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„Turandot“ in Wiesbaden – Keine Hochzeit und kein Jubel

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Strahlt mit mörderischen Höhen: Olesya Golovneva.
Strahlt mit mörderischen Höhen: Olesya Golovneva. © Karl und Monika Forster

Daniela Kerck inszeniert in Wiesbaden Puccinis „Turandot“ mit neuem Schluss.

Turandot, die Tochter des chinesischen Kaisers, hält einen Bestrafungskomplex mit Blick auf eine längst vergangene Untat gegenüber einer ihrer Urahninnen am Leben. Sie stellt Werbern um ihre Gunst ein Rätsel, dessen Unlösbarkeit ihr bis dato erlaubte, alle Kandidaten zu töten. Calaf, der Sohn eines unterlegenen Tartaren-Herrschers (jener trifft mit seiner Sklavin Liu in Peking seinen Sohn wieder), versagt nicht und gewinnt die erbarmungslose Kaisertochter, in die er unsterblich verliebt ist. Allerdings um den Preis des Lebens Lius, die aus Liebe zu Calaf sich umbringt, wodurch sie die Verbindung zwischen dem Tartarenprinzen und der chinesischen Prinzessin stiftet und auch den Frieden zwischen den Völkern ermöglicht.

Dummer- oder glücklicherweise ist Komponist Giacomo Puccini über dem, heutigen Regieansprüchen allzu unproblematisch und deutungsarm scheinenden Finale gestorben. Musikalisch hatte man 1924 Franco Alfano beauftragt, eine Vervollständigung des Notentexts zu bewerkstelligen (1.Fassung), die der Uraufführungsdirigent Arturo Toscanini gleich kürzte (2. Fassung) und der Luciano Berio, Komponist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einen neu komponierten Schluss folgen ließ (3. Fassung). In einer dieser Fassungen endet das Werk heute in der Praxis.

In Wiesbaden, wo jetzt „Turandot“ neu inszeniert wurde, hat man sich eine Version ausgedacht, die in das vollständig vorliegende Libretto eingreift und mit dem Tod Lius endet. Die Vereinigung der beiden Herrscherkinder und der Jubel des Volkes wird kassiert und stattdessen der Introitus des lateinischen Requiems in einer Kammerfassung gespielt. Den hatte Puccini für größere Besetzung aus Anlass des vierten Todestags Giuseppe Verdis 1905 komponiert. Absurd natürlich im taoistischen Kontext der Handlung und der klanglichen Intuition Puccinis, aber trefflich für die übergriffige Umdeutung der Werkintention, die Regisseurin Daniela Kerck vorschwebte: Liu soll das eigentliche Zentrum des Geschehens werden. Ihr gilt dieses musikalische Memorial.

Ein Eigenleben für Liu

Sie ist es denn auch, die neben den wenigen gesanglichen Auftritten, die ihr die Partitur zubilligt, fast die ganze Zeit auf der Bühne präsent ist mit einem meist subalternen, aber immer auf Calaf bezogenen Eigenleben. Bis hin zu spielerischen Platzhalterschaften auf dem Kaiserthron oder als Dienerin im Komponierzimmer Calafs, der sich auch schon mal als Puccini entpuppt. Turandot bleibt dagegen maskenhaft statisch bis zuletzt; als sie „weich“ wird, ist in Wiesbaden ja bereits Schluss. Und Calaf steht allem bloß wohlwollend indifferent gegenüber.

Realisiert aber ist das auf gelungene Weise: Kerck hat ein Gespür für Bewegungszüge, für Tempi, Haltungen und Stilisierungen der Performance, die den Veralltäglichungsfuror gängiger Regietaten weit übersteigt. Die Kostüme zwischen aparter Düsterkollektion, blankem Weiß sowie gleißender Farbigkeit von Kaiser und Tochter stammen von Andrea Schmitt-Futterer und Frank Schönwald. Und tragen das Ihrige zum Reiz des Abends bei. Intensiv die Projektionen Astrid Steiners. Fesselnd das Leitmotiv einer riesigen schwingenden Tempelglocke, die von Myriaden eisig und zugleich glühend wirkenden Partikeln umstäubt ist. Klassisch anmutender Raum (ebenfalls Kerck), sublime, minimale Lichtführung (Klaus Krauspenhaar).

Die Ausstrahlung Heather Engebretsons als Liu plausibilisiert die Schwerkraftverlagerung in der Handlungsführung, und ihr müheloser Sopran meistert die lyrische Höhe trefflich. Ebenso unangegriffen und mit schönem Timbre Rodrigo Porras Garulo als Calaf. Olesya Golovneva als Turandot strahlt die mörderischen Höhen und Mächtigkeiten ihrer Partie ins gebannte Auditorium. Die drei Minister (Christopher Bolduc, Gustavo Quaresma und Ralf Rachauer) unterlaufen den clownesken Ansatz ihrer Rolle nicht nur mit ihren unchargierten, gut harmonierenden Stimmen.

Großes Engagement aus dem Orchestergraben: Yoel Gamzou wirft sich regelrecht in die Partitur, die er nicht über Gebühr panzert und deren oft repetitive und plakative Klanguntermalung er zu größerer Artikulation zu entwickeln sucht. Das Staatsorchester ist hellwach und entsprechend beweglich. Der Chor samt der Limburger Chormusik leicht und sehr fern brüllender Wucht.

Staatstheater Wiesbaden: 21., 24., 28. April, 4., 8. Mai (Maifestspiele). www.staatstheater-wiesbaden.de

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