"Hoffmanns Erzählungen": Petersens Opern-Panoptikum

Marlis Petersens OpernPanoptikum
Marlis Petersens OpernPanoptikum(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Im Theater an der Wien singt die deutsche Sopranistin ab Mittwoch die Frauenpartien in "Hoffmanns Erzählungen" – und freut sich auf Verdi, Mozart und Novitäten.

Natürlich war die Medea eines meiner zentralen Bühnenerlebnisse“, sagt Marlis Petersen, auf ihre Wiener Uraufführungserfahrung anno 2010 angesprochen. Die deutsche Sopranistin ist Kennern bereits ein Begriff, seit sie 2002 als „Lulu“ an der Staatsoper debütierte. Doch mit der Weltpremiere, die sie mit atemberaubender Sicherheit zu gestalten wusste, wurde sie ein Star.

Aribert Reimann hat die Titelpartie seiner Grillparzer-Vertonung bewusst auf die stimmlichen Möglichkeiten seiner Uraufführungsinterpretin hin angelegt. Die Tatsache, „von Aribert Reimann etwas komponiert zu bekommen“, sagt die Künstlerin, sei ein Höhepunkt in ihrem Sängerleben gewesen. Enthusiastische Reaktionen auf die Premiere kamen denn auch „aus aller Welt“.

Puppenhafte Model-Society

Morgen hat Petersen wieder Premiere – diesmal im Theater an der Wien. Und es sind diesmal gleich drei „wilde Damen“ (Petersen) darzustellen: die Frauenpartien in Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Es sollte die Wiederaufnahme einer Produktion werden, die vor einigen Monaten Premiere hatte. Doch nach dem einhelligen Misserfolg hat sich der Intendant des Hauses, Roland Geyer, entschlossen, selbst Hand anzulegen. Es entstand ein neuer „Hoffmann“.

„Geyer hat ein spannendes Konzept“, erzählt Petersen: „Die Puppe ist keine Puppe mehr, sondern eine Art Model von puppenhafter Oberflächlichkeit. Produkt einer ,Hallo, wie geht's‘-Society.“ Das findet die Vollblutschauspielerin spannend: „Das kann man spielen bis zum Umfallen!“

Auch die „Antonia als etwas unbedarfte Romantikerin“ und erst recht die im erotischen Milieu beheimatete Giulietta – „drei völlig unterschiedliche Figuren, und doch gehe ich durchs Stück mit einer einzigen Perücke, bin also immer als dieselbe Frau zu erkennen“. Die Herausforderung, alle drei Partien an einem Abend zu singen, sei – auch im Hinblick auf die vokalen Ansprüche – verwandt mit Bergs „Lulu“, meint Petersen, „die auch in jedem Akt völlig anderen Anforderungen genügen muss, zunächst wird Parlando-Gesungen, dann lyrisch und zuletzt dramatisch“.

Die „Lulu“ möchte Petersen nicht in der von Berg hinterlassenen fragmentarischen Form singen. Sie bevorzugt ganz eindeutig den von Friedrich Cerha vervollständigten, dreiaktigen Duktus: „Der dritte Akt gehört zur Geschichte dringend dazu“, sagt sie, „und wenn man bedenkt, dass der Großteil der Musik wirklich von Berg komponiert wurde, dann sollte man nicht darauf verzichten.“

Die Künstlerin kann sogar den viel kritisierten „Schwächen“ des „Paris-Bildes“ dramaturgisch etwas abgewinnen: „Ob Berg da nicht absichtlich ein wenig auch von der Hohlheit der Welt der Börsenspekulanten zum Klingen bringt?“, fragt sie, immerhin nach acht szenischen Produktionen, an denen sie mitgewirkt hat. München und New York stehen noch auf Petersens „Lulu“-Agenda.

Eine Rolle, mit der sie sich vielleicht ebenso identifizieren könnte wie mit Bergs Verführerin ist Verdis Violetta. „Die Traviata“, sagt sie, „singe ich demnächst in Wien ja sowohl an der Staatsoper als auch im Theater an der Wien.“

Sie freut sich sowohl auf de Auftritte im Haus am Ring als auch auf die Inszenierung Peter Konwitschnys. Ans Theater an der Wien wird die Sängerin auch in einer Produktion von Mozarts „Idomeneo“ zurückkehren, die René Jacobs dirigieren soll.

2015 wird es – in Zürich – noch einmal Uraufführung geben: Christian Jost schneidert die Titelpartie seiner „Armida“ auf Petersen zu.

Komponisten, so erzählt Marlis Petersen, seien stets höchst praxisbezogen im Umgang mit ihren Interpreten: „Während der Einstudierung der ,Medea‘ konnte ich immer wieder mit Aribert Reimann sprechen und Anregungen zu kleinen Veränderungen geben. Wann immer es in sein Konzept gepasst hat, hat er reagiert und gefeilt. Und wenn eine Phrase gar nicht gehen wollte – dann hat er sie geändert.“

So wurde aus einem „Opernspätzünder“ (Petersen) eine der prägenden Interpretinnen des Musiktheaters unserer Zeit. „Bei uns gab es keine Oper. Ich war, glaube ich, 15, als das Theater Pforzheim in Tuttlingen mit ,Rigoletto‘ gastierte. Das fand ich irre.“

Schubert und die „Spätzündung“

Aber „der Ruf“, so sagt sie, „kam später. Das war, als ich im Kirchenchor das Sopransolo singen durfte. Zuerst hatte ich in Stuttgart Schulmusik studiert und war in dieser Zeit vielleicht fünfmal in der Oper. Aber als ich – ohne je Gesangsunterricht gehabt zu haben – das Solo in Schuberts G-Dur-Messe und dann die ,Jubelmesse‘ von Weber singen durfte, da fing ich Feuer.“

Die ersten Jahre des Gesangsstudiums waren dann zunächst erschreckend, denn alles, was zuvor ganz von selbst zu funktionieren schien, die allerhöchsten Koloraturen, „das war zunächst einmal alles weg“, erinnert sich Petersen.

Unter der Führung von Sylvia Geszty gewann sie dann freilich ihre Stimme sukzessive wieder – und singt seither auf einem technisch felsenfesten Fundament, das es ihr ermöglichte, in den Anfangsjahren im Ensemble von Nürnberg „bis zu fünf Vorstellungen pro Woche“ zu singen – mit einem Repertoire von der „Fledermaus“ bis zur zeitgenössischen Oper. Die Offenheit ist ihr erhalten geblieben – und auch die Gewissheit ihres sicheren Instinkts: „Wenn ich nix spür'“, sagt sie, „mach ich's nicht.“

„Hoffmanns Erzählungen“ im Theater a. d Wien: 4., 6., 8., 10. Juli.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2012)

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