Regisseur Thaddeus Strassberger erlebt Plácido Domingo als Lehrer wie als Studenten.

Foto: Karl Schöndorfer

STANDARD: Giuseppe Verdis Musik von "I due Foscari" ist toll, das Libretto von Francesco Maria Piave hat Schwächen. Wo ist da bitte ein Bösewicht mit Gewicht? Loredano, der Gegenspieler der Foscaris, hat keinen einzigen großen Auftritt. Warum nur?

Thaddeus Strassberger: Es gibt bei dieser frühen Verdi-Oper ja nur wenig Material über die Entstehungsgeschichte. Aber meine Theorie ist die, dass Verdi bei der Premiere der Bass nicht gefallen hat. Und da hat er dann einfach viel gestrichen. - Nein, das war jetzt natürlich ein Scherz. Aber vielleicht wollte Piave ja durch die seltenen Auftritte Loredanos verdeutlichen, dass dieser seine Arbeit im Verborgenen verrichtet. "Silenzio, misterio", Stille und Geheimnis - das sind die ersten Worte der Oper.

STANDARD: Das Finale der Oper ist großartig: ein alter Regent, der um seine Macht kämpft und sie letztendlich verliert. Wahrscheinlich großartige Szenen für Plácido Domingo.

Strassberger: Was zum einen interessant ist: Der Doge und Domingo kämpfen beide um ihre Macht. Der Doge um jene in Venedig, Domingo um die in der Opernwelt. Zum anderen hat Domingo ja in den letzten Jahrzehnten unzählige Heldenfiguren gespielt, beim Dogen von Venedig geht es nun um Schwäche, Verletzbarkeit. Und ich glaube, für das Publikum wird es einer der intensivsten Momente sein, eine solche Persönlichkeit wie Domingo so schwach zu sehen, taumeln zu sehen.

STANDARD: Eigentlich ist Domingo ja - und das ist ihm in den letzten Jahren auf der Opernbühne wahrscheinlich nur selten passiert - noch ein Eck zu jung für die Rolle. Foscari ist 84.

Strassberger: Er hat zu mir auch gesagt, dass er sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter vom Alter seiner Rollen entfernt hat. Und jetzt habe er endlich eine Rolle, deren Alter er immer näherkommt! Aber Foscari darf nicht nur alt und schwach sein. Piave benützt für ihn ja gern Begriffe der Dualität: "weißhaariger Krieger" etwa. Das schafft eine Spannung und eine Verbindung zu seiner früheren Stärke.

STANDARD: Francesco Foscari war die 140. Partie, die Domingo auf der Opernbühne einstudiert hat. War er offen, was Ihre Ratschläge zur Gestaltung der Figur anbelangt? Oder liefen die Proben eher nach dem Motto ab: Junge, ich mache meinen Job jetzt 50 Jahre, ich weiß, was zu tun ist, lass mich am besten einfach mal machen?

Strassberger: Ich habe ihn zu gleichen Teilen als Lehrer und als Studierenden erlebt. Natürlich besitzt er eine ungeheure Bühnenerfahrung, von der man lernen kann. Aber er ist immer daran interessiert, Neues zu lernen. Ihn interessiert die Zukunft fast mehr als die Vergangenheit. Manchmal sagt er bei den Proben: Ich habe da so eine Idee, lass sie mich dir mal zeigen. Das tut er dann auch. Manchmal sage aber auch ich zu ihm: Diese Sache werden Sie vielleicht im ersten Moment nicht verstehen, aber vertrauen Sie mir, ich habe den Blick auf das Ganze.

STANDARD: Sie inszenieren in den USA und in Europa. Wie würden Sie die Opernwelten diesseits und jenseits des Atlantiks vergleichen? Ist jene der USA, die durch private Gönner finanziert wird, konservativer als die von öffentlichen Geldern getragene in Europa?

Strassberger: Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied in der Einstellung zu Kunst und Kultur. In Amerika ist die Herangehensweise an Kunst eher eine konsumorientierte: Was bekomme ich für mein Geld? Wenn man ein Ticket für eine Vorstellung kauft, möchte man etwas dafür kriegen, was man zu 100 Prozent mag. In den USA möchte man eine Opernvorstellung genießen wie ein gutes Abendessen oder ein schönes Hotelzimmer. In Europa sucht man auch eine gewisse intellektuelle Herausforderung, man wertschätzt auch Dinge, die einem nicht unmittelbar gefallen. Das Konzept ist genauso wichtig wie das Produkt. An diesen beiden unterschiedlichen Erwartungshaltungen orientieren sich auch die Financiers.

STANDARD: Das Theater an der Wien hat - Stichwort Beethoven, Schubert, Strauß - eine beeindruckende Geschichte. Macht es das zu etwas Besonderem, hier zu arbeiten?

Strassberger: Absolut. Letztens war ich einmal fast allein in dem Theater, weil ich noch etwas holen musste, das ich vergessen hatte. Normalerweise ist ein Theater ja ein sehr bevölkerter Ort, auch bei den Proben, aber da konnte ich das Gebäude auf mich wirken lassen. Und, ja: Die Wände können sprechen. Für mich ist Oper ja eine sehr aktuelle Kunstform, denn wir machen sie ja jetzt, in der Gegenwart. Aber sie speist sich natürlich aus der Vergangenheit. Das Theater an der Wien hat durch seine lange Geschichte eine große Kraft, andererseits ist es auch ein sehr offenes, modernes Haus. Diese Mischung gibt es nur ganz selten. (Stefan Ender, DER STANDARD, 14.1.2014)