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„Ein internationaler Skandal“: Künstler stellen Strafanzeige gegen Salzburger Festspiele

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Salzburger Festspiele
Dunkle Wolken über der Hofstallgasse: Das Finanzgebaren der Salzburger Festspiele wird nun vor Gericht verhandelt. © API (c) Michael Tinnefeld

Die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler sind mit ihrer Geduld am Ende. Weil ihr Zivilverfahren gegen die Salzburger Festspiele bereits fünfmal verschoben wurde, hat die österreichische Initiative „art but fair UNITED“ um den Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke am Donnerstagabend Strafanzeige gegen das Festival gestellt. Noch immer, so der Vorwurf, weigerten sich die Festspiele Ausfallhonorare aus den Corona-Jahren zu zahlen (Statement der Festspiele am Ende des Interviews).

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke von der Initiative „art but fair UNITED“. © Stephan Rumpf

Sie erheben Ihre Vorwürfe gegen die Festspiele schon seit Längerem. Spüren Sie eine Art von Einsehen auf der Gegenseite?

Nein. Die Vorgänge um den „Jedermann“, als man sich kürzlich von einem für 2024 vorgesehenen Team trennte, haben gezeigt: Salzburg ist immer noch der Meinung, dass man wie schon in der Corona-Zeit widerrechtlich mit Künstlerverträgen umgehen kann. Intendant Markus Hinterhäuser hat das bisherige „Jedermann“-Ensemble im vergangenen Juli für 2024 wieder eingeladen, um es dann im Oktober in Gänze auszuladen. Und er hat sein Statement wiederholt, dass er im Corona-Jahr 2020 über 1400 Personen Arbeit gegeben habe, als die Festspiele im Gegensatz zu vielen anderen Kultureinrichtungen spielten. Als ob ihn das zur Auswahl berechtigen würde, 500 bis 600 Künstlerverträge willkürlich in der Luft zu zerreißen! Schließlich hat er Produktionen für 2020 auch abgesagt oder verschoben – die davon betroffenen Künstlerinnen und Künstler standen plötzlich ohne Engagement da.

Ihr juristisches Vorgehen gegen die Festspiele soll vor allem den Freischaffenden Recht verschaffen.

Genau. Es gab bekanntlich den Kulturlockdown im März 2020. Die Gewerkschaften in Österreich haben durchgesetzt, dass bei einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nicht das Corona-Risiko tragen müssen, sondern der Dienstgeber. Die einzige Berufsgruppe, die davon ausgenommen war, waren die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler. Üblicherweise gab und gibt es in den Verträgen der Freischaffenden nämlich eine Force-majeure-Klausel. Die besagt: Im Falle von höherer Gewalt wird das Risiko zu 100 Prozent auf die Künstlerseite abgewälzt. Unseres Erachtens ist das sittenwidrig, vor allem von Seiten öffentlicher Träger. Wir haben dann mittels einer Anwaltspetition Druck gemacht, es gab einen Runden Tisch mit den wichtigsten Kulturinstitutionen Österreichs. Die Salzburger Festspiele sprachen sich hier aber am stärksten gegen jegliche Kompensationszahlungen aus. Uns wurde immer gesagt: Nehmt doch Sozialhilfe in Anspruch, was für die meisten Künstler gar nicht gegangen wäre. Geradezu absurd war jedoch, dass Salzburg eine der wenigen Institutionen war, die Force majeure gar nicht in den Originalverträgen von 2020 drin hatte, also gab es überhaupt keine Rechtsbasis für eine Zahlungsverweigerung, selbst in einem Lockdown. Wir haben dann mit den österreichischen Bundestheatern als Pilotprojekt Ausfallzahlungen ausgehandelt. Salzburg durfte dann im Sommer 2020 bekanntlich stattfinden – und setzte plötzlich andere als bisher vorgesehene Produktionen an.

Warum wird bei Ihrem Vorgehen die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor so hervorgehoben?

Weil dieser Fall schriftlich dokumentiert ist. Ganz allgemein teilte Salzburg den Künstlerinnen und Künstlern mit, dass die Geschäftsgrundlage aufgrund behördlicher Vorgaben entfallen sei. Der auf fünf Jahre laufende Rahmenvertrag mit der Konzertvereinigung zum Beispiel „sei für diese Saison aufgelöst“. Auf Basis dieses Vertrags hatte die Konzertvereinigung aber schon Zusatzmitglieder rekrutiert, 150 Personen waren das. Die probten zum Teil schon seit Herbst 2019 für komplizierte Stücke wie Nonos „Intolleranza“. Es gab sogar Kostümanproben. Was wir Salzburg vorwerfen: Die Festspiele beriefen sich auf das Entfallen der Geschäftsgrundlage für diese Verträge – obwohl es nur infektionstechnische Auflagen wie Publikumsgröße oder Maskenpflicht gab. Künstlerisch hatte Salzburg weiterhin totale Freiheit. Von sieben geplanten Opernproduktionen wurde nur eine übernommen, eine andere sogar „spontan“ angesetzt, ohne die bereits engagierten Sängerinnen und Sänger zu berücksichtigen. Rechtlich gesehen gab es also eine Zahlungspflicht für die abgesagten und verschobenen Produktionen.

Gab es Druck seitens der Festspiele auf Künstlerinnen und Künstler?

Es gab die berüchtigten Einzelgespräche, die nun auch dem „Jedermann“-Ensemble quasi „angedroht“ wurden. Das Ergebnis dieses Drucks war, dass man die Produktionen von 2020 einfach kompensationslos verschob, selbst bei Komplettabsage gab es keine Auszahlungen. Was bedeutete: Die Einkünfte für Künstlerinnen und Künstler waren auf Null gesetzt! Keiner wusste doch damals, wie lange das mit Corona noch weitergeht. Die Bregenzer Festspiele haben ähnlich gehandelt, wenn auch nicht so krass. Die Einzigen, die Kompensationen zahlten, waren die Festspiele in Mörbisch.

Wie optimistisch sind Sie, dass Sie mit Ihrem juristischen Vorgehen Erfolg haben?

Nach unserer Strafanzeige muss natürlich die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufnehmen. Und da es sich um einen internationalen Skandal handelt, kann ich es mir nicht vorstellen, dass in Österreich nicht rechtlich dagegen vorgegangen wird. Alle unsere Anschuldigungen, was den Präzedenzfall der Konzertvereinigung betrifft, basieren auf schriftlichen Zeugnissen. Und im Falle von Solistinnen und Solisten wissen wir es aus mündlichen Berichten. Nach unseren Berechnungen gehen wir von einer Schadenshöhe von 1,5 Millionen Euro nur im Chorbereich aus, darunter der Großteil prekär Beschäftigte, für die Salzburg ein Drittel des Jahreseinkommens ausmachte. Und schon ab 300 000 Euro handelt es sich ja in Österreich um schweren Betrug.

Warum gibt es keinen Aufschrei unter den Sängern?

Weil sich niemand traut. Salzburg hat einfach eine enorme Macht. Sie müssen sich vorstellen, dass seinerzeit die Festspiele quasi die einzigen waren, die spielen durften. Da wollte es sich keiner mit ihnen verscherzen – weil Engagements andernorts noch unsicherer waren. Diese Machtposition auf unverschämte Weise ausgenutzt zu haben, disqualifiziert den Intendanten Markus Hinterhäuser und den kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz.

Was erhoffen Sie sich von Ihrer Klage über mögliche Kompensationszahlungen hinaus?

Es soll ein Fanal sein auch für andere Intendanten. So darf man nicht mit Künstlerinnen und Künstlern umgehen. Man kann die Sache nicht einfach aussitzen, wie es Festspiele und Kulturpolitik in Österreich seit mittlerweile drei Jahren tun.

Hat Ihre Klage einen Einfluss auf die Verlängerung von Markus Hinterhäusers Vertrag? Dieser gilt bis 2026.

Mit Sicherheit. Wenn die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen und Korruption gegen den Intendanten und den kaufmännischen Direktor ermittelt, dann ist Herr Hinterhäuser als Festivalchef nicht mehr zu halten. Es ist zu hoffen, dass eine neue Interimsfestspielführung dann aufräumt und Salzburg wieder mit Kunst glänzen kann – und nicht mit Skandalen.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Das sagen die Salzburger Festspiele:
Intendant Markus Hinterhäuser und der Kaufmännische Direktor Lukas Crepaz verwahren sich „aufs Schärfste gegen den unhaltbaren Vorwurf eines strafbaren Verhaltens“ . Dies teilten die Salzburger Festspiele mit. Die Behauptungen der Künstlerinitiative „art but fair UNITED“ seien falsch. „Ein solches Vorgehen macht uns fassungslos und betroffen, gerade weil wir unter Aufnahme eines persönlichen Risikos über 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, davon rund 900 Künstlerinnen und Künstlern, in arbeitslosen Zeiten Beschäftigung gegeben und damit ein vitales Zeichen der Kunst in die Welt gesendet haben.“ Die Programmgestaltung im Corona-Sommer 2020 und damit auch die Absage beziehungsweise Verschiebung einzelner Produktionen wird damit begründet, dass diese undurchführbar gewesen seien wegen der Covid-19-Bestimmungen. „Ob der Zusatzchorist der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, der im November letzten Jahres als einziger Künstler Klage gegen den Salzburger Festspielfonds erhoben hat, in einem Arbeitsverhältnis zu diesem gestanden ist und daraus Ansprüche ableiten kann, ist allein durch das Arbeits- und Sozialgericht Wien zu entscheiden.“ Zahlungsverpflichtungen aus Engagements gegenüber Künstlerinnen und Künstlern im Sommer 2020 seien „selbstverständlich“ erfüllt worden. Hinterhäuser und Crepaz erwägen nun aufgrund dieser in ihren Augen falschen und ehrenrührigen Behauptungen ihrerseits Privatklage wegen übler Nachrede. Auch denke man an eine zivilrechtliche Klage wegen Kreditschädigung.

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