Theater an der Wien: Hamlet, bleich wie die Nacht

Theater Wien Hamlet bleich
Theater Wien Hamlet bleich(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Ambroise Thomas' "Hamlet": Große Oper, glutvoll musiziert unter Mark Minkowski, pointiert in Szene gesetzt. Ein lohnenswerter Abend.

Im Vorspiel finster dräuende es-Moll-Klänge, ein nobel klagendes Hornsolo: Hinter einer transparenten Folie, deren Zittern jene Wasseroberfläche vorwegzunehmen scheint, unter der Ophélie enden wird, schreitet Hamlet eine riesige Treppe herab und fügt seinem nackten Oberkörper blutende Schnitte zu. Der Blick auf das kalte Schwarzgrau eines dunklen Gewölbes wird frei – und plötzlich ausbrechender, gleißender E-Dur-Pomp, vom intensiven Schoenberg Chor angestimmt, scheint dem Ambiente zu spotten...

Aus ästhetischen Reibungen wie dieser schlägt Regisseur Olivier Py die stärksten expressiven Funken bei seiner Inszenierung, die in erster Linie von der ausgeklügelt-imposanten Ausstattung von Pierre-André Weitz lebt. Denn natürlich befinden wir uns gleichsam in der verwinkelten Psyche Hamlets, in der sich die Treppe bald in bewegliche, immer aufs Neue zusammengefügte Einzelteile auflöst, die auf Piranesis surreale „Carceri“ anspielen. Klar, dass gerade Ophélie hier keinen rechten Halt findet und sich an Geländer oder Hamlet selbst klammern muss – vergeblich.

Erinnerungsmotive, Instrumentationsfinessen, die Spannung zwischen Melodien, die in Richtung Verdi tendieren, und Deklamation, die an Wagner erinnert: Der „Hamlet“ des Ambroise Thomas, 1868 in Paris uraufgeführt, changiert auf reizvolle Weise zwischen den tradierten Anforderungen an eine „Grand opéra“ und dem damals neuartig wirkenden Sujet mit seinem unheldischen, geplagten Helden. Regisseur Py indessen war nach der im Libretto vollzogenen Vereinfachung und Verflachung eine neuerliche Annäherung an Shakespeare wichtig – und an Elemente des Gothic Horror. Dabei und in der nachdrücklichen Demonstration etwa der politischen Auswirkungen mag er dort und da über das Ziel hinausschießen, der zweite, erst für London komponierte Schluss mit Hamlets Tod ist freilich willkommen.

Fabelhaft: Stéphane Degout

Aber der großartige Stéphane Degout hätte wohl auch das ursprüngliche Ende mit Hamlets Rache und Krönung glaubwürdig vermitteln können: Bleich und depressiv hütet er die Urne mit der Asche des Vaters, kämpft um Contenance, nagt an seinen Nägeln, ja den ganzen Händen, wandelt sich zum allgegenwärtig lauernden Beobachter, in dessen Blick die Schuldigen seine Anklage erkennen – und zeichnet die Figur doch vokal noch stärker: Mit seinem in allen Lagen kernigen und stets differenziert eingesetzten Bariton kann er sowohl die grüblerischen Momente der über weite Strecken rezitativisch angelegten Partie mit balsamischen Phrasen erfüllen und für die schaurige Intensität des berühmten Trinklieds noch enorme Reserven mobilisieren.

Was pure Leichtigkeit und Virtuosität anlangt, ist Christine Schäfer der Partie der Ophélie bereits entwachsen, doch trägt die Prise Härte, die sie von Beginn an hören lässt, als Klangsymbol für Verzweiflung und Angst zur Charakteristik der Figur bei – und ihre Wahnsinnsszene gerät tadellos intensiv. Stella Grigorian bringt überhaupt einen Schuss Verismo ein, führt jedoch mit ihrem dramatischen Mezzosopran als feurige Gertrude das übrige, gute Ensemble an, in dem nur Phillip Ens (Claudius) stimmlich etwas unausgeglichen agiert.

Frisch, voll Animo und mit schönen Soli etwa von Klarinette, Posaune und sogar Saxofon spielten die Wiener Symphoniker: Von zündendem Festmarsch- und Fanfarengeschmetter über weit gesponnene, gefühlvolle Kantilenen bis hin zu Hamlets mit vielfältig düsteren Farben aufgeschlüsselte Seelenabgründe und dem fein ziselierten Irresein der Ophélie, das nicht nur in die genreüblichen stimmlichen Regionen jenseits des hohen C drängt, sondern auch eigentümlich reizvoll ins Exotisch-Lichte, Tänzerische, erfüllten sie die Partitur mit jener Hingabe, die der vielseitige Mark Minkowski am Pult verkörperte. Abgesehen von etwas Widerspruch bei Py nur großer Jubel am Ende eines langen, aber lohnenswerten Abends.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2012)

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