur, der das Festival seit 16 Jahren leitet, aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen. Kritiker sind bei Freiluft-Aufführungen oft skeptisch. So hörte man schon allerhand im Vorfeld dieser Premiere: Die musikalische Qualität lässt im Freien häufig zu wünschen übrig, die Kommunikation zwischen dem Orchester, in Margarethen hinter der Bühne, und den Sängern funktioniere nicht wirklich, hieß es.

„Carmen“ gebe es überall, von Wien bis New York, auch in Margarethen wurde sie schon gespielt. Überhaupt: Wozu soll man sich im Sommer eine Oper, die man das ganze Jahr in erstklassiger Besetzung sehen kann, in Margarethen anschauen? Und sich die halbe Nacht um die Ohren schlagen, mit Politiker-Begrüßungen am Anfang, langer Pause in der Mitte und Feuerwerk am Schluss. Genau, warum? Immerhin: Bis zu 200.000 Besucher tun es alljährlich.

Robert Herzl, der Intendant des Badener Stadttheaters und ein erfahrener Musiktheater-Regisseur, inszenierte diese „Carmen“. Er lässt die Emotionen brodeln, träufelt aber auch Wermut drauf. „Carmen“ spielt hier im Spanischen Bürgerkrieg der 1930er-Jahre. Brutales Militär gegen Freiheitskämpfer, das kennt man, derzeit aus der arabischen Welt. Aber auch die bis heute bestehenden Spannungen zwischen den spanischen Volksgruppen werden spürbar. Zwischen dem konservativ-fundamentalistischen Basken Don José und dem nicht weniger traditionsbewussten, aber fröhlich-draufgängerischen andalusischen Stierkämpfer Escamillo liegen nicht nur wegen der begehrten Frau Welten. Herzl sieht Don José als einen „Bauerntölpel, der unter der Fuchtel seiner Mutter steht“, den Torero Escamillo als Spitzensportler – und Carmen, die Zigeunerin, als eine früh Emanzipierte.

Soll jetzt auch dem mäßig fortschrittlichen Sommerspielpublikum das Regietheater nahegebracht werden? Keineswegs, die Aufführung ist rund, spannend und einleuchtend – bis auf den sonderbaren Schluss: Carmen ergreift Don Josés Hand mit dem Messer und sticht sich selbst ins Herz. Das tut zwischen Gemeindebau und Salon keine Frau, die von ihrem Lover/Ehemann bedroht wird; schon gar nicht Carmen, die kurz zuvor einer heiteren Zukunft mit ihrem Matador entgegensah.

Tadellose Ensemble-Leistung

Der Reiz der Aufführung liegt in ihrer Gesamtwirkung, und die ist beachtlich, nahezu überwältigend, was keineswegs nur mit Beiwerk zu tun hat, das im Guckkasten der Opernhäuser keinen Platz hat. Da fahren Militär- und Pferdewagen, ein Motorrad mit Beiwagen donnert über die Arenabühne, die der Steinbruch stilvoll umrahmt. In der Naturkulisse flackern Feuer. Toll sind die Projektionen, die an Picassos „Guernica“ erinnern. Wunderbar ist die mit viel Personal getreulich nachgestellte Corrida-Atmosphäre im letzten Akt.

Die lombardische Sängerin Tiziana Carraro, eine blonde Carmen, was aber kaum etwas zur Sache tut, punktet mehr durch ihre Erscheinung und ihr Spiel als mit ihrer Stimme. Der Grieche Dimitrios Flemotomos als Don José und der fesche Niederösterreicher Josef Wagner als Escamillo sind auch stimmlich eindrucksvoll. Exakt: der Chor. Authentisch: das Ballett. Dirigent Alfred Eschwé hält die Aufführung musikalisch zusammen. Dass im Schlussapplaus viele flüchteten, lag wohl nicht am Spiel, sondern an der späten Stunde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2012)

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