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Olga Mykytenko und Saimir Pirgu in Rachmaninovs "Francesca da Rimini". Foto: Philipp Pfeiffer
Olga Mykytenko und Saimir Pirgu in Rachmaninovs "Francesca da Rimini". Foto: Philipp Pfeiffer
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Rotgardisten zu Pfundsakkorden: Tschaikowskys „Iolanta“ und Rachmaninows „Francesca da Rimini“ im Theater an der Wien

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Opern, die vom Wegschließen von Frauen durch Männer handeln, finden sich in der Geschichte des Musiktheaters ziemlich häufig: Im Theater an der Wien mag einem Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in den Sinn kommen oder „Die Zauberflöte“, die an dieser Stelle uraufgeführt wurde. Aber auch andere klassische Werke wie Rossinis „Barbier von Sevilla“, der Antonia-Akt in „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach oder Verdis „Rigoletto“ (in dem der Hofnarr seine Tochter am Ende einer finsteren Gasse den Blicken der Männerwelt vorenthält); in sämtlichen Blaubart-Opern von Gretry über Bartók bis Franz Hummel geht es um Frauen, die ihrer Freiheit beraubt werden, und um eine radikale, tödliche Form des Wegschließens in sämtlichen Antigona-Tragödien des 18. Jahrhunderts (zuletzt ebenfalls in der 2009 uraufgeführten „Proserpina“ von Wolfgang Rihm).

Auch in „Iolanta“, der letzten, 1892 uraufgeführten Oper von Peter Tschaikowsky, ist die weltabgeschiedene Verwahrung der blinden, sich ihres Gebrechens freilich nicht bewussten Titelheldin zunächst ein Problem. Zunehmend drückt es auf die Mitleidsdrüse. Aber in Kombination mit der zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen, ungleich moderneren „Francesca da Rimini“ von Sergei Rachmaninow  erscheint die Präsentation dieser schwülen Arbeit nicht gänzlich unplausibel.

Beide Einakter basieren auf Libretti von Modest Tschaikowsky, dem Bruder des Komponisten – und bei beiden steht eine eingeschlossene Frau im Zentrum der Handlung. Iolanta, Tochter des von einer näher nicht benannten und bekannten Schuld belasteten altprovençalischer Königs René, wird in einem idyllischen Garten von der Umwelt abgeschirmt. Mit Ebn-Chaki bemüht der Vater den berühmtesten maurischen Arzt der Zeit. Der verlangt die Aufklärung der Patientin und die Mobilisierung ihres Willens zur Heilung, wenn er sie mit Aussicht auf Erfolg operieren soll. Die Prinzessin wird des Mangels an Sehkraft gewahr, indem Graf Vaudémont sich in sie verliebt, mit ihr zu plaudern beginnt und beim König um ihre Hand anhält. Und da der Burgunder-Herzog, den sie ursprünglich heiraten sollte, sich ohnedies stark zur lebensprallen Gräfin Mathilde hingezogen fühlt, steht dem Glück der durch Liebe sehend Gewordenen nichts mehr im Weg.

Stephen Lawless inszeniert die kindlich naive ritterromantische Handlung zunächst ganz in weiß, mit Pelzmänteln und Uniformen der zur Neige gehenden Zarenzeit im inneren einer Halbkugel, die sich für einen Blick auf Iolantas Umwelt dreht und dann wie eine Druckkammer anmutet. Die ist eigentlich sehr angebracht für das, was Dmitry Belosselesky als Monarch mit Stentorstimme in den Raum stemmt. Aber auch für den Tenoreinsatz des jugendlichen Liebhabers Saimir Pirgu. Olga Mykytenko, die zuletzt am Essener Aalto-Theater in „Hoffmanns Erzählungen“ überzeugte, ist im nicht allzu großen Theater an der Wien in ihren alten Fehler zurückgefallen und forcierte dergestalt, dass die Intonation immer darunter litt.

Sehr akkurat, anschmiegsam und phasenweise anfeuernd wurde der vom Komponisten stark parfümierte Instrumentalpart bestritten: Statt des durch Bandscheibenvorfall am Dirigieren gehinderten Kyrill Petrenko stand Vassily Sinaisky, der Chefdirigent des Moskauer Bolschoi-Theaters, dem ORF-Orchester vor. Sinaisky, ein Handwerker alten Schlags, dirigiert mit routinierter Schlagtechnik und aller erdenklichen Aufmerksamkeit für die Details. Manche schöne Stelle, deren Melodie er den Celli oder Holzbläsern entlockt, gerät zum Schluchzen schön.

Dem Ende zu gleitet der Tonsatz allerdings ins unbeholfen Grobe aus – da kopuliert mit Inbrunst ein russisch-orthodoxer Grundton mit dem der Zarentreue. Brächen da nicht zu den letzten Pfundsakkorden ein paar Rotgardisten herein, die dieser Gespensterstunde der Impertinenz ein jähes Ende bereiteten, müsste ein Verfahren gegen die Veranstalter wg. Verherrlichung von terroristischer Gewalt in Erwägung gezogen werden. Freilich erscheint auch der Verweis auf historische Gewalt und Gegengewalt edel ästhetisiert; mit den raubeinigen Gardeschützen senkt sich eine fünfzackige rote Leuchte vom Bühnenplafonds herab, als würde nun ins Wirtshaus zum Roten Stern geladen.

Lawless inszenierte die Soap des späten 19. Jahrhunderts, in der es auf aseptische Weise keusch zugeht, ohne die unsäglichen philosophisch-religiösen Ausschweifungen zur Seele und zum Schöpfungsgeschenk des Lichtes kritisch ins Visier zu nehmen. Die Rotarmisten gestalten nach der Pause, während der die Treppen und Umgänge des Hintergrunds nach vorn rückten, auch die Hölle, in die Dante in Begleitung von Vergil hinabsteigt. Dieser finstere Ort rahmt Rachmaninows tödliche Eifersuchtstragödie: Überdeutlich sichtbar werden die Chiffren für die „verkehrten Verhältnisse“ am Ende des ersten Weltkriegs.

Anders als das provençalische Märchen der Tschaikowskys endet die Liebesprobe, der Francesca von ihrem eifersüchtigen Ehemann, dem Konquistador Lanceotto Malatesta unterzogen wird, mit Tod und Verderben. Angenehm ist der musikalische Kontrast: Nach ranziger Sahnecreme bis zu den Knien nun ein konziser Tonsatz, der nicht sehr weit entfernt ist vom frühen Schreker und sich neben Puccinis ersten Partituren behaupten könnte. Während Iolanta durch keimfreie Liebe sehend wird, erblindet Francesca durch „sündige“. Das ist die grandiose Botschaft dieses in Nostalgie triefenden russischen Abends an der Wien, der – vermutlich unbeabsichtigt – den Dilettantismus des autodidaktisch zur Musik gekommenen Komponisten Tschaikowsky vorführt.

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