KUBLAI KHAN - CUBLAI, GRAN
KAN DE' TARTARI
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Theater an der Wien
im Museumsquartier Halle E Musikalische Leitung: Christophe Rousset Les Talens Lyriques |
Kublai - Carlo Lepore |
„Zwangsoriginell“ Antonio Salieris Oper „Cublai, gran Kan de‘ Tartari” ist 1788 wegen zensur-politischer Bedenken nicht (!) uraufgeführt worden. Die handschriftliche Partitur landete schließlich in der Österreichischen Nationalbibliothek. Dort wurde sie in den 1990er-Jahren aufgestöbert und für eine Aufführung beim Mozartfest Würzburg aufbereitet, wo die Oper 1998 in einer deutschen Fassung erstmals zur Aufführung gelangte. Ein Interview auf der Website des Stretta Musikverlages erläutert die Hintergründe. Die Nationalbibliothek hat die Partitur inzwischen digitalisiert und man kann sie online abrufen. Dass das MusikTheater an der Wien jetzt den Anschein erweckt, es handle sich um eine Uraufführung, ist vor diesem Hintergrund ein wenig marktschreierisch, aber insofern nicht falsch, weil man sich auf die originale, italienischsprachige Fassung beruft – oder zumindest das, was in der „Spielfassung“ von Martin G. Berger und Philipp Amelungsen davon übrig geblieben ist. Das Werk
behandelt die chaotischen Zustände am Tartarenhof vom großen Khan
Kublai – Salieris Librettist Giovanni Battista Casti hatte damit aber
den russischen Hof unter Peter dem Großen im Auge. Weil sich Joseph II.
damals in einem Bündnis mit Russland befand, stieß der satirische Witz
Castis auf wenig Gegenliebe und die Oper verschwand in der Schublade.
Die Klärung der Frage, ob es sich beim „Cublai“ wirklich um eine
„Politsatire“ handelt und das Werk in diesem Sinn als Vorläufer
Offenbachs gelten darf – wie ein Beitrag im Programmheft zur Aufführung
nahe legt – muss Spezialisten vorbehalten bleiben. Aus
heutiger Sicht dürfte Casti viele Anspielungen gemacht haben, die
wahrscheinlich nur mehr historisch sehr versierte „Insider“ würdigen
können. Und was Salieri betrifft, so hatte das Wiener Publikum in den
letzten 20 Jahren einige Möglichkeiten, seinen Opern zu begegnen –
meist in konzertanter Form. Szenisch wurde nur seine Bearbeitung des
Falstaff-Stoffes 2016 im Theater an der Wien gespielt. In diesem
Zusammenhang fällt mein vorsichtiger Ersteindruck eher verhalten aus:
Salieris Musik zum „Cublai“ pflegt
einen konventionellen, noch von barocken Formen beeinflussten
Zeitstil; man fühlt sich an den
jungen Mozart erinnert; in Erinnerung bleiben einem drei, vier
Arien, wie jene der Alzima, von denen Diana Damrau sogar welche
eingespielt hat. Eine konzertante
Aufführung hätte allerdings bei Weitem ausgereicht. Es könnte
natürlich sein, dass der ungünstige Gesamteindruck, den diese
Produktion des MusikTheaters an der Wien bei mir hinterlassen hat, ein
wenig den Blick auf das Werk verstellt. Die Aufführung war mit
rund drei Stunden und zehn Minuten (inklusive einer Pause) um gut eine
Stunde zu lange. Die zwangsoriginelle „Spielfassung“ hat den Plot
verkompliziert und aufgeblasen. Es war ein Abend mit „astronomischen“
Längen. Kein Wunder also, wenn die Pause schüchterne Tendenzen zur
Publikumsabwanderung erkennen ließ, obwohl das Premierenpublikum
des MusikTheaters an der Wien in den letzten beiden Jahren doch
einigermaßen abgehärtet wurde. Dafür hat Stefan Herheim gesorgt, seit
Herbst 2022 Intendant, dessen künstlerische Bilanz inzwischen als
ziemlich enttäuschend bezeichnet werden muss. Das Produktionsteam hat die Handlung stark verändert. Salieri (Christoph Wagner-Trenkwitz)
mischt sich leibhaftig unter die handelnden Personen und befürchtet,
dass seine Oper wegen des Einmarsches von Russland in der Ukraine
wieder nicht aufgeführt werden könnte. Man schreibt den 23. Februar
2022 – und am Ende des ersten Teils flimmern schon die Kriegsberichte
über die Videowand. Eine geschmacklose Instrumentalisierung aktuellen
zeitpolitischen Geschehens? Aber das ist nur eine Ebene der
Aktualisierung. Die „Politsatire“ Castis wurde außerdem zum
Überlebenskampf und zur Nachfolgefrage eines Süßwarenkonzers umgedeutet, der Kublai Khan
Süßwaren AG, die sich im Laufe von drei Stunden ein neues, „wokes“
Image samt Logo verpasst und mit einem chinesischen Konkurrenten fusioniert. Wer in diesem Handlungswirrwarr den Faden nicht
verloren hat, dem ist zu gratulieren. Zwar wurde auch von meiner Seite manch sanfte Spitze gegen die übertriebene „politische Korrektheit“ heutiger Tage mit Genuss registriert, aber dass die Produktion als Satire über diese neurotische Zeitgeistigkeit hätte ausgelegt werden können, dafür war es dann doch wieder zu uneindeutig. Wieso man dergleichen und vieles weitere an einer über 200 Jahre alten Oper abhandeln muss, die derart bis zur Unkenntlichkeit umgemodelt wird, ist mir ohnehin ein Rätsel. Eine „Wiederentdeckung“ Salieris wurde damit nicht beflügelt, sondern das Gegenteil. Die Ausstattung hat sich wieder der Drehbühne bedient, mischte ein pseudohistorisches Theater-Tartarien mit Business-Ambiente und einer schrägbunten „Life-Ball-Revue“. Zum Zuschauerraum hin war um das Orchester ein Laufsteg gebaut worden, der vor allem für Sprechszenen genützt wurde. Die Dialoge wurden in deutscher und in italienischer Sprache gegeben und waren zum Teil viel zu lange. Nach der Pause dünnte die Aufführung handlungsmäßig bedenklich aus, musikalisch war es aber der ergiebigere Teil der Vorstellung. Außerdem gibt es auch in dieser Neuproduktion Unterhosen zu bestaunen. Eine bekannte Unterwäschefirma scheint nicht nur das Theater an der Wien, sondern auch die Staatsoper mit ihren Produkten zu beglücken. (Warum sollen sich eigentlich immer nur die Sänger halbnackt ausziehen? Intendanten, Regisseure, Dramaturgen vor den Vorhang bitte!) Christophe Rousset
am Pult der historisch informierten Les Talens Lyriques servierte die
Musik mit feinpolierter Eleganz, aber bereits der Ouvertüre
mangelte es an Esprit. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, sich in
einem musikwissenschaftlichen Seminar zu befinden, dass langatmig
Salieri abhandelt und dabei auf die Satire vergisst. Gesanglich bot der
Abend in Summe ein gutes Niveau, das aber in dem ganzen Bühnensetting
und Handlungsgewirr nur punktuell zum Tragen kam. Die anspruchsvollste
Partie ist jene der Alzima, eine Partie für einen versierten
Mozart-Koloratursorpran. Marie Lys
kommt aus der Barockmusik, brachte die erforderte Virtuosität mit ein,
war aber nach meinem Eindruck stimmlich eine Spur zu leicht besetzt,
mit einigen zu stark forcierten Spitzentönen. Auch dem Timur hat
Salieri eine halsbrecherische Arie komponiert, mit der sich Alasdair Kent nach der Pause Szenenapplaus ersang: ein feinsinniger Tenore di grazia. Anna Quintans als Memma war ein trefflicher Despinatyp – (ja so geht es einem mit Salieri, immer fällt einem dazu Mozart ein). Lauranne Oliva
musste sich als Lippi homoerotischen Empfindungen hingeben und man
hätte in ihr auch einen Countertenor vermuten können: eine gelungene
„Camouflage“ dieser Hosenrolle, die bei Salieri den schwachsinnigen
Sohn des Cublai darstellen soll, der schlussendlich von der Thronfolge
ausgeschlossen wird. Als Bozzone ließ Giorgio Caoduro einen schön timbrierten Bariton hören. Carlo Lepore als Kublai war stimmlich aus gröberem, „tartarischen“ Holz geschnitzt, dazu gesellten sich Fabio Capitanucci als Orcano und Leon Kosavic als Posega, auch im Schatten der weiter oben genannten agierend. Bei
Schlussvorhang nahmen einige Buhrufer das Regieteam ins Visier, man
versteht warum. Aber die überwiegende Mehrheit spendete engagierten
oder erfreuten, wenn auch keinen frenetischen Beifall. |