Hoffmanns Erzählungen, harmlos

(c) Dapd (Lilli Strauss)
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Intendant Roland Geyer hat sich von einer unliebsamen Inszenierung befreit, indem er bei Offenbachs Werk selbst vorsichtig Regie geführt hat.

Ein Sturm im Wasserglas. Zweimal sollte die neue Produktion von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ in dieser Spielzeit im Theater an der Wien gezeigt werden. Doch die Reaktionen auf die Premiere waren so vernichtend, dass der Intendant die Notbremse zog. Statt den künstlerischen Bauchfleck zu wiederholen, nahm er in Kauf, sich mit dem Regisseur zu zerstreiten und setzte sich selbst hinters Regiepult.

Beinahe keine Dekors und einige – nicht wirklich verständnisfördernde – Projektionen (Herbert Murauer), Kostüme aus dem Fundus (der eifrige Besucher erkennt alle wieder, von „Ariadne“ bis „Zauberflöte“). Die Darsteller möglichst oft an der Rampe postiert. Der – phänomenal singende – Arnold Schönberg Chor als Statisterie und lebende Kulisse. Das genügt, der Applaus lehrt es, Wiens Opernfreunde zufriedenzustellen.

Wichtig war und bleibt hierzulande, dass schöne Töne zu hören sind. Oder dass begabte Singschauspieler ihr Talent möglichst ungehindert entfalten könnten. Letzteres zumindest ist bei Marlis Petersen der Fall. Seit sie in der Staatsoper bewiesen hat, aus einem zeitgenössischen Musiktheaterwerk wie Aribert Reimanns „Medea“ einen Publikumshit machen zu können, ist sie ein Star, dem man viel zutraut. Auch die schier unlösbare Aufgabe, sämtliche Frauenpartien in Offenbachs Zauberoper an einem Abend zu gestalten.

Das war schon für Petersens Vorgängerinnen, die sich daran gewagt hatten, nur mit Vorbehalten möglich. Eine Sopranistin, die von der federleichten Koloratur der Puppe Olympia bis zu den lyrischen und dramatischen Herausforderungen von Antonia und Giulietta alles gleich souverän beherrscht, wird es vermutlich nie geben. Ein paar leicht geschummelte Spitzentöne da, der eine oder andere geschärfte Klang in melodischen Bögen dort – das verkraftet das Publikum mühelos, wenn es eine Personality-Show wie diese geboten bekommt.

Marlis Petersen, das Gesamtkunstwerk

Marlis Petersen, ein exzeptionelles Bühnentemperament, brilliert vor allem in der Metamorphose der Puppe Olympia zum kichernden, oberflächlichen Laufsteg-Starlet. Gelangweilt schaut sie auf die Uhr, während ihr leidenschaftliche Liebesbezeugungen zuteil werden. „Ein Automat“, erkennt Hoffmann zuletzt. Die ungewöhnliche Deutung des „Automatentums“ scheint durchaus schlüssig. Arturo Chacon-Cruz ist der leidend-liebende Dichter, ein junger Tenor aus Mexiko, sympathisch tollpatschig, als ob er wirklich nicht wüsste, wie ihm geschieht.

Nur was seine hohen Töne anlangt, ist er siegesgewiss. Die kommen mit Attacke und metallischem Glanz, wie man es kaum bei einem Kollegen heutzutage hören kann. Auch das mag man in Wien und vermisst nicht die geschliffenere Phrasierungskultur, wie sie mancher Passage in Offenbachs Werk wohltäte. Die lässt auch die „Muse“ vermissen: Roxana Constantinescu plagt sich mit manch komplizierter Wendung in den vielen Couplets, die man in dieser Produktion alle, alle zu hören bekommt.

Jedenfalls beantwortet Roland Geyer die Frage, was aus dem verwirrenden Sammelsurium an Liedern und Ensembles, die Offenbach für sein ehrgeiziges Opernprojekt ungeordnet hinterlassen hat, auszuwählen ist. Möglichst viel. Das macht den Abend lang, und man sehnt sich nach Otto Schenks einstige Strichfassung zurück. Da konnte man noch nicht so viel wählen, „Hoffmann“ war ein Dreiakter mit knappem Prolog und noch knapperem Finale – ohne dass man das Gefühl gehabt hätte, etwas zu versäumen. Das Spiel war konzis, mitreißend. An der Wien ufert es jetzt aus, ohne nennenswerten Zugewinn für Musik und Dramaturgie.

Lahmes Dirigat von Riccardo Frizza

Ein bitterbitterböser Bösewicht wie John Relyea täte seine augenrollende Pflicht auch bei weniger Ausführlichkeit. Freilich: Der Dirigent könnte viel ausrichten. Unter Riccardo Frizzas gar schmeichelweichen Händen formulieren die Wiener Symphoniker noch Offenbachs aufregendste Klangpointen jugendfrei. Immerhin: Die schönsten Gesangstöne kommen im Antonia-Akt von der Klarinette . . .

„Hoffmans Erzählungen“. 6., 8. 10. Juli

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2012)

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