"Die starke Carmen inspiriert uns alle"

KaspeKasper Holten. Däne und Direktor der Covent Garden Opera.r Holten. Däne, Direktor der Covent Garden Opera, sorgte mit einem schrägen "Ring" für Aufsehen.
KaspeKasper Holten. Däne und Direktor der Covent Garden Opera.r Holten. Däne, Direktor der Covent Garden Opera, sorgte mit einem schrägen "Ring" für Aufsehen.Bregenzer Festspiele
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Kasper Holten inszeniert die Neuproduktion von Bizets "Carmen" auf der Seebühne in Bregenz und er ist überzeugt: "Alle Welt stürzt sich auf die Oper!"

Drei Divas für "Carmen" die Französin Gaelle Arquez, die Italienerin Annalisa Stroppa und die Ukrainerin Lena Belkina hat der dänische Regisseur Kasper Holten heuer zu (ver-)führen. Und das ist noch das Wenigste. Der Direktor der Covent Garden Opera in London inszeniert die Neuproduktion der Bizet-Oper auf der Seebühne für die Bregenzer Festspiele. Und er hat, wie er bekennt, wenig Erfahrung mit Freiluftspektakeln: "Aber ich habe schon eine Menge gelernt", erzählt der Däne, der einen so schrägen Wagner herausgebracht hat, dass die Aufführung "Der Kopenhagener Ring" genannt wird: Die hehren Helden wallen nicht im Überirdischen. Sie schauen ein wenig aus wie von Christoph Marthaler in ein Zimmertheater verbannt, aber sie bekommen dadurch etwas überraschend Menschliches.

Große Show. Was hat man also auf der Seebühne zu beachten? Holten: "Die Aufführung muss bei unterschiedlichen Wasserständen funktionieren. Und man muss bei der Arbeit bedenken, dass man für ein sehr großes Publikum spielt, also auch in der letzten Reihe muss man sehen können, was vorgeht. Die vielen Menschen sind auch eine tolle Chance. Man bringt ein Opernerlebnis zu einer richtig großen Masse. Einiges ist auch gleich bei Oper im Freien oder im geschlossenen Haus: Man muss das Publikum überzeugen!" Carmen, Don Jos , der sie liebt, und der Torero, der sie ihm wegnimmt, das ist ein klassischer Dreier, vielleicht einer der berühmtesten der Operngeschichte. Wie sieht Holten dieses Dreigestirn?

Freiheit als Fluch. "Carmen und Don Jos sind Außenseiter. Carmen besteht auf ihrer Freiheit, aber: Ist Freiheit auch ein Fluch?", fragt Holten. Und wie steht es mit dem Schicksal? "Überrollt es uns oder können wir es beeinflussen oder gar steuern? Wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen, ist das ein guter Weg, für uns, für die Gesellschaft, für die Moral, für die Hoffnungen in der Welt?" Holten will noch nicht zu viel verraten von seiner Inszenierung, er will das Publikum überraschen. Aber er hat sich schon überlegt, dass er eine Mischung aus historischer und modernder Interpretation zeigen wird, mit Kostümen aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Der Spanische Bürgerkrieg scheint ihm ein guter Background für "Carmen" zu sein, die Oper handelt ja auch davon, dass Menschen sich nicht mehr nur unterordnen, sondern eigene Wege gehen wollen.

Oper im Netz. Die Covent Garden Opera in London hat, fast noch mehr als die Wiener Staatsoper, eine starke Internetpräsenz. Zum Beispiel kann man mehr von den britischen Opernproduktionen auf der Netz-Plattform YouTube sehen. Die Gattung Oper wird immer wieder gern totgesagt, was einem beim Film oder bei der bildenden Kunst nie einfallen würde. Wie sieht Holten die Zukunft des Genres? "Wirtschaftlich ist die Oper an vielen Orten in einer Krise, weil die Subventionen schrumpfen. Aber Musiktheater an sich blüht wie nie zuvor. Neue Opernhäuser werden gebaut, von Skandinavien bis China. Menschen strömen zur Musik, in Südamerika ebenso wie in Bregenz." Es gebe ein paar Vorurteile, Oper sei für Senioren oder altmodisch, aber tatsächlich reißt "die rohe Kraft" vieler Werke wie "Carmen" die Menschen mit, denn die Oper rühre, so Holten, an "unsere tiefsten Gefühle", ja an die "Conditio humana". Gerade in Zeiten, in denen wir ständig "online sind, digital verbunden", sei es eine Erleichterung, "einmal abzuschalten, nicht nur das Handy", führt Holten weiter aus: "Wir sprechen viel, wir verstehen die Welt immer besser, wir analysieren alles. Aber wir brauchen die verschiedenen Kunstformen, weil wir dort erfahren, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein. In der Oper verbringen wir Zeit mit dem, was für unser Leben essenziell ist." Speziell Carmen sei eine inspirierende Persönlichkeit "für uns alle", betont Holten: "Carmen ist stark und unabhängig, sie will sich selbst definieren. Aber sie ist auch eine tragische Figur. Sie hat Angst davor, jemanden an sich heran und in ihr Herz zu lassen. Sie ist ein Symbol der Kraft, aber auch der Schwäche, und sie erinnert uns an etwas: Auch wir möchten frei sein, fürchten uns vor Entscheidungen und haben ständig Angst, dass wir etwas verpassen könnten."

Oper ohne Queen. Dem designierten Wiener-Staatsopern-Direktor, Bogdan Roscic, wird viel Skepsis entgegengebracht. Was hält Holten von Roscics Ernennung? "Dominique Meyer ist ein großartiger Operndirektor, ich finde es traurig, dass er in Wien aufhört. Bogdan Roscic kenne ich nicht, aber ich wünsche ihm alles Glück für diese wichtige Institution. Man muss immer vorsichtig sein mit Urteilen, neue Impulse sind wichtig, ich bin neugierig, was Bogdan Roscic sich einfallen lässt." Die Royal Opera in Covent Garden, die zwar den Herrscher im Namen trägt, aber "leider nur selten", so Holten, von der Queen besucht wird, sei gesegnet, was die Auslastung betrifft: "95 Prozent", sagt Holten: "Über das Londoner Opernpublikum und seine Begeisterung kann ich mich bestimmt nicht beschweren. Aber man muss natürlich immer kämpfen um die Aufmerksamkeit und das mache ich auch, nicht so sehr, weil wir mehr Publikum brauchen, sondern weil Oper für unser Leben so wichtig ist. Und ich mir wünsche mir, es könnten viele Menschen an diesem wundervollen Erlebnis teilhaben."

Tipp

Bregenzer Festspiele. Neuproduktion am See: "Carmen", Oper im Festspielhaus: "Moses in Ägypten" von Rossini, Konzerte (Philippe Jordan), Werkstattbühne: "To The Lighthouse" von Zesses Seglias. Opernstudio am Kornmarkt: Mozarts "Figaro". Gastspiel Yael Ronen, 19. Juli bis 20. August. www.bregenzerfestspiel.com

("Kultur Magazin", Print-Ausgabe, 14.4.2017)

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