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„Jenufa“ in Duisburg – Es hätte anders kommen können

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Hochzeit im Hause der Küsterin (vorne sitzend), auch die Braut Jenufa trägt Schwarz.
Hochzeit im Hause der Küsterin (vorne sitzend), auch die Braut Jenufa trägt Schwarz. © Barbara Aumüller

Eine musikalisch und szenisch überragende „Jenufa“ in Duisburg.

Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wie es so lange dauern konnte, bis sich Leoš Janáceks offensichtlich geniale und wirkungsvolle Opern durchgesetzt haben. Wie lange er auch selbst warten musste, um zum Opernkomponieren zu finden, von der Provinz und Peripherie aus (wer sich derzeit noch mehr als sonst für Kafka interessiert, den wird es zwar beeindrucken, aber nicht zu sehr wundern, dass Max Brod einiges für Janácek tun konnte und tat). Heute lernen Sängerinnen und Sänger Tschechisch, um Janácek singen zu können (auch Dvorák, aber vor allen Dingen Janácek). Die meisten Menschen verstehen kein Wort davon, und doch empfindet man es als unabdingbar richtig, auch in Duisburg wieder auf Tschechisch nicht nur angesungen, sondern auch angeschrien zu werden.

Denn in einer großen Aufführung der erstmals 1904 in Brünn gezeigten Oper „Jenufa“, in der die Emotionen so hochschwappen, dass Rosie Aldridge in einigen Momenten das Singen sein lässt und brüllt. Es ist ungeheuerlich. Aldridge kommt der übergroßen Partie der Küsterin mit ebensolcher Wucht bei wie die Titelheldin, Jacquelin Wagner, zwei Sängerinnen mit Kraftreserven und dem Mut, alles reinzuwerfen in eine solche Unternehmung. Die Küsterin muss und darf sich vielleicht immer noch etwas mehr die Seele aus dem Leib singen, und Aldridges Mezzo leistet das überbordend, ist Jenufas Stiefmutter doch das tragische Zentrum des Geschehens – nicht umsonst heißt Gabriela Preissovás Theaterstück, das dem Libretto zugrunde liegt, „Ihre Ziehtochter“, schließt also beide Frauen so zusammen, wie es der Handlung angemessen ist (erst mit Max Brods Übersetzung bürgerte sich allmählich der Titel „Jenufa“/„Jenufa“ ein, Janácek und Brod hatten zuvor ausgiebig um die Bedeutung des tschechischen Wortes „pastorkyna“ gerungen).

Tatjana Gürbacas Inszenierung für das Theater Duisburg – eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève, der bereits eine gemeinsame „Katja Kabanowa“ Gürbacas vorausging – konturiert, schärft und verstärkt einen dem Werk zutiefst angemessenen, rigoros undistanzierten Zugang. Nichts bleibt zwischen uns und dem Geschehen auf der Bühne, nicht mehr jedenfalls als für die Menschenmenge, die dort einen Teil des Dramas direkt miterlebt: dass die junge Braut von einem eifersüchtigen Grobian im Gesicht verletzt und so entstellt (na ja, sie hat halt eine Narbe) von ihrem Bräutigam sitzengelassen wird. Nur wir wissen, dass Jenufa, die bereits schwanger war, heimlich entbinden muss und die Küsterin das Kind tötet, damit der eifersüchtige Mitbewerber von einst die verlassene Jenufa nimmt. Alle bekommen dann wieder mit, wie der kleine Leichnam gefunden wird und der Alptraum der Küsterin wahr wird. Alle zeigen mit dem Finger auf sie, und zu Recht.

Was hart und schlimm wirkt, was auch hart und schlimm ist, wird unter Gürbacas Händen nun aber ein zartes menschliches Schicksal. Weder gibt sie der Küsterin zu viel Bigotterie mit auf den Weg, noch ist zum Beispiel der treulose Števa (der feine Tenor Jussi Myllys) bloß ein Lumpenkerl. Auch der Chor, individuell, quick, kompakt singend (Einstudierung: Gerhard Michalski), wird nur für Sekunden zum Lynchmob. Das Drama besiegt die menschliche Schlechtigkeit.

Hätte Laca, der Eifersüchtling – in Duisburg der überragende Giorgi Sturua (auch Janácek erfordert Heldentenöre) –, der Küsterin zugesagt, das Kind anzunehmen, hätte sie es vielleicht nicht umgebracht. Sekunden entscheiden über Leben und Tod, Glück und Unglück. Nur eine vorbehaltlos den Menschen zugewandte Regie kann das ernsthaft herausarbeiten. Es darf keine Schablonen geben, nur den nächsten Augenblick. Genau so scheint Gürbaca es zu handhaben.

Perfekte Unterstützung gibt es durch das Bühnenbild von Henrik Ahr, rein formal, indem es das Ensemble klangfreundlich überdacht (bis in die kleinsten Verästelungen hinein wird gut gesungen). Aber es überzeugt auch in der Sache, ein abstrahierendes und doch behagliches Holzhaus zu bauen. Man sieht bloß die Umrisse, drinnen durchweg Holzstufen, die so hoch sind, dass die Mühsal des (ländlichen) Lebens einen auf Schritt und Tritt begleitet. Silke Willretts Kostüme spielen mit den Zeiten, zur Hochzeit verstärkt sich die Folklore einleuchtend und unverstaubt. Axel Kober und die Duisburger Philharmonie können einen satten, pulsierenden, spannenden Klang riskieren, ohne etwas zuzudecken. Das Publikum, so unser Eindruck, war gebannt.

Theater Duisburg: 20., 26. April, 9., 11., 19. Mai. www.operamrhein.de

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