Auch wenn in der "Zirkusprinzessin" weniger Alkohol fließt als erwartet, geht es bei Kálmán doch recht lustig zu.

Foto: Barbara Pálffy

Regisseur Thomas Enzinger.

Foto: Barbara Pálffy

STANDARD: "Die Zirkusprinzessin" zählt nicht zu den meistgespielten Werken von Emmerich Kálmán. Aus welchen Gründen würden Sie das Werk dennoch auf den Spielplan setzen?

Enzinger: Ich glaube, dass die Zirkusprinzessin ein unterschätztes Stück ist. Die Musik ist unglaublich vielfältig – fast noch vielfältiger als die der Gräfin Mariza! Da gibt es viele unterschiedliche Stilrichtungen, da gibt es große Melodien. Was das Libretto anbelangt, ist etwa bei der Csárdásfürstin ein durchgehender Fluss da, jenes der Zirkusprinzessin ist sperriger. Hier muss man erst den Kern suchen, ihn in einer Bearbeitung hervorholen.

STANDARD: Und was ist der Kern des Librettos?

Enzinger: Für mich ist die Zirkusprinzessin fast ein Vorgänger von House of Cards. Es geht weniger um Politik, aber um Macht, die man im privaten Bereich ausübt. Ich finde da vor allem die Figur des Prinzen Sergius interessant. Er wird oft verblödelt gezeigt, ich habe versucht, aus ihm eine ernsthafte Figur zu machen. Er schmiedet Intrigen, von ihm geht eine Gefahr aus. Das Schöne bei den Figuren von Kálmán ist ja, dass sie oft keine vollkommenen Menschen sind. Das sind Menschen mit Fehlern.

STANDARD: Das Stück spielt 1912, zur späten Glanzzeit der russischen und der österreichischen Monarchie. Es wurde 1926 in einer luxuriösen Ausstattung mit riesigem Erfolg im Theater an der Wien uraufgeführt – in einer Zeit, die durch hohe Arbeitslosigkeit und Inflation geprägt war. Die Operette als glamouröse Gegenwelt, als champagnergetränkter Fluchtort vor der nüchternen Realität?

Enzinger: Operette ist Hochglanz, und Operette ist immer auch ein Sehnsuchtsort – dabei sollte man es auch heute lassen. Ich versuche eine Mischform zu finden, ich versuche Ernsthaftigkeit und Ironie, überhöhte Bilder und wahrhaftige Menschen zusammenzufügen an einem Ort, an den man sich auch hinträumen kann – und zwar ohne dass man sich dafür schämen muss. Man muss es immer mit Haltung zeigen.

STANDARD: Im Wiener Hotel der Familie Schlumberger gibt es den Oberkellner Pelikan. Bei der Uraufführung hat ihn damals Hans Moser verkörpert, in Ihrer Inszenierung wird er nun von Robert Meyer gespielt.

Enzinger: Ich bin ein Fan von Robert Meyer, der ja ein sehr tiefsinniger Komödiant ist und ein Volksschauspieler. Ich hab früher schon seine Nestroy-Figuren am Burgtheater geliebt, und es ist wirklich schön, mit so jemandem zu arbeiten.

STANDARD: Die Musik – Sie haben es erwähnt – ist sehr vielfältig und bietet vom Slowfox über Shimmy-Blues, Walzer und Wienerlied bis zum russischen Brauttanz so einiges. Sie ist bei Alfred Eschwé wohl in den besten Händen?

Enzinger: Ja. Die große Herausforderung ist, dass sich die Art, wie man Operette spielt, verändert hat. Früher sind die Sänger mehr an der Rampe gestanden und haben die Nummern mit großer Stimme rausgeblasen. Das Orchester war verhältnismäßig stark besetzt. Heute hat sich die Spielform verändert: Alles ist persönlicher, zurückhaltender geworden. Und so muss man ausdünnen und weniger machen, um zu einem guten Gleichgewicht zu kommen.

STANDARD: Auf die Darsteller des zentralen Liebespaars der Oper – Astrid Kessler als Fürstin Fedora und Carsten Süss als Mister X – haben Sie schon bei Ihrer Volksoperninszenierung von "Gräfin Mariza" vertraut. Worin liegen ihre Qualitäten?

Enzinger: Operette ist das Schwierigste überhaupt. Sie müssen, speziell bei Kálmán, eine große Stimme haben, sie müssen exzellent spielen können und die Dynamik der Musik in die Dialoge hinübertragen. Und das können die zwei hervorragend. Und das Hausensemble ist ebenfalls großartig, etwa Ursula Pfitzner, die Doppelbesetzung für die Fedora.

STANDARD: In der Operette spielt Alkohol fast immer eine Hauptrolle. Zum einen dient er als verbindendes Element zwischen den streng separierten gesellschaftlichen Schichten, zum anderen verführt Alkohol dazu, die Masken fallen zu lassen. Ist Operette ohne Alkohol überhaupt vorstellbar?

Enzinger: (lacht) Das ist sehr interessant, was Sie da sagen, daran habe ich noch nie gedacht! Aber speziell in der Zirkusprinzessin wird eigentlich gar nicht so viel getrunken ... nur ab und zu Wodka. Aber Alkohol kommt nicht als Thema vor, wie etwa in der Fledermaus beim Frosch. Bei Lehár und Strauß wird deutlich mehr gesoffen als bei Kálmán! (Stefan Ender, 9.12.2016)