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Dirigent Enrique Mazzola: „Mein zweites Puccini-Leben bei den Bregenzer Festspielen“

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Enrique Mazzola
Enrique Mazzola wurde in Barcelona geboren und wuchs in Italien auf. Er ist seit 2021 Musikdirektor der Oper Chicago und in Bregenz „Conductor in Residence“. © Eric Garault

Nach 59 Minuten war bekanntlich Schluss bei der Freiluft-Premiere von „Madame Butterfly“. Mittlerweile hat Enrique Mazzola einige vollständige Aufführungen der Puccini-Oper bei den Bregenzer Festspielen hinter sich. Seit diesem Sommer ist der  54-jährige Italiener dort „Conductor in Residence“.

Was ist das für ein Gefühl, wenn die Aufführung abgebrochen wird?

Wir spielen ja im Festspielhaus, der Klang wird nach draußen übertragen. Und drinnen habe ich nicht mitbekommen, dass dieser Sturm aufzieht. Aber so sind die Regeln eben, es geht darum, das Publikum zu schützen. Es hat mich nicht zu stark getroffen. Okay, es war eine Premiere. Aber wenn open air gespielt wird, gehen wir einen Vertrag mit der Natur ein. Und letztlich entscheidet sie.

Dirigiert man anders, wenn das Publikum dann bei der Ersatz-Aufführung im Festspielhaus sitzt?

Ja. Man muss sich nicht dauernd um die Balance und viel weniger um Koordination kümmern. Im Grunde erschafft der Tontechniker den „Butterfly“-Klang, wenn alles draußen stattfindet – natürlich unter meiner Aufsicht. Während der Proben dirigiert drinnen manchmal ein Assistent die Wiener Symphoniker, damit ich draußen höre, wie der Klang ankommt. Bei einer Indoor-Aufführung ändert sich die Dynamik, überhaupt die Konversationsstruktur mit den Sängern. Es wird auf einmal fast zur Kammermusik. Bei der Freiluft-Aufführung bieten wir dem Sänger ein Tempo an, sind aber nicht hundertprozentig sicher, ob er es erwischt – was von vielerlei Komponenten bis hin zum Wind abhängt.

Also macht es drinnen vielleicht sogar mehr Spaß, auch weil man das Publikum spürt?

Ich liebe Bregenz, schon von der Grundkonzeption des Festivals her. 7000 Leute erleben hier Oper, vielleicht sogar zum ersten Mal. Und ich bin stolz darauf, dabei mitwirken zu dürfen. Und natürlich ist es ein Minuspunkt, dass ich drinnen dieses große Publikum nicht spüre. Insofern war die abgebrochene Premiere eine Art vollständiger Abend für mich: Zunächst könnten wir das Potenzial der Show draußen zeigen, dann das komplette Potenzial unserer musikalischen Interpretation.

Ist Puccini ein gefährlicher Komponist für Dirigenten, weil man sich seiner Emotion hingibt und sie damit verdoppelt?

Für uns Italiener ist das nicht so kompliziert. Wir wurden gefüttert mit dieser Musik, haben sie auch eingeatmet. Es gibt keinen Takt mit einem feststehenden Tempo. Alles muss sehr flexibel entwickelt werden. Das ist schwierig, dabei hilft der Instinkt. Ich habe Puccini 20 Jahre lang nicht dirigiert und kehre jetzt zu ihm zurück. Ich wurde zuvor zu einer Art Belcanto-Spezialist, dann gab es eine Verdi-Phase, ich entdeckte auch die Grand Opéra für mich. Als ich Chefdirigent in Chicago wurde, war klar, dass ich mich gerade wegen der nun erforderlichen Breite des Repertoires wieder Puccini zuwende. Ich starte also mein zweites Puccini-Leben in Bregenz.

Nikolaus Harnoncourt sagte, um Bruckner dirigieren zu können, müsse man die Berge und Täler Österreichs erfahren haben. Gibt es Ähnliches beim italienischen Repertoire?

Es dreht sich hier nicht um Landschaften. Eher um Gefühle und Liebe. Um die ausgeprägten emotionalen Äußerungen. Es geht hier also um menschliche Landschaften.

Was bedeutet eigentlich „Conductor in Residence“? Sind Sie nun der Bregenzer Chefdirigent?

Absolut nicht. Intendantin Elisabeth Sobotka und ich führen schon immer intensive Gespräche über das mögliche Bregenzer Repertoire. Und nun wollten wir uns vor allem Gedanken darüber machen, wie wir ihre letzten drei Jahre am Bodensee feiern können. Das hat sich aus einer Freundschaft heraus entwickelt, nicht nur mit ihr, sondern mit dem gesamten Team. Es geht also nicht um einen Chefposten, sondern um eine längere, intensive Anwesenheit in drei Sommern. Ich bin pro Jahr für jeweils zwei Monate in Bregenz. Das ist eine lange Zeit, wenn man sich die typischen Terminkalender von Dirigenten mal anschaut. In dieser Zeit geht es auch um die Verbesserung der Ton-Anlage, um die Beziehung zu den Gesangssolisten oder um Konzerte mit den Wiener Symphonikern.

2023 Jahr dirigieren Sie „Madame Butterfly“ und die Festspielhaus-Premiere von Verdis „Ernani“. Klingt nach Stress.

Na ja, „Butterfly“ wird „nur“ wiederaufgenommen, es gibt außerdem Kontinuitäten bei den Sängern. Das ist nicht sooo stressig. Am Ende dieser Residenz werde ich vier Opern in drei Sommern dirigiert haben.

2019 haben Sie hier mit „Rigoletto“ Ihre erste Freiluft-Oper dirigiert. Was mussten Sie am meisten lernen dabei?

Man hat bei diesen Aufführungen keinen Augenkontakt mit den Sängern. Das ist aber eine der Grundzutaten für musikalische Interpretation. Also musste ich lernen, in der fünfwöchigen Probenzeit alles vorzubereiten – und das mitlmeuf einer dreifachen Besetzung und damit einer dreifachen Art zu singen. Wir mussten versuchen, das musikalische Konzept zu vereinheitlichen und dabei die unterschiedlichen Möglichkeiten der Sänger zu berücksichtigen. Meine Puccini-Idee war: nicht zu viel Honig, nicht zu viel Gefühligkeit, nicht zu viele Extravaganzen. Es gibt doch ein grundsätzliches Problem: Es ist sehr einfach, eine überpersonalisierte Interpretation abzuliefern, wie es manche Dirigenten tun. Viel schwieriger ist es, streng mit sich selbst zu sein und darüber zu reflektieren, was der Komponist wirklich wollte. Überpersonalisierung zerstört die Wahrheit der Partitur.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

„Madame Butterfly“
läuft noch bis 21. August (bregenzerfestspiele.com) und ist auch in der ZDF-Mediathek abrufbar.

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