Mit Tschaikowsky und Rachmaninow vom Märchentraum in den Gulag

(c) APA
  • Drucken

Theater an der Wien: Stephen Lawless inszeniert "Iolanta" und "Francesca da Rimini" zwischen guter alter Zeit und Straflager. Die musikalische Umsetzung gelingt gut, wenn auch nicht überragend.

Ein Märchen, in das die bittere Realität einbricht, der Übergang vom idealen Königreich in den kommunistischen Terror: So ähnlich verknüpft Stephen Lawless in seiner Inszenierung die Handlungsstränge des zuletzt freundlich bejubelten Doppelabends im Theater an der Wien mit zwei russischen Einaktern, belässt diesen aber zugleich ihre Eigenständigkeit.

Tschaikowskys letzte Oper „Iolanta“ und Rachmaninows „Francesca da Rimini“ mögen nämlich den Librettisten gemeinsam haben (Tschaikowskys Bruder Modest), unterscheiden sich jedoch stark: Auf die vorwiegend in lyrisch-schwärmerische Klänge gefasste Erzählung von der blinden burgundischen Königstochter, deren Seele erleuchtet werden muss, bevor sie das Augenlicht erlangen kann, folgt die (aus Dantes „Divina Commedia“ stammende) Geschichte des sündigen Liebespaares Francesca und Paolo, die sich zwischen angstvoll-herben Klagen des zweiten Höllenkreises dramatisch aufbäumt. Die szenische Verbindung im wandlungsfähigen, sich oft drehenden Bühnenbild (Benoît Dugardyn) funktioniert in manchen Belangen, in anderen nicht – oder zumindest nur, wenn man Widersprüche als poetische Sollbruchstellen zu akzeptieren bereit ist.

Sturm der Roten Armee

Gut, dass das Märchen, optisch zwischen Hochzeitstortenzuckerguss und Schneekugelinterieur in wohliges Weiß gebettet, trotz einer Nuance zu viel an Realismus insgesamt eine passende Naivität ausstrahlen darf, bevor während des oratorienhaften „Iolante“-Schlussjubels die Rote Armee mit Gewehr im Anschlag hereinstürmt. Und noch besser, dass nach der Pause folgerichtig ein Gulag der Dante'schen Hölle ein diesseitiges, damit unmittelbar verständliches Gesicht gibt: „Francesca da Rimini“ wirkt wesentlich stärker und konziser gearbeitet. Nur nimmt Lawless, der sich hier von den Filmen „The Truman Show“ und „Das Leben der Anderen“ hat inspirieren lassen, mit seiner löblichen Koppelung der Stücke einige Missverständnisse und Unstimmigkeiten in Kauf, etwa die Gleichsetzung des zaristischen Russland mit einer (weitgehend) heilen Welt. Bewegend, wenn Francesca im höllischen Straflager sich zuletzt wieder die Augenbinde der Iolanta anlegt – nur schade, dass die „Francesca“-Nebenhandlung mit Dante (Ladislav Elgr), der in der Rückblende das Liebespaar à la Ulrich Mühe bespitzelt, zuletzt in der Luft hängen bleibt.

Vielleicht lag es aber auch am Fehlen ganz großer Sängerpersönlichkeiten, die in „Iolanta“ das Heft an sich gerissen und damit verhindert hätten, dass die Partitur immer wieder wie eine symphonische Dichtung für Harfe, Orchester und obligate Singstimmen wirkte.

Dabei hat Saimir Pirgu an heldenhaftem Stamina gewonnen und sich doch die Fähigkeit zu zarten Phrasen bewahrt, stellte aber zunächst weniger den Vaudémont als einen alle Klischees bedienenden Opernsänger dar, bevor er als Paolo bessere Figur machte. An seiner Seite zeigte Olga Mykytenko (Iolanta/Francesca) ihre Stärken in lyrisch erblühenden, verletzlichen Kantilenen, insgesamt hätte eine fülligere, robustere Stimme nicht geschadet. Überwiegend Erfreuliches von den unteren Registern: Dmitry Belosselsky (René/Malatesta) verströmte eine etwas vordergründig orgelnde, aber bis auf die tiefsten Töne wirkungsvoll profunde Bassautorität, Elchin Azizov war ein eindringlich-prägnanter, geschmeidig tönender Ibn Hakia, nur Dalibor Jenis als passend oberflächlich gezeichneter Robert fiel dagegen ab. Das restliche, von der noblen Svetlana Shilova (Martha) angeführte Ensemble sang so tadellos wie der Schoenberg-Chor. Mit sicherer Hand zusammen hielt dies alles Vassily Sinaisky vom Bolshoi-Theater Moskau, der für den erkrankten Kirill Petrenko eingesprungen war: Bis auf ein paar Kleinigkeiten spielte das RSO Wien sonor und erfreute mit schönen Soli von Holzbläsern und Cello. Kein großer, aber ein erfreulicher Abend.

Noch bis 31.Jänner, live auf Ö1 am 21.Jänner um 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.