Regisseur Alex Olle setzt auf starke Bilder: Jenen Würfel, in welchem sich das Beziehungsdrama abspielt, umschließen Videobilder, die von den Ängsten der Protagonisten handeln.

Foto: Festwochen

 Regisseur Alex Olle inszeniert bei den Wiener Festwochen ein dichtes Kammerspiel der Beziehungen.

Wien - Dem Festwochen-Besucher wird gleichsam ein Flug gewährt: Per Video geht es durch malerische Wolken hindurch - hinunter in eine Stadt und dort gleich in ein eher nobles Haus. In ebendiesem gelandet, ertappt man eine einsame Frau, wie sie autoerotisch Hand an sich legt, während zwei anonyme muntere Hände auf das (von der Dame imaginierte) Begehren ihres unsichtbaren Verehrers verweisen.

Hernach wird klar: In dieser ersten Szene der Oper von Luca Francesconi hat man im Museumsquartier Wien schon das ganze bilderstarke Doppelkonzept von Quartett in der filigranen Regie von Alex Olle (einer der künstlerischen Direktoren von La Fura dels Baus) durchflogen.

Zunächst: In der Luft schwebend präsentiert sich ein Würfel (Bühnenbild: Alfons Flores), in dem Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont ihre sadistischen Machtspielchen absolvieren, in dem sie einander verhöhnend umgarnen und in fremde Identitätskleider schlüpfen. Bis er schließlich vergiftet daliegt - und sie beginnt, die Wände der klaustrophoben Beziehungszelle zu demolieren.

Es sind dies Szenen der subtilen gegenseitigen Zerstörung, es sind galante Kammerspielchen der scheinbaren Gefühlsindifferenz, die Allison Cook (als Marquise de Merteuil von hoher Präsenz und stimmlich tadellos) und Robin Adams (als Vicomte de Valmont der Dame durchaus ebenbürtig) delikat zu absolvieren verstehen.

Die vielen Damenhände

Um diesen kleinen Raum der privaten Machtspiele herum aber wird per Video (Franc Aleu) eine zweite Bilderebene ausgebreitet: Da sieht man Steinmauern zerfallen, sieht die beiden Protagonisten übergroß mit ihren Wünschen und Ängsten abgebildet. Auch erblickt man die von Valmont zu verführende kleine Volanges (in unschuldigem Weiß herumschwirrend) und erspäht den Vicomte irgendwann im Streichelparadies zahlloser Damenhände.

In Summe hat das etwas von einem smarten Gesamtkunstwerk, bei dem unterschiedliche Kunstebenen elegant miteinander verschmelzen. Da ist auch kein dramaturgischer Durchhänger, auch keine plakativ-hohle Effekthascherei. Vielmehr erlebt man ein multimediales Spiel mit den inneren und äußeren Welten der Protagonisten.

Natürlich die Musik: Der Mailänder Komponist Luca Francesconi (er schrieb auch das Libretto) hat ein raffiniertes Strukturgewebe aus elektronischen, vom Band kommenden Elementen und tatsächlichem Orchester (das formidable Ensemble da camera dell'Accademia Teatro alla Scala unter Peter Rundel) ersonnen, das quasi als akustischer Raum alles Optische bereichernd umschließt und atmosphärisch zusammenhält.

Stimmig und sinnvoll

Es ist in dieser Klangwelt Platz für komplexe, poetische Pracht wie für filigrane Regungen. Um den adäquaten Ausdruck zu finden, scheut Francesconi dabei auch nicht die Errichtung kleiner tonaler Inseln. Und an einer Stelle glaubt man gar, rhythmische Anlehnungen an die Minimal Music zu hören. Allerdings auch hier: Alles sehr stimmig, sinnvoll und elegant in permanenter Schwebe gehalten.

Somit kann man behaupten, die Quartett-Oper, nach dem gleichnamigen Stück von Heiner Müller erdacht, hätte nicht ganz zu Unrecht die Reise von der Mailänder Scala, wo Stephané Lissner Chef ist, zu den Wiener Festwochen angetreten, als deren Musikchef Lissner fungiert.

Nach der eher nur soliden Traviata im Theater an der Wien ist mit Quartett ja immerhin ein Hauch des Unalltäglichen zu sehen und zu hören gewesen. Dies vermag allerdings nicht den Eindruck zu pulverisieren, dass der Opernanteil bei den Festwochen mit nur zwei Produktionen eigentlich allzu karg geraten ist.    (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 31.5.2012)