Als Inszenierungsteam bezeichnen sich Anna Viebrock, Jossi Wieler und Sergio Morabito. Jetzt bringen sie Wagners „Meistersinger“ zur Premiere.

Gleich drei Namen finden sich auf dem Besetzungszettel unter „Inszenierung“. Das ist ungewöhnlich. Das Team aus Regisseur Jossi Wieler, Bühnenbildnerin Anna Viebrock und Dramaturg Sergio Morabito will gleichberechtigt Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ in der Deutschen Oper inszeniert haben. Am heutigen Sonntag ist die Premiere.

Was bereitet Ihnen Bauchschmerzen bei der Inszenierung?

Jossi Wieler Man könnte erstmal sagen, was keine Bauchschmerzen macht. Obwohl das Werk zunächst monumental wirkt, ist es aus kammerspielhaften Szenen aufgebaut. Darin spürt man den großen Theaterautor Wagner, der ambivalente Figuren zeichnet, die uns eine breite Interpretationspalette gestatten.

Anna Viebrock Ich dachte zuerst, bitte nicht dieses Stück. Aber dann meinte Sergio, es hätte etwas mit Kafka zu tun: Dass nämlich ein Außenseiter eine Welt betritt, die nach irrsinnigen, ihm undurchschaubaren Gesetzen und Ritualen funktioniert. Da musste ich zusagen. Aber es gibt auch genügend Gründe, Wagner nicht machen zu wollen. Wir wissen um Wagners unsägliche theoretische Einlassungen, um sein Pamphlet „Das Judentum in der Musik“. Und die Schlussszene mit Sachsens Brandrede gegen alles als undeutsch Gebrandmarkte ist schon schwierig.

Sergio Morabito Sachs singt in seiner „Habt Acht!“-Brandrede plötzlich wie Wotan. Ganz ähnlich wie das musikalische Säbelrasseln im ersten „Lohengrin“-Akt straft die Musik die angeblich defensive – hier: kulturelle – Selbstverteidigungsbehauptung Lügen. Genau das muss man thematisieren. Es gibt eine gewisse Übervorsicht im Umgang mit den Werken Wagners, weil alle immer denken, wir müssen im Theater das Positive zeigen, damit der Zuschauer sich mit einer Botschaft identifizieren kann. Nein, man muss sich den Abgründen Wagners stellen. Wagners eigene Zuschreibungen von Gut und Böse, von Licht- und von Nachtgestalten funktionieren heute nicht mehr. Sachsens penetrante Sympathieträger-Züge haben etwas Populistisches, und darunter schlummert Wagners völkisches Paradigma. Wagner ist ein Chefideologe des völkischen Narrativs. Aber wir spielen ja eine Oper nicht, weil wir uns mit der Message eines Komponisten identifizieren, sondern weil er ein an Widersprüchlichem reiches Material bereitstellt, das von uns eine Antwort erwartet.

Viebrock Das erinnert mich an unseren Salzburger „Lohengrin“, wo jemand in der Premierenpause fragte, wo denn die Erlösung bliebe?

Morabito Erlösung heißt immer, dass man von etwas erlöst werden muss. Das ist der ideologische Kern. Paul Bekker schrieb in seinem Wagner-Buch „Das Leben im Werke“, dass im Zentrum der Wagnerschen Kunst die Auflösung der Dissonanz in die Konsonanz steht. Das ist die musikalische Handlung, die er erzählen will. Und es findet sich bei Wagner auch die Formulierung, dass der Jude die Dissonanz der Welt sei. Es sind also komplexe Zusammenhänge, die uns gegen die apotheotische und narzisstische Selbstfeier, die Wagner immer wieder anbietet, hellhörig machen sollten.

Wie politisch sind „Die Meistersinger“?

Wieler Ich würde das Stück eher als gesellschaftsideologisch bezeichnen. Es zeigt, wie sich eine Gesellschaft zunächst über einen sanften, dann aber auch zunehmend aggressiven und militanten Reformismus verwandelt. Sachs ist ein Reformer, er ist aber auch getrieben von einem Machtanspruch, der seine emotionalen und erotischen Verluste kompensieren soll. Bei Wagner sind alle Figuren äußerst widersprüchlich, sowohl die Frauen als auch die Männer. Aber es bleibt Fiktion, die Oper zeigt nicht, wie die Welt ist, sondern stellt Fragen an sie. Das ist das Beste, was Theater tun kann.

Sie hätten auch widersprechen können und sagen, es ist zuerst eine Künstleroper?

Morabito Das ist es auch, aber alle Werke Wagners sind Künstleropern, bei ihm ist „the medium“, also das Gesamtkunstwerk, „the message“. Er hatte das Bedürfnis, das eigene Schaffen permanent zu überhöhen und ihm eine nationalpolitische Bedeutung zuzuschreiben. Wenn wir Wagner machen, spüre ich immer, dass er eigentlich mit keinem anderen Opernkomponisten verglichen werden kann. Für die andern geht es um Musizieren, um Singen und um Theater spielen. Wagner genügt das nicht. Die „Meistersinger“ sind mit einem totalitären Anspruch unterlegt, Wagner vereinnahmt die ganze musikalische Tradition von Bach über Beethoven als Hinführung zu seiner eigenen Kunst, die er im Finale der Oper als angeblich „heilige deutsche Kunst“ feiern lässt.

Der kleinlich-pedantische Meistersinger Beckmesser wird als eine Judenkarikatur des Antisemiten Wagner verstanden. Was ist er bei Ihnen?

Wieler Er ist einer der zwölf Meister, der zweifellos etwas kann und dessen Kunst wir ernst nehmen müssen.

Viebrock Beckmesser wird oft als albern vorgeführt, dabei kommt bei seinem Auftritt beim Preissingen etwas in ihm hoch, was in ihm nach Ausdruck sucht und seine eigene Situation mit ganz avantgardistischen Mitteln artikuliert. Man muss ihm erst einmal zuhören.

Wird die Oper denn bei Ihnen zu einer Dystopie?

Wieler Sie endet jedenfalls mit einem großen Fragezeichen.

Wofür steht Nürnberg in Ihrer Inszenierung? Und wie weit spielen Hitler und die Rezeptionsgeschichte eine Rolle?

Wieler Bei Shakespeare ist mit Venedig nicht konkret Venedig gemeint, und Nürnberg muss bei Wagner nicht Nürnberg sein. Es bleibt trotz der historischen Bezüge eine Fiktion.

Viebrock Bei uns spielt die Oper in einer Musikhochschule. Und es ist egal, in welcher Stadt sie steht. Uns interessiert die Rezeptionsgeschichte, aber wir wollen diese nicht über eindeutige optische Signale zitieren.

Morabito Die Rezeptionsgeschichte ist den „Meistersingern“ eingeschrieben, das müssen wir gar nicht mit irgendwelchen Hakenkreuzen szenisch „dechiffrieren“. Die „Heil“-Chöre sprechen leider für sich, dazu muss man gar keine nationalsozialistische Volksgemeinschaft abbilden. Uns interessieren die Prozesse, die in diesem Mikrokosmos Nürnberg oder besser in Dr. Pogners Konservatorium stattfinden.

Und in welcher Stadt steht das Konservatorium, wenn nicht in Nürnberg?

Viebrock Das Bühnenbild ist inspiriert von der Musikhochschule in München, die sich seit dem Krieg im ehemaligen „Führerbau“ der NSDAP befindet. Das ist ein kontaminierter Ort. Wir beschäftigen uns aber mit dem subkutanen Machtmissbrauch in solchen Instituten. Wir wollen nicht abbilden, was alle schon zu wissen glauben. Der Saal ist holzgetäfelt, und die meisten werden ihn gar nicht zuordnen können. Diese Hochschule ist nur eines der vielen akademischen Gebäude, wo Studierende mit Angst zum Unterricht schleichen.

Um welche Art Machtmissbrauch geht es? Vor einigen Jahren erst war ein Münchner Rektor wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Wieler Auch hier vermeiden wir eindeutige Anspielungen. Uns geht es um das toxische Klima, das alte patriarchalische Gesellschaften tradieren.

In den Ankündigungen werden Sie Drei gleichberechtigt als Inszenierungsteam genannt. Warum?

Wieler Anna und ich arbeiten seit 40 Jahren zusammen. Und als ich 1993/94 das erste Mal Oper machte, kam Sergio hinzu, der in Stuttgart Dramaturg war. Seither arbeiten wir in der Oper gleichberechtigt zusammen. In unsere Vorbereitungstreffen bringt jeder seine Gedanken, Assoziationen und Materialien ein. Von uns dreien bin ich zunächst immer der Zuhörer.

Ist die Arbeitsteilung von den Theatern nicht vorgegeben, weil das Bühnenbild schon lange vor den Proben gebaut werden muss?

Viebrock Aber wir lassen nur etwas bauen, was wir gemeinsam richtig finden. Man verantwortet als Bühnenbildnerin eine ganze Menge. Für mich gehören zu einem guten Bühnenbild ebenso die Kostüme. Es geht immer um die Menschen, die sich darin bewegen.

Kann man in Ihrer Teamarbeit eine Art Zeittrend ausmachen?

Wieler Oper ist die arbeitsteiligste Kunstform überhaupt. Wir machen das nicht, weil es gerade en vogue ist, in Teams zu arbeiten. Man spricht heute sehr viel darüber; tatsächlich scheint sich aber nur sehr wenig zu verändern. Und wir Drei haben oft extrem dissonante Meinungen und Haltungen, und die muss der eigene Narzissmus erst einmal aushalten können. Bei uns gehört das zur Arbeit und ist Voraussetzung dafür, dass ein komplexer szenischer Reichtum entstehen kann.

Sie sind an verschiedenen Häusern unterwegs. Was müsste aus Ihrer Erfahrung strukturell verändert werden? Und was unbedingt gestärkt?

Wieler Was wieder mehr belebt werden sollte, weil es im internationalen Betrieb immer mehr geschwächt wird, ist der Ensemblegedanke. Die deutsche Theaterlandschaft funktioniert über das Repertoire und die Sängerensembles. Früher erfolgte die Identifikation mit einem Opernhaus viel stärker über die Künstlerinnen und Künstler. Jetzt werden zunehmend reisende Sänger und Sängerinnen als Gäste verpflichtet.

Viebrock Mich beschäftigt die Situation der Werkstätten, die immer mehr zentralisiert oder ausgelagert werden. Es ist viel einfacher, wenn man für eine Änderung mal schnell in den Malersaal im Haus gehen kann. Jetzt muss man irgendwo hinfahren, es kostet mehr Zeit. Man merkt auch, dass in den Werkstätten die Identifikation mit dem, was auf der Bühne stattfindet, verloren geht. Es ist die Sensibilität im Umgang mit verschiedensten Ästhetiken, die durch zusammengelegte Bühnenwerkstätten auszusterben droht.