IOLANTA / FRANCESCA DA RIMINI
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Theater an der Wien
Premiere
19.1.2012

Musikalische Leitung: Vassily Sinaisky
Inszenierung: Stephen Lawless
Bühne: Benoit Dugardyn
Kostüme: Jorge Jara
Choreographie: Lynne Hockney
Licht: Patricia Collins

ORF Radio Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

Iolanta

Iolanta - Olga Mykytenko
König René - Dmitri Belosselski
Ibn-Chakia (Arzt) - Elchin Azizov
Graf Vaudémont - Saimir Pirgu
Herzog Robert von Burgund - Dalibor Jenis
Martha - Svetlana Shilova
Brigitta - Rinnat Moriah
Laura - Victoria Yarovaya
Bertran - Vladimir Baykov
Almerik - Ladislav Elgr
Mathilda (Balletttänzerin) - Barbora Kohoutková

Francesca da Rimini

Francesca - Olga Mykytenko
Paolo - Saimir Pirgu
Dante - Ladislav Elgr
Vergils Geist - Vladimir Baykov
Lanceotto - Dmitri Belosselski


Roter Stern im Höllenkreis
(Dominik Troger)

Vor zehn Jahren wurde Tschaikowskys „Iolanta“ im Rahmen des Klangbogen Festivals im Theater an der Wien gegeben und als „sinnvolle Ausgrabung“ rezensiert. Rachmaninows „Francesca da Rimini“ spielte man vor zwei Jahren konzertant im Konzerthaus – auf eine baldige szenische Aufführung hätte damals wohl kaum jemand gewettet.

Vergleicht man die beiden Opern rein vom dramaturgischen Standpunkt, dann fällt der Rachmaninow Einakter stark gegenüber der „Iolanta“ ab, obwohl Modest Iljitsch Tschaikowsky beiden Opern als Librettist gedient hat.

„Iolanta“ (1892 uraufgeführt) erzählt flüssig und gut strukturiert das Märchen von der in paradiesischer Abgeschiedenheit lebenden, blinden Königstocher Iolanta, der auf Geheiß ihres Vaters, König René, ihr Gebrechen verheimlicht wird. Dank der zufälligen Begegnung mit Graf Vaudémont, der in ihren Garten eindringt, erfährt sie von ihrer Blindheit und wird durch ärztliche und psychologische Kunst geheilt: einem Happyend mit dem Grafen steht nichts mehr im Wege.

„Francesca da Rimini“ entführt das Publikum in Dantes Inferno, wo die Seelen von Francesca, ihrem Liebhaber Paolo und ihrem Gemahl Lanceotto dem Dichter von ihrem Schicksal berichten. Francesca wird bei der Hochzeit betrogen, sie glaubt den Brautwerber Paolo zu heiraten und nicht dessen missgestalteten, hinkenden Bruder. Erst nach der Hochzeit erkennt sie die Wahrheit und fügt sich mit kühlem Gehorsam als Gemahlin von Lanceotto in ihr Schicksal. Doch die Saat der Liebe ist ausgesät, Francesca und Paolo finden zu einander und entbrennen in Leidenschaft, angefacht durch die gemeinsame Lektüre eines Artusromans (!). Der gehörnte, schwer eifersüchtige Ehemann stellt ihnen eine Falle und ermordet beide während eines langen Kusses.

Die Oper wurde 1906 uraufgeführt. Das Stück wirkt im Handlungsaufbau unproportioniert und in der Anlage der Charaktere sehr schematisch. Der musikalisch ergiebige, einleitende Prolog – Dante und Vergils Geist im ersten Höllenkreis samt der atmosphärischen Klagestimmung mit dem „Seelenchor“ der Verdammten – nimmt im Verhältnis zu den übrigen Teilen überproportional viel Platz ein. Die eigentliche Liebesszene zwischen Francesca und Paolo ist knapper gehalten und gerät in eine Siedehitze, bei der die Sänger gegen Rachmaninovs Orchesterapparat kaum eine Chance haben. Der Epilog ist im Vergleich zum Prolog ziemlich kurz ausgefallen.

Während sich bei Tschaikowsky die Musik gleichsam dem Stück anschmiegt, es mit impressionistischer Vorahnung erfüllt und mit feinen romantischen Zügen verhaltener Schwermut koloriert, ehe sie in ein strahlendes Schlusstableau mündet, erdrückt Rachmaninov das Drama und die Singstimmen mit einem dominanten, symphonisch aufrauschenden Orchester. Schon allein deshalb dürfte das Werk besser in den Konzertsaal als auf eine Opernbühne passen.

Zudem schafft sein Versuch, die „Hölle“ aus Musik zu „bauen“ – durchzogen von den wortlos „gesummten“ Klagelauten des Chores – einen speziellen „Klangraum“, dem im Theater an der Wien auf Grund seiner geringeren Größe die akustischen Expansionsmöglichkeiten fehlten. Rachmaninows hochromantische, üppige und mit Wagner-Anklängen durchsetzte Musik baut sich sozusagen seine Bühne selbst, man kann diese Hölle hörend „schauen“ – eine szenische Umsetzung tendiert hingegen leicht dazu, die dramaturgischen Schwächen des stark oratorienhaft angelegten Werkes zu entblößen.

Nachdem Kirill Petrenko krankheitsbedingt abgesagt hatte, kam für diese Aufführungsserie Vassily Sinaisky zum Zug, Musikdirektor des Bolshoi Theaters. Sinaisky brachte für Tschaikowsky viel Gefühl auf, ohne dabei sentimental zu werden, und erweckte die beiden Stücke zu einem soliden Bühnenleben. Rachmaninovs Extasen sprengten allerdings den Rahmen des Hauses und hätten seitens des Orchesters eine feinnervigere Interpretation vertragen. Für das ORF Radio Symphonieorchester ist meiner Meinung nach dieses schwerblütige romantische Repertoire ohnehin nicht die beste Option.

Olga Mykytenko sang die weiblichen Hauptrollen – Iolanta und Francesca. Sie hat bereits vor zehn Jahren in der eingangs erwähnten „Sommer-Produktion“ die Iolanta verkörpert. Ihrem schon leicht abgeblühten, eher metallisch timbrierten Sopran hätte mehr poetische Überhöhung und eine sinnlichere Farbgebung gut getan. So blieben die Rollenportraits nüchtern und hinter dem „romantischen“ Anspruch der beiden Werke zurück.

Saimir Pirgu hat mit dem Grafen Gottfried von Vaudémont und dem Paolo einen Ausflug ins slawische Fach unternommen. Der vor wenigen Jahren noch sehr lyrische Tenor des Sängers hat „zugelegt“, vor einem Jahr hat Pirgu an der Staatsoper einen bemerkenswerten Don Ottavio gesungen, aber an diesem Abend bewegte er sich meiner Meinung nach stets am Limit. Beide Partien benötigen lyrisch versierte Tenöre mit nicht geringer Strahl- und Durchsetzungskraft. Pirgu hat sich diese mit viel Energieaufwand „ersungen“ und respektabel durchgehalten. Aber die Frage, ob diese Rollen für seine Stimme nicht zu früh kommen, sei erlaubt.

Die beeindruckendste Leistung bot an diesem Abend Dmitri Belosselski: als König René und Lanceotto. Belosselski hat die Partie schon bei der erwähnten konzertanten Aufführung im Konzerthaus gesungen. Bereits damals war sein kräftiger, etwas rauher Bass positiv aufgefallen. Er sang den Lanceotto mit mächtigem Grimm und gab auch einen gesangesgewaltigen Vater Iolantas.

Elchin Azizov, ein Bariton aus Aserbeidschan, ließ als maurischer Arzt in der Iolanta aufhorchen. Tschaikowsky hat diesem Arzt eine „philosophische“ „Arie“ gewidmet, die von Azizov gut gestaltet vorgetragen wurde. Die übrige Besetzung fungierte hauptsächlich als kürzerer oder längerer Stichwortgeber und hinterließ eher positive Eindrücke (etwa Svetlana Shilova als Martha, Dalibor Jenis als sinnenfreudiger Herzog Robert von Burgund) oder blieb eher indifferent in ihrer Wirkung.

Das Regieteam um Stephen Lawless hat der Versuchung nicht widerstehen können, die beiden Werke miteinander zu verknüpfen. Und so wurde die königliche Gesellschaft der „Iolanta“ im Finale von Rotgardisten bedroht – und in der Pause wurde im Theater an der Wien der historische Übergang vom in der Provence angesiedelten Zarenreich zur Sowjetunion vollzogen. Denn die Hölle der „Francesca da Rimini“ stand ganz im Zeichen eines roten Sterns, der von der Bühne leuchtete, und Lanceotto war von Lawless ein wenig in die Nähe Stalins gerückt worden.

Das Personal der lolanta wurde dementsprechend für den Rachmaninow-Einakter übernommen: die zaristische Gesellschaft der bedrückenden Sowjetherrschaft überantwortet und „geknechtet“. Dieses Konzept barg allerdings eine gewisse Inkonsequenz – denn muss Iolantas Religiosität und Feudalstruktur vor dem Hintergrund der „Francesca“ nicht wie das Paradies erscheinen? Jedenfalls wurde der positive Schluss der Iolanta durch das Auftreten der Rotgardisten, die das Bühnenpersonal mit Gewehren bedrohten, zerstört. Im Finale der „Francesca da Rimini“ legte sich Francesca wieder die transparente Augenbinde um, die die blinde Prinzessin getragen hatte – eventuell dem im Libretto zitierten Satz gemäß: „Es gibt keinen größeren Kummer in der Welt als die Erinnerung an das Glück in den Zeiten des Elends.“? Dadurch wurde die künstliche Klammer zwischen den beiden Werken geschlossen.

Die Bühne (Benoit Dugardyn) bestand aus zwei wesentlichen Elementen: einer im Querschnitt nach vorne offenen Kugel und einem Metallgerüst. Die Kugel sah von außen wie ein Öltank oder eine Raumkapsel aus. In der Kugel befand sich das in Weiß gehaltene Paradies Iolantas beziehungsweise eine Art Registratur mit Regalen voller gleichförmiger, mit oranger Farbe „berückter“ Bücher oder Verzeichnisse. Dort gaben sich Francesca und Paolo den letalen Kuss.

Zuerst im Hintergrund, für „Francesca da Rimini“ in den Vordergrund gedreht, beherrschte eine hohe Metallkonstruktion mit Laufstegen die Bühne, mit kyrillischen Buchstaben das bekannte Motto verkündend: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.“ Zum Finale kam sogar die frontale Silhouette einer Lokomotive ins Spiel, die mit ihren drei Scheinwerfern ins Publikum leuchtete. Der Chor – also die armen Seelen – liefen über diese Metallkonstruktion, zogen sich aus (aber nicht ganz), zogen sich an, ein von den Rotgardisten bedrohtes Gewusel.

Noch ein Wort zur „Iolanta“: Die weiß ausgekleidete Kugel könnte genauso als Augapfel gedeutet werden, der nach der Heilung der Prinzessin mit kitschigen rosa, grün, lila Tönen ausgeleuchtet, die erlangte Sehkraft Iolantas symbolisierte. Der langlaufschibewehrte Auftritt von Graf Vaudémont und Herzog Robert von Burgund entbehrte nicht einer gewissen Komik. Zur Stärkung löffelte der Herzog Kaviar, ehe er sich ariös an seine Mathilde erinnerte, die balletös über die Bühne tanzte. Hier belebte sich die Szene der „Iolanta“ noch im Sinne eines ironisierenden Märchenkommentars. Später kippte alles wenig überzeugend in „Politische“.

Das Publikum nahm die Inszenierung mit Gelassenheit zur Kenntnis. Beim Antritt des Regieteams zum Schlussbeifall wurde nahezu ungerührt weitergeklatscht. Der Abend wurde überhaupt eher nüchtern aufgenommen. Die Bravorufe, die im Theater an der Wien oft inflationär ausfallen, hielten sich diesmal in deutlichen Grenzen. Ein „harter“ Kern erklatschte zwar ein nochmaliges Hochziehen des Bühnenvorhangs, doch da waren die meisten Besucher schon an der Garderobe damit beschäftigt, ihre Regenschirme zu identifizieren.

Fazit: Zwei eher selten gespielte Opern in praktikabler, aber wenig mitreißender szenischer Umsetzung; musikalisch gibt es ebenfalls Steigerungsbedarf. „Raritätensammler“ sollten sich diese Produktion nicht entgehen lassen.