Spontan vom israelischen Strand ins Theater an der Wien: Rani Calderon leitet die Premiere von Giacomo Puccinis "Il trittico".

Foto: Stage Door

Dem Standard erzählt er von seiner Liebe zu Beethoven und der Werkarchitektur in italienischen Opern.

Wien - Er hatte nicht viel Zeit zum Überlegen, als vor einigen Tagen das Telefon läutete. Eben noch war er bei Tel Aviv am Strand, nun sollte er nach Wien fliegen, nachdem Kirill Petrenko sein Dirigat der nächsten Premiere im Theater an der Wien absagen musste. Am nächsten Tag saß Rani Calderon bereits im Flugzeug.

Dass es um Giacomo Puccinis Trittico ging, mochte die Entscheidung des 1972 geborenen Israeli noch erleichtert haben. Die drei Einakter, vom Komponisten zusammen konzipiert, aber ziemlich selten gemeinsam gespielt, gehören zu seinen "absoluten Lieblingsopern", wie Calderon zu Beginn des Gesprächs mit dem Standard schwärmt.

Suor Angelica, das mittlere der drei Werke, war sogar die erste Oper, die er im Alter von 23 Jahren dirigierte: bei den Sommerkursen in Orvieto, wo er von fünf Kandidaten der jüngste war - und als einziger Nichtitaliener - zum Gewinner gekürt wurde.

Zwei Jahre danach kam der einleitende Einakter Il tabarro an die Reihe, und den finalen Gianni Schicchi erarbeitete der Dirigent 2003 mit Leo Nucci in Santiago di Chile, wo er als Musikdirektor und Chefdirigent amtiert.

Dass die Werke des Trittico - abgesehen vom Gianni Schicchi - eher selten gespielt und im Vergleich mit anderen Puccini-Opern eher abschätzig behandelt werden, versteht der Maestro nicht: "Man ist im Allgemeinen besonders gegenüber Suor Angelica zu arrogant. Und Kritiker meinen oft, das Stück sei zu sentimental. Ich hingegen finde es unglaublich schön, und auch für Puccini war es das liebste unter den dreien. Meiner Meinung nach ist es aber auch das schwierigste, weil es sehr subtil ist und leicht kitschig wirken kann."

Eine fast klassische Form

Ausgiebig reden kann Calderon über den Aufbau der drei Opern: "Insgesamt hat der Trittico fast eine klassische Form: ein erster Satz, der sehr voll und symphonisch ist, ein zweiter, der langsam und lyrisch ist, und ein dritter wie Finale und Scherzo zusammen." Auch deshalb ist für den Dirigenten Suor Angelica besonders heikel: "Es ist ja auch viel schwieriger, einen langsamen Satz von Mozart oder eine Mazurka von Chopin wirklich mit Inspiration und Gusto zu spielen als den Mephisto-Walzer von Liszt."

Wichtig ist es ihm auch, mit einem immer noch geläufigen Vorurteil aufzuräumen: "Normalerweise denkt man, italienische Komponisten würden nur schöne Melodien schreiben. Das ist aber überhaupt nicht so. Besonders Verdi und Puccini haben einen unglaublichen dramatischen Instinkt und arbeiten sehr bewusst mit der Werkarchitektur."

Dabei geht es ihm darum, stets einen Ausgleich zwischen den musikalischen Dimensionen zu erreichen, gleich in welchem Repertoire: " Ich denke, es ist bei Verdi und Puccini genauso wichtig, an die Architektur zu denken, wie bei Wagner und Richard Strauss an die Melodie. Es ist auch bei Opern entscheidend, mit dem Orchester sehr genau zu arbeiten, um alle Farben herauszubekommen. Und wenn man symphonische Musik macht, muss man auch immer Charakter und Stimmung herausarbeiten. Der Dirigent muss die Stücke immer so gut wie möglich nachbauen."

Seine diesbezügliche Anlage kam schon früh zum Vorschein: "Als ich noch Klavier studierte, sagte meine Lehrerin immer: Man hört bei deinem Spiel, dass du Dirigent bist. Es gibt Leute, die ein besonderes Gespür für Ballett haben oder für zeitgenössische Musik. Ich hatte eine klassische Erziehung, habe alle Beethoven- und Mozart-Sonaten gespielt und mit meinem Dirigierprofessor nur das klassische Repertoire studiert."

Seine besonderen Vorlieben aus dieser Zeit sind Calderon bis heute erhalten geblieben: "Ich persönlich fühle mich am wohlsten bei Beethoven: Zu ihm verspüre ich die größte Affinität - als ob ich selbst diese Musik komponieren würde. Ich kann aber nicht sagen, dass ich mich bei Verdi, Puccini, Wagner oder Mozart weniger zu Hause fühlen würde. Aber es ist klar, dass das ganz verschiedene Welten sind."

Für den Dirigenten, der nicht weniger als sieben Sprachen fließend spricht, liegt hier ein Vergleich nahe: "Im Spanischen und Italienischen gibt es manchmal genau dasselbe Wort, das aber eine ganz andere Bedeutung hat. Für die Interpreten geht es in der Musik darum, das nachvollziehbar zu machen. Deshalb müssen wir auch ständig weiterstudieren. Und deshalb ist es ein unglaubliches Privileg, sich so intensiv mit einem Stück auseinanderzusetzen und etwa mehrere Wochen lang eine Oper einzustudieren." (Daniel Ender, DER STANDARD, 10.10.2012)