Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden
(zwei
Pausen) Premiere im Großen Haus des Mainfrankentheaters
Würzburg am 31. März
2012 Als Handlung in
drei Aufzügen hat man
es schon schwer. Man wird
von einer Opernbühne zur anderen getrieben, dabei in immer wieder
neue Korsetts
gepresst, perspektivisch durchdekliniert, psychoanalytisch auf den Kopf
gestellt, gegen den Strich gebürstet oder auch mit dem Strich in
den Sand
gesetzt. Die Liste ließe sich fast endlos fortführen. Unter
den Lebenden gibt es da kaum etwas, das es noch nicht
gab - vielleicht hat Regisseur Hermann Schneider Wagners Tristan
und
Isolde
in
Würzburg ja deshalb zu den Toten und Untoten geschickt. Die
Vorspiel-Bebilderung könnte
durchaus Interesse wecken.
Aus einem Punkt entsteht ein Stern, dann ein Sternenhimmel, ein
Weltall. Mit
Buchstaben aus Sternen liest man schließlich „Tristan + Isolde“.
Die
Buchstaben-Sterne geraten in strudelnde Bewegung, um schließlich
milchstraßenartig im Nirvana des „+“ zu versinken. Das ist ebenso
einleuchtend
wie plakativ und hätte in grafisch ansprechenderer Ausführung
auch noch mehr
Ästhetik gezeigt. Es hat aber mit dem Folgenden nichts weiter zu
tun. Als
Einheitsbühnenbild hat Falko Herold
einen
rostig-schmuddeligen Schiffsrumpf entworfen, dessen Seitenklappen
bewegt werden
können und dessen Hintergrund sich in einen bühnenhohen
Spiegel verwandelt.
Offenbar schifft man über den Styx, denn die
Fracht besteht aus
Toten, die im zweiten Akt als Untote wirr umherwandern. Der Hirt und
der junge
Seemann sind zu einer Figur zusammengefasst, die als Ober-Zombie (eine
Mischung
aus Charon und Riff-Raff) zwischen den Welten vermittelt. Tristan (Paul McNamara), Brangäne (Karen Leiber), junger
Seemann (Joshua
Whitener),
Isolde
könnte optisch in ihrem
schwarzen Kostüm und
hochgesteckten Haaren zunächst jeder Chefsekretärin das
Wasser reichen, doch liebestrankberauscht wirft sie sich dann wild und
leidenschaftlich in ihre Gefühle. Brängäne ist mit
Zöpfen und Ringelstrumpfhosen ein unfreiwillig komischer Anblick,
wogegen
Kurwenal als beinschienen- und krückentragender Kriegsversehrter
mit
schmutzigem Supermann-T-Shirt, schmierigen Haaren und dem Hang, sich
immer und
immer wieder zu erstechen, irgendetwas zwischen widerlich und
erbärmlich ist. Das Mitleid aber
gehört an diesem Abend
ganz dem Tristan, den das Ganze als schüchtern-scheues,
traurig-trotteliges
Bübchen so gar nichts anzugehen scheint. Isoldes
Schminkköfferchen enthält wider Erwarten nicht die
Zaubertränke der
Mutter, sondern Morolds abgeschlagenes Haupt, aus dessen Mund
Brangäne
die Liebestrankphiole umständlich herausprökeln muss - und
das, nachdem
Kurwenal sie kurz zuvor von hinten vergewaltigt hat. Im zweiten
Akt hantiert Isolde dann mit dem blutig
ausgefransten Haupt wie es jeder Salome Ehre machen würde.
Brangäne blättert
zwischendurch immer wieder gern in einer Zeitschrift und Kurwenal
spielt mit
Supermannfiguren (wenn er sich nicht gerade wieder einmal ersticht).
König
Marke erscheint im schmutzig-dunkelroten Königsmantel, der schon
bessere
Jahrzehnte gesehen hat und schaut aus toten, roten Augen in die Welt
voller
Ungerechtigkeit, die ihn als lebenden Toten aber kaum rühren
kann.
Wie ein Küken unter einer
künstlichen Sonne schläft Tristan
und hält dabei Isoldes Brautkleid erst im Arm und zieht es dann
hinter sich her,
wie Linus die geliebte Schmusedecke. Kurwenal schießt um sich und
Brangäne
schneidet sich die Pulsadern auf. Zu Isoldes Liebestod drehen sich die
Seitenteile des Schiffsrumpfs und dieser erscheint gänzlich als
Spiegel-Raum. Aus
dem Schnürboden schweben leuchtende Glühbirnen herab. Hier
schweigen dann auch
die Übertexte, lassen dem Bild, was des Bildes ist: Kitsch as
Kitsch can. Isolde (Anja Eichhorn) Projektionen, symbolische Kritzeleien,
lebende Bilder,
gedoppelte Figuren, die Englischhornistin auf der Bühne, Schmutz
und Elend und dieses haarsträubende
Schlussbild – das
ist ein Ragout aus Bildern und Gedanken, das schwer verdaulich und kaum
erklärlich ist. Was im ersten Akt noch erträglich scheint,
wird im zweiten einfach
ärgerlich, um im dritten dann der Grenze zum Lächerlichen
äußerst nahe zu kommen. Die erklärte Absicht, die
Handlung auf
die Todessehnsucht zu
konzentrieren und mit dem Trank eine andere Dimension oder Welt des
Todes
aufzustoßen, erschließt sich auf der Bühne nicht. Die
Liebesleidenschaft aus
dem Tristan zu eliminieren, ist
genauso wenig neu wie hilfreich, sondern eine Beschränkung, die
keine Dimension
öffnet, sondern eine wesentliche verschließt und dem
Stück damit ein lebenswichtiges Element amputiert. Und dennoch sollte man sich diesen
Würzburger Tristan nicht entgehen lassen – denn
es
gibt ja noch die musikalische Seite dieser Produktion. GMD Enrico Calesso lässt das blendend
disponierte Orchester
schwelgen und blühen, da hört, ja spürt man die
Leidenschaften, die das Auge an
diesem Abend vermisst. Calesso gelingt der Spagat zwischen
transparentem und
opulentem Klang, ohne dabei in ein manieriertes Sezieren der Partitur
oder ein
plumpes Auftürmen von Klangwogen zu verfallen. Die erste
Begegnung
Tristans und
Isoldens im ersten Akt gestaltet er so spannungsgeladen, dass der Atem
stockt. Die Leistung von Paul McNamara als Tristan
einzuschätzen
fällt nicht leicht. Möglicherweise hat die Personenregie von
der Figur auch
musikalisch soweit Besitz ergriffen, dass eine Gestaltung dem
Sänger nicht mehr
möglich war. Er singt die Partie sehr ordentlich und meist auch
korrekt, wenn
auch mit recht individueller Vokalfärbung und einem
übermächtigen Hang zum „o“. Aber
er singt vollkommen leidenschaftslos, einfarbig und eintönig –
geradezu wie
abwesend. Erst im 3. Akt klingen ein paar sehr schöne Töne
an, die auch etwas
Leidenschaft erahnen lassen. Joachim Goltz ist ein herrlich kernig und
immer sehr präsent
klingender Kurwenal, Johan F. Kirsten beginnt Markes Klage mit der
Stimme eines
weisen, aber auch greisen Königs, steigert sich im Laufe seiner
großen Szene zu
stimmlicher Majestät und bekommt dann auch sein zunächst sehr
starkes Vibrato
unter Kontrolle. Joshua Whitener lässt als Seemann und Hirt einen
wunderschönen, glasklaren Tenor hören. Kenneth Beal und
Hyeong-Joon Ha sind
als Melot und Steuermann adäquat besetzt. Der
Männerchor
tönt
doch
recht
unkultiviert und
viel zu laut – aber
vielleicht sollen Untote so klingen…
Diese Zombie-Version des Tristan
überzeugt ganz und gar nicht. Aber musikalisch gibt es in
Würzburg Außergewöhnliches
und Begeisterndes zu hören. Musikalische
Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
und
Kostüme,
Dramaturgie
Philharmonisches Orchester König Marke Isolde Kurwenal Melot Brangäne Ein Hirt/ Steuermann
Weitere
Informationen
Tristan
und
Isolde
Handlung in drei Aufzügen
von Richard Wagner
Dichtung vom Komponisten
in deutscher Sprache mit
Übertiteln
Mainfranken Theater Würzburg
(Homepage)
Unter
Untoten
Von Bernd
Stopka / Fotos Falk von Traubenberg
Kurwenal (Joachim Goltz), Isolde (Anja Eichhorn), Statisterie
FAZIT
Ihre
Meinung
?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
Produktionsteam
Enrico Calesso
Hermann Schneider
Videos und Animation
Falko Herold
Markus Popp
Christoph Blitt
Komparserie des
Mainfranken Theaters
Würzburg
Herren des Opernchores
und des Extrachores des
Mainfranken Theaters
Würzburg
Würzburg
Solisten
Tristan
Paul McNamara
Johan F. Kirsten
Anja Eichhorn
Joachim Goltz
Kenneth Beal
Karen Leiber
Ein junger Seemann
Joshua Whitener
Hyeong-Joon Ha
erhalten Sie vom
Mainfranken Theater
Würzburg
(Homepage)
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -