Christoph Pohl (rechts) nimmt sich als Sir Falstaff seinen Diener Bardolf (Robert Gleadow) zur Brust.

Foto: Herwig Prammer

STANDARD: Antonio Salieri ist noch als Widersacher Mozarts allgemein geläufig (vor allem im Zerrbild von Peter Shaffers Theaterstück Amadeus und seiner Verfilmung). Als Komponist wurde der Wiener Hofkapellmeister weitgehend vergessen. Ist seine Musik eine Wiederentdeckung wert?

Pohl: Absolut. Falstaff ist auch mein erstes Stück von Salieri – überraschenderweise (lacht). Ich sehe gar nicht so sehr die Konkurrenz mit Mozart. Man kann in Salieri einen fantastischen Handwerker erkennen – jemanden, der sich sehr geschickt um theatralische Effekte bemüht und unglaublich tolle Momente hat. Seine Accompagnato-Rezitative sind unglaublich fantasievoll. Anders als bei Mozart braucht seine Musik aber mehr Aufwand, um sie zum Leben zu erwecken.

STANDARD: Wie kann das dennoch gelingen?

Pohl: Hier ist der Dirigent René Jacobs eine große Hilfe, der in der damaligen Zeit buchstäblich lebt und die damalige Sprache und die Theatermittel des 18. Jahrhunderts kennt wie kein anderer. Er ist der ideale Musiker, um das Stück gemeinsam mit Regisseur Torsten Fischer in die Moderne zu katapultieren. Das ist aber schon ein Kraftakt.

STANDARD: Bedeutet das für einen Sänger auch eine andere Anstrengung?

Pohl: Die Wirkung, die man emotional und theatral erzielen will, benötigt etwas mehr Anlauf – und vielleicht etwas mehr Fantasie. Auch die etwas blumige Sprache des Librettisten Carlo Prospero De Franceschi auf die Bühne zu bringen ist eine Herausforderung. Das ist kein Qualitätsurteil – aber das Stück erfordert heute viel Engagement, um es gut zu machen. Andere machen es einem manchmal vielleicht zu einfach.

STANDARD: Wieweit funktioniert es, der Oper eine moderne szenische und psychologische Lesart zu geben? Ergibt das isolierte Ebenen oder doch eine Verschmelzung?

Pohl: Es gibt schon Möglichkeiten, eine moderne Sicht auf das Stück zu finden. Natürlich braucht es zunächst einmal eine gewisse Straffung, also manche Kürzungen im Text und in den Rezitativen. Andererseits findet sich in der Geschichte genug, womit sich auch heutige Zeitgenossen identifizieren können. Natürlich profitiert Salieris Oper auch davon, dass Shakespeares Geschichte immer aktuell bleibt: der Außenseiter, der die Gesellschaft letztlich vorführt; und ganz normale Alltagsgeschichten der Gesellschaft: zwei Ehen, die ganz menschliche Figuren zeigen, die scheitern und leiden. Das muss man gar nicht besonders herausarbeiten.

STANDARD: Ein Stück wie "Falstaff" steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Titelfigur. Was hat sie für Attribute, außer dick und komisch zu sein?

Pohl: Ich empfinde die Figur als etwas anderes als das Klischee – und das ist zum Glück auch in dieser Inszenierung so. Natürlich machen sich die Leute über ihn lustig, aber nicht, weil er komisch ist, sondern weil er jemand ist, der ganz bewusst außerhalb der Norm denkt und handelt – gerade innerhalb der kontrollierten englischen Gesellschaft. Das ist zunächst einmal gar nichts Lustiges.

STANDARD: Dirigent Jacobs steht für eine dezidiert historisch informierte Aufführungspraxis. Was ändert sich hier für einen Sänger mit einem sehr breiten Repertoire von klassischer Oper und Lied bis zu Zeitgenössischem?

Pohl: Rein sängerisch-technisch ist der Unterschied nicht allzu groß. Es geht eher um eine gewisse Stilistik, die man erfüllen muss. Das Wichtigste ist aber immer, eine bestimmte Emotion zu transportieren. Für mich führt der Weg immer über die Frage, welches Gefühl ich vermitteln möchte – das geht manchmal über den Klang, manchmal über einen Gedanken und manchmal eben direkt über die Emotion. Über Situationen, die man auf der Bühne kreiert, ergibt sich aber auch vieles einfach von selbst. (Daniel Ender, 12.10.2016)