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Bühne und Konzert Kritik an Daniel Barenboim

„Ich habe unter ihm Schlimmstes durchmachen müssen“

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Der Regent und sein Arbeitsplatz: Daniel Barenboim im Saal der frisch sanierten Staatsoper in Berlin Der Regent und sein Arbeitsplatz: Daniel Barenboim im Saal der frisch sanierten Staatsoper in Berlin
Der Regent und sein Arbeitsplatz: Daniel Barenboim im Saal der frisch sanierten Staatsoper in Berlin
Quelle: dpa
Dirigenten-Dämmerung an der Berliner Staatsoper? Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper, soll über Jahre Mitarbeiter und Musiker vorgeführt, beleidigt und körperlich angegangen haben. Es zeigen sich ernsthafte Risse in der Schweigemauer.

Erleben wir eine Götterdämmerung? Das Online-Klassikmagazin „VAN“ hat kürzlich massive Vorwürfe gegen den Dirigenten Daniel Barenboim erhoben. Basierend auf den Aussagen von mindestens zehn, freilich anonym bleibenden, ehemaligen und noch aktiven Mitarbeitern respektive Musikern der von Barenboim geleiteten Berliner Staatskapelle. Barenboim, seit 1992 Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, sei launisch, aggressiv, ungeduldig, jähzornig, ungerecht.

Und er wende mitunter körperliche Gewalt an, schüttele, packe Mitarbeiter an. Eben kein moderierender Chef, eher ein absolutistischer Regent, ein Sonnenkönig mit unzeitgemäßen Umgangsformen.

Wer davon wissen wollte, wusste es längst. Viele schauten und hörten halt weg. Galt es hier nicht der Kunst? Eine stressige Probe, na und. Orchester ist kein Ponyhof. Und die Staatsoper steht heute wieder blendend da. Das ist und bleibt auch sein Verdienst.

Selbst bei den Philharmonikern unter Claudio Abbado (den heute, fünf Jahre nach seinem Tod, nicht wenige für einen Heiligen halten), wo Intendant Elmar Weingarten über die Klinge springen musste, weil er manchen, oft spontanen, unüberlegt öffentliches Geld verprassenden Größenwahnsinn verweigerte, wurde eigenmächtig durchregiert, hartnäckig Unmäßiges verlangt.

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Und bei Christian Thielemann in Dresden geht es, wie schon in Nürnberg, Berlin, München, kaum anders zu. Große Künstler, mitunter kleine Geister. Und teilweise mit sehr schlechter Kinderstube.

Auf WELT-Anfrage lässt die Staatsoper zu den aktuellen Anschuldigungen mitteilen: „Daniel Barenboim wird auf einen derartigen Artikel, der ausschließlich auf anonymen Denunziationen basiert, nicht reagieren.“ Dieser Versuch, sich einzuigeln, wegzuducken, hat bisher immer ganz gut funktioniert.

Doch jetzt zeigen sich ernsthafte Risse in der Schweigemauer. Die ersten wagen sich mit Klarnamen aus der Deckung. Donnerstag will der heutige Solopauker der Bayerischen Staatsoper, Willi Hilgers, in BR-Klassik des Bayerischen Rundfunks über Barenboim reden.

Depressionen, Bluthochdruck

„Ich habe unter ihm über viele Jahre Schlimmstes durchmachen müssen, und gesundheitliche Schäden wie Depressionen und Bluthochdruck waren die Folgen daraus. Schade, dass viele Geschädigte, sowohl innerhalb des Orchesters als auch außerhalb, sich jetzt nicht zu Wort melden, aus Angst vor einem Rausschmiss oder anderen Gründen.“ So schreibt er bereits auf Facebook.

Hilgers arbeitete zwischen 1998 und 2013 in gleicher Position wie jetzt in München bei der Staatskapelle Berlin, wurde nach eigener Aussage kurz nach Beginn der Zusammenarbeit von Barenboim vorgeführt und gedemütigt. Ein befreundeter Arzt hat über Jahre seine Behandlung dokumentiert. Auch Psychopharmaka habe er wegen seines cholerischen Chefs schlucken müssen. Der ihn, so Hilgers, sogar noch beleidigte, als er schon gekündigt hatte.

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Auf Hilgers’ Facebook-Account melden sich zustimmend auch der ehemalige Staatsopern-Posaunist Martin Reinhardt und die dort noch spielende Geigerin Beate Schubert. Die berichten von ähnlichen Vorfällen, selbst auf Tourneeproben vor anwesenden Journalisten.

Und noch andere wollen reden, während so manche aus dem engeren Barenboim-Zirkel, insbesondere einige Sänger, ihn vehement verteidigen; schließlich befördert bis heute jedes Barenboim-Engagement auch die eigene Karriere.

Eher doch noch keine Götterdämmerung. Aber in Berlin sollte man sich vielleicht endlich mal Gedanken machen, was nach 2022 sein wird. Da endet nämlich Barenboims Vertrag als Generalmusikdirektor. Da ist jetzt der Musik liebende Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gefragt. In möglichst transparenter Weise. Franz Welser-Möst, der leider aus gesundheitlichen Gründen die „Zauberflöte“-Premiere absagen musste, wäre ein möglicher Kandidat gewesen.

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Hoffentlich hat die Nachfolge-Suche schon begonnen. Denn ein dann 80-jähriger Daniel Barenboim, der sich weiterhin an die Macht klammert – kein schönes Bild. Weder für Berlin noch für ihn.

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