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„Tannhäuser“ an der Oper Frankfurt: Der Sieg der Kunst über alles andere

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Im Frankfurter Venusberg: Heinrich (l.) grübelt und fantasiert. Frau Venus (r.) ist der Tod in Person.
Im Frankfurter Venusberg: Heinrich (l.) grübelt und fantasiert. Frau Venus (r.) ist der Tod in Person. © Barbara Aumueller

„Tannhäuser“ an der Oper Frankfurt ist ein musikalischer Triumph und eine klasse Erzählung trotz einer heikel bleibenden Grundidee.

Der neue Frankfurter „Tannhäuser“ ist in der Erzählung schräg, dabei szenisch und musikalisch immens lebendig. Eine munter behände Personenführung unter der Regie des Südafrikaners Matthew Wild, eine zutiefst behände Musik unter der Leitung von Thomas Guggeis, der mit dem Opern- und Museumsorchester einen außergewöhnlich leichtfüßigen und durchhörbaren „Tannhäuser“ bis in die feinsten Verästelungen ausgestaltet. Die reine Wiener Fassung mit ihrer Tristan-und-isoldischen Venusbergszene ist zu hören und dies in einer seltenen Konsequenz, die – verstärkt durch die Regie – weit weniger Bacchanal als filigrane, melancholisch verquälte Todesahnung und -sehnsucht vermittelt. Danach wird es noch leichter, ein zärtliches Tupfen und Blühen, und wenn das makellose Blech und der rasant agile und homogene Chor mächtig anschwellen, sind sie dennoch nie derb.

Jetzt aber schnell zum Schrägsten. Das Schrägste ist die Idee, dass Tannhäuser homosexuell ist. Das hätte sich vielleicht Richard Wagners Gönner Ludwig II. träumen lassen, Richard Wagner selbst hingegen sicher nicht. Dass das Tannhäusers Außenseitertum hervorhebt und auf einen Punkt bringt, leuchtet sofort ein – mit dem Thema Queerness spielte zum Beispiel auch Tobias Kratzer in seinem Bayreuther „Tannhäuser“, wobei es da um seine Begleiter ging (und außerdem anarchistisch, gutgelaunt und frei war, so wie man sich die Welt der Venus und das Ideal Tannhäusers vorstellt: anarchistisch, gut gelaunt und frei). Die nicht wegzuredende Schwierigkeit besteht nun darin, dass Tannhäuser sich seine Homosexualität nicht nur von seinem Umfeld als unverzeihliche Sünde vorwerfen lassen muss, sondern bekanntlich auch selbst von Reue ganz zerknirscht ist und sich schließlich zwecks Vergebung zum Papst nach Rom begibt.

Die Venusbergwelt und die Lustfeindlichkeit, die mit ihrer Verurteilung durch die Wartburggesellschaft einhergeht, sind generell schwierig zu inszenieren. Aber es ist schon riskant, im Umkehrschluss die losgelassenen Lustbarkeiten im Hörselberg mit Homosexualität gleichzusetzen. Oder sagen wir: Das wäre ungefähr der homophobe Standpunkt (Homosexualität ist Sünde, die lassen sich gehen, die müssten sich endlich mal zusammenreißen), den Matthew Wild mit restloser Sicherheit nicht einnehmen will, den er sich aber gewissermaßen selbst einbrockt.

Das ist das Schräge an dieser Idee: Ausgerechnet bei einem Komponisten, der die Regie bereits mit ausreichend Problemen und Peinlichkeiten konfrontiert (Nationalismus, Rassismus), ein weiteres Problem und eine weitere Peinlichkeit einzubauen, die vorher noch nicht da war. Nun hört man sich Stunde um Stunde an, dass Homosexualität Sünde ist, auch wenn es keiner so meint, jedenfalls die Regie nicht.

Das wird nicht besser dadurch, dass die Titelfigur Heinrich (von Ofterdingen, um den es sich beim zerrissenen Venusbergbesucher Tannhäuser nicht nur Wagner zufolge handelte) als optisches Alter Ego des Schriftstellers Christopher Isherwood (1904-1986) gezeichnet wird, was in der Gestalt des Tenors Marco Jentzsch ausgezeichnet gelingt. Isherwood hätte nicht im Traum daran gedacht, nach Rom zu reisen, um sich beim Hl. Vater für seine Homosexualität zu entschuldigen.

Trotzdem und dies in Kauf nehmend hat Wild sich den Ablauf sorgfältig überlegt. Im Zentrum steht eine liebevoll umgesetzte und ihrerseits problemlos verlaufende Verlegung des Szenarios vom mittelalterlichen Thüringen an eine katholisch orientierte US-Universität Anfang der 1960er Jahre. Herbert Barz-Murauers Drehbühnenbild zeigt zunächst den Querschnitt einer Hotelzimmerflucht, bescheiden die Zimmer, aber wunderlich mit feinen Leuchtstreifen gerahmt. Eine runde helle Wand bietet einer Madonna eine Nische und gleißende Helligkeit für Heinrichs Auftauchen aus dem Venusberg, beim Weiterdrehen zeigt sich der steile, schlichte Hörsaal, in dem der Sängerwettstreit stattfinden wird (wie von Thomas Guggeis schon angekündigt, ist das alles extrem sängerfreundlich, ein gewaltiger und gewaltig gut genutzter Vorteil, keine Schreierei nirgends).

Hier ist Heinrich von Ofterdingen, einst vor den Nazis aus Deutschland geflohen – auch der Engländer Isherwood war 1933 Wahlberliner und ging ins Exil –, ein Literaturstar gewesen, bevor er „spurlos verschwand“. Zum Vorspiel erzählen an den Vorhang projizierte Zeitungsausschnitte davon, auch von seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Roman „Montsalvat“. Gerade das Ausgeklügelte hat übrigens in seiner Verspieltheit etwas ausgesprochen Naives, das Freude bereitet.

Der Venusbergakt zeigt ihn in einem jener Hotelzimmer, er versucht (vergeblich?) zu schreiben, in den Zimmern links und rechts von seinem präsentiert Wild Heinrichs homosexuelle Fantasien, die getanzt und geturnt Klassisches von Michelangelos David bis Thomas Manns Tadzio aufrufen. Man begreift, dass der schreibende und das Geschriebene verwerfende Heinrich sich das alles bloß ausdenkt, aber was heißt hier: bloß. Es ist Wild jedenfalls ernst damit, dass Tannhäuser vor allem ein Künstler ist.

Zum Schreiben hat er sich eine Bacchanal-Platte aufgelegt (im Hyperrealismus des Hotelzimmers fällt einem lediglich wieder ein, dass man eine Platte niemals mit der Hand abgestaubt hätte). Venus, vielleicht auch sie seiner Fantasie bzw. seinem Tablettenmissbrauch entsprungen, tritt als Tod in Person auf, versorgt ihn mit Pillen und verlockt ihn höchstens dazu, vor der Zeit zu sterben. Dshamilja Kaisers großer Mezzo wahrt einen Rest von Distanz, passend zu Guggeis’ fabelhaft herausgestellter Tristan-Klangfarbe, die ohnehin passt. Der Tod ist stärker als die Liebe.

Schneidend der Übergang in die Wartburgwelt, mit Karolina Bengtsson als brillante Hirtin (Reinigungskraft) und erste Künderin einer adretten, arg trutschigen Frauenwelt (gerechtfertigt natürlich durch das nun auch direkt benannte Jahr 1961, Kostüme: Raphaela Rose), die den Autor Heinrich nach der ersten Pause im Hörsaal anhimmeln wird.

Die Überführung des Sängerwettstreits in einen akademischen Wettbewerb gelingt Wild besonders leicht und erzähllustig, mit dezenten Cheer-Mädchen, die Bühne querender Blaskapelle. Der exzellente Chor (Leitung: Tilman Michael): Dutzende Individuen. Die akademische Elite sind Biedermänner, aber mit mächtigen Stimmen, aus denen Andreas Bauer Kanabas als voluminöser, abgeklärter Landgraf Hermann (da bekommt man auf einer Aufnahme nicht mehr geboten) und Domen Križaj mit mildem runden Bariton als nachher einen vorbildlichen Abendstern servierender Wolfram von Eschenbach (mit Kollar) hervorstechen. Aber auch Magnus Dietrich lässt einen bemerkenswert kecken Walther von der Vogelweide hören.

Eben noch ist Heinrich der smarte, umschwärmte Literat – aber dämonisch fangen attraktive Männer seinen Blick ab –, da küsst er auf dem Höhepunkt seiner Liebesbesserwisserei einen jungen Tadzio in der ersten Reihe, der das absolut nicht will. Die sexuelle Übergriffigkeit und das Öffentlichwerden von Tannhäusers Homosexualität macht die folgende Randale zwar plausibler (mit blutiger Nase für Heinrich und Bücher-Autodafé), aber, siehe oben, das Zusammenlegen von sexueller Totallibertinage, Homosexualität und frommer Zerknirschung darüber bleibt dubios. Einen niederschmetternden Effekt hat das natürlich auf die arme, liebe Goldilock-Elisabeth, Christina Nilsson, deren strahlkräftiger Sopran eine jugendliche Sprungbereitschaft und Energie hat, die ihre Mädchenhaftigkeit schöner beglaubigt als das zitronengelbe Kleidchen und enorm gut in Guggeis’ lichter Grundzartheit passt.

Im dritten Akt findet Wild zu einer äußerst originellen Schlussvolte. Nach der zweiten Pause kommt auch der Pilgerchor von einer Platte, die der sympathische Wolfram für Elisabeth auflegt. Während sie über Kopfhörer zuhört, sehen wir hinten, dass es sich dabei tatsächlich um ruchlose geistliche Würdenträger handelt, die einen armen Bock abstechen. Hiermit verdeutlicht Wild sozusagen einmal klipp und klar, was er über die katholische Kirche denkt, die er zu dem von ihm ganz weltlich gestalteten guten Ausgang nun beiseitelassen kann.

Jentzschs Heinrich kehrt barfuß und in einem desolaten Zustand zurück, stimmlich hat er aber eine Rom-Erzählung in aller Frische und Perfektion parat. Jentzschs Tenor hat Kraft und eine Sicherheit in der Höhe, die vergessen lässt, wie brutal die Partie ist. Dass er zu diesem Zeitpunkt auch singend einiges hinter sich hat, ist nicht zu merken. Eine Nüchternheit liegt ferner über ihm, die der Idee von Tannhäuser als Intellektuellem des 20. Jahrhunderts gut steht. Dazu passt hervorragend, dass Heinrich jetzt ein Manuskript benutzt: alles ist Literatur, und das ist nicht weniger, sondern mehr als das Leben oder gar eine buchstäbliche Pilgerfahrt.

Gleichwohl ist Heinrich nicht zu retten, im Hotelzimmer wird er sich mit Tabletten das Leben nehmen. Auch Elisabeth hat das vor. Wild greift jetzt ziemlich fein den ersten Akt wieder auf: In den Schlafzimmern spielen sich wie im Schriftstellerkopf verschiedene Variationsmöglichkeiten ab, eine davon ist nun die, dass Elisabeth sich nicht umbringt, sondern Tannhäusers Nachlass sichtet und dabei ihrerseits anfängt zu schreiben.

Analog zu den Zeitungsausschnitten vom Anfang bekommen wir jetzt ihren Aufstieg zur Schriftstellerin dokumentiert. Die fromme Schlussmusik begleitet ihren restlos weltlich-künstlerischen Triumph, mit dem auch eine Rehabilitierung Tannhäusers einhergeht – in den späten 60er Jahren beginnt ein anderer Wind zu wehen –, und „Tannhäuser“ endet dadurch mit einer großen Versöhnung und frischen, gescheiten Feier der Kunstreligion.

Als Theaterereignis geht das unmittelbar auf, der Premierenjubel ist groß und ein Lohn für eine musikalisch und szenisch ausgefeilte Arbeit.

Oper Frankfurt: 1., 5., 11., 20., 30. Mai, 2. Juni. www.oper-frankfurt.de

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