Stefan Ender sprach mit ihm über hohe Männerstimmen, Dirigent René Jacobs und die Akustik von Opern- und Konzerträumen.

STANDARD: Bei Tacitus ist der Königssohn Radamisto ein Schwerverbrecher, der seinen Onkel ermordet und seine schwerverletzte und schwangere Frau in den Fluss stößt. Bei Händel ist er eine deutlich angenehmere Figur.

David Daniels: Ja. Er ist eher ein Softie, verliebt in seine Zenobia. Die hat diese seltsame Vorstellung, dass sie lieber tot sein möchte, als sich Radamistos Rivalen Tiridate auszuliefern. Radamisto soll sie töten, das schafft er nicht. Daraufhin bezeichnet sie ihn als Schwächling und springt selbst in den Fluss.

STANDARD: Ist er das auch in Ihren Augen - nur ein Schwächling?

Daniels: Er macht in der Oper eine Entwicklung durch, er bemüht sich, Selbstvertrauen und Stärke zu gewinnen. Im zweiten Akt entwickelt er einen Plan, um seine Frau zurückzubekommen und auch seine Schwester Polissena zu retten. Und am Ende der Oper hat er den Laden ja wieder im Griff.

STANDARD: Da haben Sie die Geschichte angenehm verkürzt erzählt. Das Libretto schlägt ja einige Haken; man fühlt sich, wie so oft bei Barockopern, an eine brasilianische Telenovela erinnert. Ziel der Handlung: möglichst viele emotionale Extremsituationen in einer kurzen Zeiteinheit unterzubringen.

Daniels: Stimmt. Aber das ist der Job des Regisseurs, die Geschichte trotzdem glaubhaft zu erzählen. Ich möchte keine Details verraten, aber Vincent Boussard setzt Radamisto mehr als Traumspiel in Szene, nicht als realistischen Plot.

STANDARD: Sie haben schon viele große Händel-Partien gesungen, aber den Radamisto, singen Sie den zum ersten Mal?

Daniels: Nein. Aber nachdem ich hier mit René Jacobs zusammenarbeite, muss ich sagen: Es ist eine komplett andere Oper, die ich hier mit ihm mache. Er weiß genau, was er musikalisch will. Die Gestaltung der Rezitative, die Verzierungen: Es war eine Herausforderung, aber ich will immer dazulernen. Nur so bleiben die Dinge neu und frisch.

STANDARD: Die Partie des Radamisto ist umfangreich. Müssen Sie da mit den Kräften haushalten?

Daniels: Bei den Proben: ja. Sie sind so eng getaktet, an manchen Tagen singe ich da praktisch gar nicht. Aber bei einer Vorstellung: nein. Da bremse ich mich nicht. Ich meine, das Publikum ist doch da, um eine ordentliche Show zu erleben und nicht einen David Daniels, der sich schont!

STANDARD: Eine Show war es ja auch zu Händels Zeiten. Es muss eine aufgeheizte Stimmung gewesen sein, damals. Händel hat 1720 für die neue Royal Academy of Music die besten Sängerinnen und Kastraten Europas eingekauft.

Daniels: Ja, es war sicher turbulent bei den Premieren. Die Kastraten, sie waren damals quasi Michael Jackson! Sie waren für die Leute eine Sensation, diese breitbrüstigen Männer mit den hohen Stimmen, die in jungen Jahren diese Operation über sich ergehen lassen mussten. Aber sie sind aus der Mode gekommen.

STANDARD: Hat Sie das Stimmfach des Countertenors immer schon fasziniert?

Daniels: Nein. Aber ich hatte einfach immer diese Stimme. Als Knabe sowieso, und auch nach dem Stimmbruch, als ich als Tenor Gesang studiert habe, habe nie aufgehört, Sopran zu singen. In der Dusche, beim Autofahren. Es war für mich immer die natürlichste Art zu singen.

STANDARD: Welches Ziel haben Sie als Countertenor bezüglich des Klangs Ihrer Stimme?

Daniels: Das Ziel ist einfach die Tradition fortzusetzen, als Mann in einer weiblichen Stimmregion zu singen - ohne medizinische Eingriffe. Viele meinen, dass diese männlichen Rollen in den Barockopern, die für Kastraten geschrieben wurden, glaubhafter von einem Mann als von einer Frau verkörpert werden können. Ich hätte kein Problem damit, wenn eine Frau den Radamisto singen würde - wenn sie ihn besser singt als ein Countertenor.

STANDARD: Sie haben viel an der Metropolitan Opera gesungen, der Raum und die Akustik im Theater an der Wien sind da vergleichsweise intim. Stellen Sie sich da um, singen Sie anders?

Daniels: Nein, ich singe an der Met kein bisschen anders als hier. Die Akustik dort ist großartig, man muss nicht forcieren. Die tollste Akustik der Welt hat natürlich der Musikverein. Ich habe dort leider seit 1995 nicht mehr gesungen ...

STANDARD: Zwei Sätze noch zu den Kostümen von Christian Lacroix. Sind sie wirklich so toll, und stimmt es, dass sie Geräusche machen, wenn man sich bewegt?

Daniels: Ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange es her ist, dass ich ein Kostüm gemocht habe, aber dieses liebe ich! Es fühlt sich an, als ob es für meinen Körper entworfen wurde. Und, ja, die Kostüme der Statisten sind wirklich ziemlich laut ... (Stefan Ender, DER STANDARD, 16.1.2013)