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Olivier Py über die Unterschiede zu bekannten "Holländer"-Fassungen: "Es sind nur einige wenige Takte, aber die sind entscheidend."

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Samuel Yuon debütiert als Holländer im Theater an der Wien.

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STANDARD: Von Thomas Bernhard gibt es ein Stück namens "Der Theatermacher". Wäre das eine mögliche Beschreibung Ihres Berufs?

Py: Absolut. In meiner Arbeit geht es oft um Theater über Theater, zum Beispiel in Illusions comiques. Es geht dabei nicht nur um die Bühne, sondern um eine Art, sich über die Welt zu verständigen, weil die Welt eine Bühne ist. Die Frage, was wirklich ist, was real ist, ist für mich ein Hauptthema. Dafür ist der Fliegende Holländer ein sehr gutes Beispiel.

STANDARD: Wagner erzählt hier eine Geschichte, zugleich geht es um ganz andere Themen ...

Py: Im Holländer weiß man nie, was wahr ist und was nicht. Man erfährt nie genau die Bedeutung des Stücks. Es ist eher ein Rätsel und zeigt die Kunst selbst als ein Rätsel. Das gilt noch mehr für den Ur-Holländer. Wagner weiß da noch gar nicht, dass er Wagner ist und dass er nach einer Bedeutung außerhalb des Theaters sucht. Nichts ist wirklich, außer dem Theater selbst, außer der Kunst.

STANDARD: Wie konkretisiert sich das in Ihrer Inszenierung?

Py: Ich zeige natürlich ein Theater, das manchmal ein Schiff sein könnte. Manchmal glaubt man, Seeleute zu sehen – oder Techniker, die in einem Theater arbeiten. Darum geht es die ganze Zeit. Das Publikum, aber auch Senta (des Holländers Geliebte oder seine Projektion der Geliebten, Anm.), weiß nicht, ob es den Holländer wirklich gibt oder ob er nur eine Projektion dessen ist, wonach wir suchen. Das Publikum ist aber ganz frei, das zu interpretieren, was es sieht.

STANDARD: Sehen Sie ein Schiff?

Py: Nein, ich sehe ein Theater, das vorgibt, ein Schiff zu sein – den Schatten eines Schiffs. Ein Theater kann alles sein. Es geht in meiner Regie um die Kunst. Senta ist eine Künstlerin, die nicht in der Welt leben kann, wie sie ist, in dieser langweiligen, engstirnigen Kleinstadt. Darin findet sich wahrscheinlich eine Projektion meines eigenen Lebens: Ich wurde auch in einer kleinen Stadt, weit weg von der Kultur, geboren.

STANDARD: Wann haben Sie für sich die Macht des Theaters erkannt?

Py: Wahrscheinlich als Kind, als ich in der Schule Theater gespielt habe. Ich hatte da schon das Gefühl von etwas, das meine Bestimmung sein könnte. Ich war vier oder fünf, als ich wusste, dass die Welt meiner Eltern nicht jene war, in der ich leben wollte. Als Teenager hat es mich dann ganz stark zum Theater, zur Kunst und zum Nachdenken hingezogen. Ich weiß nicht, ob ich etwas anderes machen könnte.

STANDARD: Was sind die entscheidenden Unterschiede zwischen der bekannten "Holländer"-Fassung und der Uraufführungsversion?

Py: Der Unterschied ist nicht so groß. Es sind nur einige wenige Takte, aber die sind entscheidend. Am Ende fehlt der Erlösungsakkord, der letzte Akkord der Oper, den Wagner erst später eingefügt hat. Das ändert die Bedeutung des ganzen Stücks. Die Erlösung kommt damit nicht mehr vor. Das macht die Sache für mich eigentlich leichter: Wagner sagt hier nicht "Ich bin der Erlöser", sondern: "Ich weiß es nicht."

STANDARD: Sie arbeiten seit einem Vierteljahrhundert mit demselben Team. Was sind Ihre ästhetischen Grundkonstanten?

Py: Es geht immer um die Frage, was wirklich ist und was nicht. Meine Arbeit ist nie realistisch. Es ist eine "cosa mentale" (eine geistige Angelegenheit), was Sie auf der Bühne sehen. Manchmal sieht es eher zeitgenössisch aus, manchmal eher abstrakt. Aber es ist nie die Realität, sondern die Wirklichkeit und die Wahrheit.

STANDARD: Wen und was möchten Sie damit erreichen?

Py: Ich erteile keine Lektionen. Aber ich möchte dem Publikum zeigen, dass das, was es in seinen Köpfen hat, etwas sehr Wertvolles hat. Auch Träume sind etwas Wertvolles, vielleicht das Wertvollste. Wenn sich jemand nicht an seine Träume erinnern kann, ist er in Gefahr. Die Fantasie ist die wahre Heimat des Menschen.

STANDARD: Können Sie dennoch aktuelle Themen benennen, die Sie mit Ihrer Arbeit berühren?

Py: Was ist wahr und was nicht? Besonders in einer Welt, in der wir die ganze Zeit von Bildschirmen umgeben sind. Wollen wir Kunst als Dekoration, oder wollen wir mehr von ihr erfahren, das unsere Welt verändern könnte? Welche Beziehung haben wir in unserer Konsumwelt zum Tod? Ist das Lachen die einzige Möglichkeit, heute mit ihm umzugehen? Auch das kommt im Holländer vor ... (Daniel Ender, 12.11.2015)