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„Karl und Anna“ in Würzburg: Der Sieg der Liebe über alles

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Anna hadert, Karl muss vorerst noch woanders schlafen. Foto: Nik Schölzel/Mainfranken Theater
Anna hadert, Karl muss vorerst noch woanders schlafen. Foto: Nik Schölzel/Mainfranken Theater © Nik Schölzel

Eine Geschichte aus dem Krieg, die jetzt eine Würzburger Uraufführung der Stunde ist: Christoph Ehrenfellners Oper „Karl und Anna“.

In mehrfacher Hinsicht ist Würzburg der perfekte Ort für die Uraufführung einer „Karl und Anna“-Oper. Die Verabredung dazu wurde vor Jahren getroffen. Das ist wichtig zu erwähnen, weil der russische Krieg gegen die Ukraine Trennung und Tod durch Dienst an der Front auf unvorhersehbare Weise wieder in die Nähe gebracht hat. Packend wäre es aber ohnehin.

Der österreichische Komponist Christoph Ehrenfellner konnte mit einem klugen, wirksamen Libretto von Roland Schimmelpfennig arbeiten, der wiederum hatte einen ausgezeichneten Text von Leonhard Frank als Grundlage. Markus Trabusch, Intendant des Mainfranken Theaters und Regisseur des Abends, fand im vor wenigen Monaten eröffneten nagelneuen Kleinen Haus eine gute Spielstätte vor: nicht winzig, aber sehr intim.

Das Motiv des radikalen Identitätsschwindels ist mit seinem kriminellen, aber auch psychologischen Potenzial immer verheißungsvoll. Die Grundhandlung, bei der man sich an der wahren Geschichte des verschwundenen, „ersetzten“, dann wieder aufgetauchten französischen Bauern Martin Guerre im 16. Jahrhundert orientieren konnte, entwickelte sich logischerweise bald zum Kriegs- und Nachkriegsdrama weiter. Denken Sie an „Sommersby“.

Im Heimkehrer, der sich idealerweise mit privatesten Kenntnissen oder greifbaren Indizien in das Leben – die Ehe! – eines verschollenen/toten Kameraden zu drängen vermag, finden sich Stoff und Variationsmöglichkeiten sondergleichen: die Hochstapelei, die Sinnestäuschung, die Sehnsucht, sich selbst zu betrügen. All dies immer verbunden mit aufgewühlten Zeiten der Not, Angst und des Pragmatismus.

Und natürlich kann und sollte es auch um die Liebe gehen. Letztere ist die alleinige Heldin in Franks 1926 herausgekommener Erzählung „Karl und Anna“, nicht umsonst mit einem Romeo-und-Julia-Titel versehen. Hier ist die Liebe ein Bulldozer, der alle Hindernisse aus dem Weg räumen wird, sie ist größer als Konvention, Treue, Moral. Sie ist auch größer als das Unglück, denn wenn Karl und Anna am Ende ihrer Wege gehen, kann man nicht anders, als trotz allem an einen guten Ausgang zu glauben.

„Karl und Anna“ war seinerzeit ein großer Erfolg für den Schriftsteller, 1882 in Würzburg geboren, 1961 in München gestorben, dazwischen zweimalig im Exil, nach 1915 als Kriegs-, nach 1933 als Regimegegner. Seiner zutiefst humanistischen Grundhaltung entsprechend, beschreibt er schon den Betrug als Akt der Liebe – der einsame, fantasiebegabte Karl hat sich in der Kriegsgefangenschaft von Richard so viel über dessen Frau Anna erzählen lassen, dass er sich bereits in sie verliebt hat, bevor er sie nach seiner Flucht aufsucht. Anna weiß, dass er nicht Richard ist, sie weist ihn zurück, ist verwirrt, sieht aber seine Liebe, verliebt sich schließlich ihrerseits. Richards Rückkehr kann daran nicht mehr rütteln.

Die nicht zuletzt durch Franks psychoanalytische Interessen aufgeladene Situation trifft auf die unspießige Atmosphäre in einem Berliner Arbeiterhaus. Dass sich hier viele Paare übergangsweise finden, weil der Krieg Menschen und Beziehungen vernichtet und die Abwesenheiten unerträglich sind, wird weder von der Nachbarschaft noch vom Autor verurteilt. Und erst nach 1945, als eine Theaterfassung in Franks Heimatstadt Würzburg aufgeführt wurde, formierte sich wütender Protest von konservativer Seite.

Jetzt also die Oper: Schimmelpfennig bleibt nah am Original, muss aber zwangsläufig vor allem der schweigsamen Anna mehr Text geben, löst auch das chronologische Erzählen auf. Ehrenfellners Musik lässt sich auf die 20er Jahre ein, Alban Berg nennt er als Referenz, aber auch an Kurt Weill lässt sich denken. Vertraute und weniger vertraute Tonalitäten dienen dem farbenvollen Erzählen. Reihen und Leitmotive wird man beim ersten Hören eher intuitiv erkennen. Das ist eine Musik, die einem behilflich ist, sich in ihr zurechtzufinden. Tanzmusiken sind eingestreut, Edith Piafs „La vie en rose“ zeigt sich direkt.

Im neuen Kleinen Haus, einem Raum ohne Guckkasten und Graben, ist das originell eingerichtet. Johannes Schütz hat ein viereckiges Podest eingebaut, durch das Gitterrost wird es von unten effektvoll illuminiert, eine gleichwohl karge Spielfläche. Sie stellt sowohl die Steppe dar, in der die Kriegsgefangenen Karl und Richard festsitzen, als auch Annas bescheidene Wohnung. Was Anna benötigt, reicht ihr ein Chorist an. Denn um das Spielpodest herum bleibt ein schmaler Gang, links und rechts der Chor, hinten das kleine Orchester. Die Bühne ist die Welt, nur der Weg aus dem Theater führt aus ihr heraus.

Zwei Dirigenten sorgen diagonal postiert für Ordnung, rechts hinten hat Gábor Hontvári die musikalische Leitung und gibt der Musik die ganze Schönheit, Leidenschaft und gelegentlich filmreif schwungvolle Finesse, die sie anzubieten hat. Vorne links arbeitet Chorleiter Sören Eckhoff mit, auf ihn können sich die Sängerinnen und Sänger ausrichten. Das Einfache und zugleich Komplexe, das sich in dieser Aufteilung zeigt, setzt sich in Trabuschs zarter Inszenierung fort. Eine Art agitationsfreie Brecht-Aufführung, abstrahiert und verfremdet und doch völlig menschlich.

Das Ensemble, in eher zeitlosen Kostümen von Nicole von Graevenitz, beglaubigt das durchweg. Die Visiere sind oben. Vero Miller ist eine rührend lebhafte Anna, deren ohnehin köstlicher Mezzo in der überdeutlichen Akustik des Saals auftrumpft, ohne zu laut zu werden. Martin Berner ist ein so freundlicher Karl, dass man ihm nur glauben kann, auch sieht er Richard, Daniel Fiolka, wirklich ähnlich. Zu hören sind zwei gestandene Baritonstimmen, nicht zum Verwechseln, aber ebenfalls verwirrend ähnlich. Mit Minkyung Kim als zwitschrig nervöser, ebenfalls sympathischer Nachbarin Marie bilden sie ein Quartett – mit von Frank so nicht erhoffter Chance zum Happyend sogar für den zu späten Heimkehrer Richard.

Von großer Schönheit sind die zahlreichen kleinen Solopartien, die sich immer zwanglos aus dem Chor lösen. In den Chor integriert sind umgekehrt Jasmina Aboubakari und Anastasia Fendel als Mädchen, die „fernmündlich“ heitere Zwischenstücke liefern. Ein Dosentelefon: auch viele Jahrzehnte nicht mehr gesehen.

Mainfranken Theater Würzburg, Kleines Haus: 14., 17., 18., 24., 30. April, 22., 26. Mai. www.mainfrankentheater.de

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