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Musiktheater
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Hamlet

Oper in fünf Akten
Libretto von Michel Carré und Jules Barbier nach dem gleichnamigen Schauspiel von William Shakespeare
Musik von Ambroise Thomas


Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Théâtre Royal de La Monnaie, Brüssel
Premiere am 23. April 2012 im Theater an der Wien

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Theater an der Wien
(Homepage)

In den Kellergewölben von Helsingör

Von Roberto Becker / Fotos: Walter Kmetitsch, Theater an der Wien

Französische Opern, darunter vor allem die sprichwörtlichen großen Opern, also die mit den fünf Akten und den ausschweifenden Ballettmusiken, die auf die ebenso großen Sujets bauen, exzellente Sänger brauchen und einen gewaltigen Chor- und Orchesteraufwand voraussetzen, gelten als Wagnis. Und ein Opernhaus, das sie herausbringt, gilt per se als mutig. Begeisterter Publikumszuspruch ist ihnen freilich gewiss. Das Feuilletonlob sowieso. Mit Giacomo Meyerbeers Hugenotten etwa, einem Prachtstück der nach ihrer Blütezeit im 19. Jahrhundert so gänzlich aus der Mode gekommenen Grand Opéra, gelang es Marc Minkowski und Olivier Py sogar bei der alljährlichen deutschen Kritikerbefragung den Lorbeer der „Inszenierung des Jahres“ einzuheimsen. Und dem Votum für Brüssel als „Opernhaus des Jahres“ waren diese Hugenotten wohl auch hilfreich. Zur jüngsten Premiere im Theater an der Wien war denn auch La Monnaie-Chef Peter de Caluwe angereist, um zu sehen, wie der mit seinem Haus koproduzierte Hamlet von Ambroise Thomas geraten ist, der 2013 mit stark veränderter Besetzung nach Brüssel übernommen wird. Eine der sozusagen stückentscheidenden Zutaten kommt von dort.


Vergrößerung Stéphane Degout (Hamlet)

Denn für den phänomenalen 36jährigen französischen Bariton Stéphane Degout, der in Wien mit der Titelpartie Begeisterungsstürme auslöste, gehört Brüssel zu den wichtigen Stationen seiner Karriere. Der natürliche Vorteil des französischen Muttersprachlers ist dabei nur die „pole position“ für seinen imponierenden Hamlet voll purer Kraft, emotionalem Ausdruck und nobler Artikulation. Der zweite Star an seiner Seite ist Christine Schäfer. Steht sie bei den ersten Auftritten als in der Oper gegenüber dem Shakespeare-Original aufgewerteten Ophelia noch im Schatten von Hamlets vokaler und darstellerischer Bühnenpräsenz, so macht sie aus ihrem Akt ein Ereignis! Dem Wahnsinn der Ophelia ist in der Oper der gesamte vierte Akt gewidmet. Nach dem Auftritt eines Chores von Landleuten, die an einem See den Frühling feiern, erscheint eine Ophelia, die, anders als bei Shakespeare, Hamlet heiraten soll, von ihm aber brüsk mit dem Ratschlag, ins Kloster zu gehen, zurückgewiesen wird. Er hat nämlich vorher mitbekommen, dass ihr Vater Polonius in das Bruder- und Königsmordkomplott des Thronräubers Claudius eingeweiht war. Dass es bei Ophelias großer Wahnsinnsarie um eine Ballade von den Wassernymphen, den Willis aus der skandinavischen Überlieferung, geht, mag ein Zugeständnis an die schwedische Sängerin der Pariser Uraufführung von 1869 sein.


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Angst hinter der Herrscherfassade: Phillip Ens (Claudius) und Stella Grigorian (Gertrude)

Für Olivier Py ist das die Vorlage für ein Spiel mit surrealen Alptraumgestalten. Da tauchen nach und nach Männer mit nackten Oberkörpern und Hundemaske auf und umgarnen sie. So wie Christine Schäfer mit ihren sicher geführten, kraftvoll souveränen Koloraturen Ophelia dem Wahnsinn verfallen ließ, wurde das vom Publikum mit einer Extraportion Szenenapplaus belohnt. Gebührt hätte ihr der dann gleich noch einmal, wenn sie nämlich mit wunderbar zarten Tönen auf der Drehbühne entschwindet.

Vokal ist diese Produktion aber auch sonst höchst gelungen. Da sind die mezzosatte Stella Grigorian als Hamlets Mutter Gertrud oder der etwas raubeinige Phillip Ens als Claudius. Beiden gelingt es, ihren finsteren Figuren neben der auftrumpfenden Herrscherattitüde auch die Angst vor der Entdeckung und die Sorge um ihr Seelenheil mit auf den Weg zu geben. Die Mutter ist dabei vor allem in der Szene mit Hamlet besonders gefordert. Im dritten Akt verlegt Py die Begegnung zwischen der besorgt bedrängten Königin und dem auf Rache sinnenden Sohn ins Bad. Wie vielleicht in seinen Kindertagen das letzte Mal, so sitzt der Sohn nackt in einer Wanne, während die Mutter ihm den Rücken wäscht. Diesmal wird diese Erinnerung an die Kinderzeiten aber zu einer fast tödlichen Begegnung. Hamlet ringt nicht nur ziemlich handfest mit Gertrud, sondern hätte sie fast ertränkt, wenn nicht in letzter Sekunde ein „Halt“ von Hamlets Vater dazwischen gekommen wäre. Der Geist des ermordeten Königs mit nacktem Oberkörper und funkelnder Maske ist oft für uns und für Hamlet sichtbar. Manchmal auch für das Königspaar, das in der Oper keine besonders souveräne Figur abgibt. Der amtierende König tritt, gleich einem Diktator, in Uniform auf und die Königin in einem ziemlich durchsichtigen schwarzen Kleid aus Spitze.


Vergrößerung Theaterspiel mit Folgen

Erklärtermaßen wollte Py zurück zu Shakespeare und dabei die von den Librettisten bei der Aufbereitung des Stoffes vernachlässigte politische und philosophische Dimension stärker hervorheben. Und zeigen, dass es dabei auch um Diktatur, Tod, Theater und Wahnsinn inklusive aller möglichen Kombinationen dieser Schlagworte geht. Beim Theater, also dem Stück im Stück, mit dem Hamlet das Verbrechen öffentlich macht und den Usurpator anklagt, und beim Wahnsinn, dem vorgespielten eigenen und dem echt eintretenden bei Ophelia, ist ihm das auch überzeugend gelungen. Die Aufwertung von Laertes als Freiheitskämpfer, der nur zum Schein auf eine diplomatische Mission entsandt, in Wahrheit aber eingekerkert und gefoltert wird, um dann als (rote) Fahnen schwingender Anführer einer Rebellion, die Liberté auf ihre Transparente geschrieben hat, wieder zurück zu kehren, ist ihm nicht ganz so schlüssig, weil eine Spur zu plakativ geraten.

Mehr atmosphärische Überzeugungskraft entfaltet da schon der Beitrag von Pys langjährigem Ausstatter Pierre-André Weitz. Er hat die Bühne mit einem wuchtigen Kellergewölbe aus schwarzen Ziegelsteinen gefüllt, in dessen Mitte zunächst eine mächtige Freitreppe nach unten an die Rampe führt. Der mittlere Teil dieser Treppe verschiebt sich zuerst nach hinten und löst sich dann in fünf Segmente auf, aus denen sich alle benötigten Spielflächen kombinieren lassen. Am Ende fügt sich wieder alles auf Anfang. Hamlet hat sich da eigenhändig in den Sarg zu Ophelia gelegt, nachdem er im Duell mit Laertes tödlich getroffen wurde.


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Ophelia im Wahnsinn

Damit weichen Py und Minkowski zumindest von der Pariser Uraufführungsversion ab, greifen aber ein Zugeständnis an Shakespeares Heimat auf, das Thomas schon für die Londoner Erstaufführung gemacht hatte (in Wien freilich mit der Musik der Pariser Fassung). Am Pult der Wiener Symphoniker ließ Minkowski seinem Temperament, das sich schon lange nicht mehr nur an der Barockmusik bewährt, freien Lauf. So vermittelte das bestens disponierte Orchester einen sinnlichen Eindruck von der Opulenz einer Spielart der Oper, die zwar auf die große Geste und den dramatischen Effekt setzt, aber nicht nur bei der szenischen Deutung genügend Spielraum bietet, um sich in das Schicksal der tragisch miteinander verstrickten Figuren einzudenken. Der Rest ist in Wien nicht (wie es auch im Libretto heißt) Schweigen, sondern großer Jubel für alle.


FAZIT

Dem Theater an der Wien ist es auch mit seiner jüngsten Produktion gelungen, seine Position als interessantestes Opernhaus in der österreichischen Hauptstadt zu behaupten. Dass es diesmal mit einer Grand Opéra also einem anspruchsvollen Genre gelang, mit dem einst die Staatsoper Furore machte, belegt nicht nur die Qualität von Wiens Stagione-Oper, sondern sagt auch etwas über den Zustand der Staatsoper, die sich freilich immer noch für den Mittelpunkt der Opernwelt hält.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Minkowski

Inszenierung
Olivier Py

Ausstattung
Pierre-André Weitz

Licht
Bertrand Killy

Chor
Erwin Ortner


Arnold Schoenberg Chor

Wiener Symphoniker


Solisten

Hamlet
Stéphane Degout

Ophélie
Christine Schäfer

Claudius
Phillip Ens

La Reine Gertrude
Stella Grigorian

Polonius
Pavel Kudinov

Laërte
Frédéric Antoun

Le Spectre
Jerôme Varnier

Horatio, Premier Fossoyeur
Martijn Cornet

Marcellus, Deuxième Fossoyeur
Julien Behr

Schauspieler
Randolf Destaller
Uli Kirsch
Ingo Raabe
Daniel Ruben Rüb
Pavel Strasil
Marcus Wagner


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





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