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"Hamlet": Der König der Schmerzen

Dieser "Hamlet" ist keiner, der lange nachdenkt, anders als bei Shakespeare. Die Oper von Ambroise Thomas im Theater an der Wien ist eine Entdeckung dank eines tollen Teams.

"Hamlet": Der König der Schmerzen
"Hamlet": Der König der Schmerzen


Der Dirigent Marc Minkowski und der Regisseur Olivier Py sind wieder auf Entdeckermission. Nach Meyerbeers "Les Huguenots", mit denen sie in Brüssel zuletzt die "Aufführung des Jahres" schafften, ist nun "Hamlet" exhumiert worden. Die fast vergessene Oper von Ambroise Thomas (1811-1896) hatte am Montag im Theater an der Wien bejubelte Premiere.

Die Aufführung des Jahres wird es vielleicht nicht werden, dennoch gelang dem Team eine Produktion, die man lang nicht vergessen wird. Wieder dabei ist der kongeniale Bühnenbildner Pierre-André Weitz, der das dänische Schloss Kronborg aus schwarzen Ziegeln errichtete oder besser, mit steilen Treppen und Gewölben eine multifunktionale, sehr bewegliche Installation schuf, deren finstere Atmosphäre kaum zu übertreffen ist.

Dieser Dänenprinz Hamlet ist keiner, der lang nachdenkt, anders als bei Shakespeare. Die Librettisten Michel Carré und Jules Barber kürzten radikal und schrieben die Geschichte auch um. "Sein oder Nichtsein" kommt eher so nebenbei, Reflexion gibt’s keine, dieser Hamlet gibt sich seinem Wahn hin. Und er entkommt ihm auch nicht, dafür ist der Geist seines ermordeten Vaters praktisch allgegenwärtig und fordert die Rachepflicht des Sohnes an seinem mörderischen Stiefvater/Onkel ein, nur die Mutter solle er schonen. Olivier Py entwickelte faszinierend dichte Szenen, hat überzeugende Ideen, geistert mit Bühnennebel, übertreibt auch mitunter, vor allem lässt er - das steht nicht im Libretto - am Ende Hamlet nach dem Rachefeldzug nicht den Thron besteigen oder ungeschoren davon kommen, Laërte, Ophélies Bruder, und Hamlet laufen sich gegenseitig ins Messer.

Marc Minkowski hat die Wiener Symphoniker als gut disponiertes Orchester im Graben, er peitscht mitunter die Wogen so hoch, dass sich Sänger fürchten könnten. Müssen sie aber nicht, denn das Ensemble ist großartig besetzt. Fast im Alleingang trägt Stéphane Degout den Abend, der Bariton zeigt alles, was er hat und kann. Es gibt keine Sekunde Leerlauf bei seiner grandiosen Studie des psychisch aus dem Lot geratenen, selbstquälerischen Sohnes und Geliebten, Opfer und Täter zugleich. Eine Extremleistung, auch stimmlich. Ebenbürtig ist Christine Schäfer, die jeweils den richtigen Seelenton für die zurückgestoßene, zerbrechliche Ophèlie findet, auch sie ist eine Expertin für geistig zerrüttete Figuren. Atemberaubend ist die lange Wahnsinnsszene vor dem Tod im See, auch musikalisch eine Mischung aus Belcanto-Irrsinn und nordischer Ballade. Das geht wahrhaft zu Herzen.

Philipp Ens ist ein herrischer Brudermörder und Thronräuber an der Seite von Gertrude, die mit Stella Grigorian bestens besetzt ist. Jérôme Varnier ist ein muskulöses Gespenst, der mit einer glitzernden Maske durch das Gemäuer geistert, auch die kleineren Rollen sind tadellos besetzt. Der Arnold Schoenberg Chor überzeugt als feiernde oder aufmüpfige Volksmasse, unter den Schauspielern, welche den Mord zu entlarven helfen, findet sich auch Uli Kirsch, der Quälgeist aus dem Salzburger "Figaro".

Und die Musik? Ambroise Thomas, seinerzeit ein Star, schrieb üppige romantische Musik, im melodiösen Einfall nicht genial, aber farbenreich instrumentiert und hochdramatisch. Weitere Termine: 26., 28., 30.4.; 2. und 5. 5.

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