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Kultur

Blutigrot ist die Farbe der Töne

Freier Feuilletonmitarbeiter
Die Macht der Anti-Logik: Michael Thalheimer betritt mit Verdis "Forza" in Antwerpen internationales Opern-Parkett

Anders als bei den bisherigen Musiktheater-Inszenierungen des deutschen Minimalisten wird an der Flämischen Oper der Chor zum Hauptakteur

Reduzierter geht nicht. Kein adeliges Mädchenzimmer, keine Dorfschenke, kein Klosterhof, kein Militärlager, keine Eremitage in den Bergen. Nur ein schwarzer Kasten, oft diffus bisweilen scharf und hart ausgeleuchtet, in dem hinten plakativ eine schräg liegende Kreuzsilhouette ausgeschnitten ist und vor dem ein freies, steiles, mit Stühlen versehenes Podest steht, das Auftritte nur von unten ermöglicht. Da stellen die Protagonisten sich aus, davor sind sie ausgegrenzt, dahinter beobachten sie.

Kein Naturalismus, kein Versuch, die rabenschwarze, surreale, durch einen unfreiwilligen Pistolenschuss ausgelöste Absurdität von Giuseppe Verdis "La Forza del Destino" in irgendeine Art von Kausalität, von plausibler Folgerichtigkeit zu übersetzen. Jenes Chaos des Aneinandervorbeilaufens, Sich-nicht-Erkennens, das Durcheinander von Mord und Blutrache, das sich in einem heillosen Spanien manisch stets an Engel, himmlische Erlösung und katholische Katharsis klammert. Dafür aber wird klangliche und kinetische Energie pur geboten, direkt und herausfordernd ins Publikum hingeschleudert; es lodert krass und unverstellt aus dem Orchestergraben. Und plötzlich funktioniert ein Werk, das musikalisch begeistert, aber intellektuell eigentlich noch bescheuerter ist als der "Troubadour".

Wenn man es ernst zu nehmen versucht. Statt es als antipsychologisierende Metapher für entgrenztes Singen zu verstehen, für die pure Demonstration der Macht der Töne, der Kraft der Melodie, die sowieso über jede Logik siegt. Wenn sie gekonnt serviert werden - denn bei diesem sehr besonderen Werk sind auch die Vokalpartien eigentlich unbesetzbar. Doch an der Flämischen Oper in Antwerpen, wahrlich kein De-Luxe-Haus auf monetärem Gebiet, hat man alles richtig gemacht.

Man hat mit Michael Thalheimer den großen deutschen Schauspielminimalisten engagiert, der mit seiner vierten Opernregie endlich auch auf die internationale Bühne drängelte. Und man hat Sänger, die wahrhaftig sind, hundert Prozent geben und die in ihren Partien einigermaßen ideal eingesetzt wurden. In allen Rollen. Man hat zudem einen spielfreudig exhibitionistischen Chor und in Alexander Joel einen Generalmusikdirektor, dem pure Energieexplosionen wichtiger sind als weicher Wohlklang. Und der sich in diesem grellen, mit scharfen Kontrasten und Schnitten arbeitenden Bilderbogen in der noch nihilistischeren Petersburger Originalfassung von 1862 einfräst. Bei ihm brodelt das Orchester, gefällig mag es anderswo sein. Und doch blüht auch momentweise Klarinettenpoesie, da singen sich Chöre zur Madonna ins Paradies.

Wo Hans Neuenfels, einer der wenigen Regisseure, die sich diesem Werk gewachsen zeigten, 1982 in Berlin zwischen Lilien und Panzern, kunterbunten Nonnen und Neonlichtern die große Symbole-Show entfesselte und mit (anti-)religiösem Karneval das Publikum selbst Jahrzehnte später noch zum Buhen brachte, da setzen Michael Thalheimer und seine Ausstatter Henrik Ahr (Bühne) und Michaela Barth (Kostüme) auf zeitlose Klarheit und Simplizität. Schwarz und weiß, und dann immer mehr blutigrot - das sind die Farben dieser Inszenierung. Thalheimer lässt wie ausgestellt spielen, seine Darsteller tragen die Rollen quasi vor sich her, die Folge ihre Handlungen wird demonstrativ vorgeführt.

Der Inkaprinz Alvaro (der bisweilen unter Pianoverweigerung brutal, aber gerade in seiner zusätzlichen Arie wie auf rohem Fleisch singende Mikhail Agafonov) zieht im Liebesduett mit der spanischen Grafentochter Leonore (im Leisen anrührend, im Lauten bisweilen harsch: Catherine Naglestad) langsam seine Kleider aus. Nachdem er versehentlich deren Vater erschossen hat, steigt sie in seine Schuhe, hängt sich seinen Parka um: Sie will dessen Tat, an der sie sich schuldig fühlt, sühnen.

Ihre Antagonistin ist die am Krieg irre gewordene Marketenderin Preziosilla (mezzosatt flexible Schlampe: Viktoria Vizin). Wenn Leonora in dem Riesenkreuz emporsteigt, wenn sie sich in den gar nicht tröstlichen Schoß der Kirche begibt, wie sie kämpferisch glaubenszweifelnd, gar nicht generös von Padre Guardiano und Fra Melitone verkörpert wird (schlank, dabei intensiv singend: Christof Fischesser und Josef Wagner), dann steht am Ende, wenn alle sinnlos hin sind, an dieser Stelle Prezisilla als schwarze Madame La Mort.

Die beiden feindlichen Männer, Alvaro und Leonoras Bruder Carlos (sehniger Bariton: Vladimir Stoyanov), die sogar kurzzeitig, in Unkenntnis ihrer wahren Identität, Freunde sind, werden sich im Verlauf einer hier sofort auf den Punkt kommenden Handlung stetig ähnlicher, im wahnwitzigen Strudel aus Schuld und Sühne besudeln sie sich triefend mit Blut, so wie der Chirurg auf dem Schlachtfeld in seiner glänzenden Metzgerschürze.

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Hinter ihnen wird, anders als in Thalheimers bisherigen Opern (Janacek und Mozart in Berlin, Verdis "Rigoletto" in Basel) mehr und mehr der Chor zum Protagonisten. Antirealistisch beobachtet er von Anfang an mit, lümmelt auf seinen Stühlen, bis er dran ist, als Bauernmeute, als an der Rampe aufgebaute Mönchsreihe fürs Gottesdienstritual, als verschmiertes Kanonenfutter in der Schlacht, als tote Körper das Schicksal der Protagonisten vorwegnehmend.

So setzt Thalheimer seine Zeichen, treibt zielstrebig auf die einzige Lösungsmöglichkeit zu: Mord und Auslöschung, ja auch Grand Guignol; in einer besseren Theaterwelt mögen sie alle vielleicht würdiger zu Ruhe und Frieden kommen.

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