München: „Parsifal“, Richard Wagner

© Wilfried Hösl

An der Bayerischen Staatsoper ist vor kurzem Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal wiederaufgenommen worden. Musikalisch und gesanglich konnte man insgesamt zufrieden sein, szenisch ließ die Produktion indes zu wünschen übrig. Dass ein Opernhaus einen berühmten Maler zur Bühnenbildgestaltung verpflichtet, ist schon vorgekommen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Das kann man machen. Bei dem aktuellen Bayreuther Lohengrin, der nächste Saison auf dem Grünen Hügel wieder gespielt wird, war es genauso, und nicht unerfolgreich. Das Nationaltheater München hingegen hatte mit dem Engagement des Malerfürsten Georg Baselitz für die Bühnenbilder des Parsifal kein Glück. Ein berühmter Name bürgt eben nicht immer gleichzeitig auch für Qualität. Was Baselitz auf die Bühne brachte, war nicht gerade das A und das O. Totales Dunkel nimmt den ersten Aufzug ein. Ein stilisierter, verbrannter Wald dominiert den Bühnenraum. Die Natur ist gänzlich der Zerstörung anheimgefallen. Endzeitstimmung breitet sich aus. So weit so gut. Calixto Bieito hat in seiner Stuttgarter Interpretation von Wagners Weltabschiedswerk dem ersten Aufzug ebenfalls einen apokalyptischen Anstrich verpasst – allerdings um einiges überzeugender als Baselitz, dessen bühnenbildnerische Lösungen manchmal ziemlich merkwürdig anmuteten.

Das essentielle Element des ersten Aufzuges stellt eine dreieckige, aus einzelnen Baumstämmen gebildete Behausung dar, die  stark an Baselitz‘ im Jahre 2015 entstandene Bronzeskulptur Zero Dorn gemahnt. Diese tritt im zweiten Teil des ersten Aufzuges auch an die Stelle des hier ausgesparten Gralstempels. Das Bühnenbild ändert sich den ganzen Aufzug über nicht. Am Ende des ersten Aufzuges fällt es in sich zusammen – eine Versinnbildlichung dafür, dass  Parsifal mit der Erfüllung seiner Mission zumindest im Augenblick noch gescheitert ist. Auffällig ist an dieser Stelle noch ein im rechten Bereich der Bühne aufgestelltes Tierskelett, in dem Kundry Unterschlupf findet. Im dritten Aufzug ist das Bühnenbild des ersten Aufzuges erneut zu sehen. Nur dass es jetzt auf dem Kopf steht. Damit bezweckt Baselitz wohl eine Verschiebung der Perspektive. Besonders originell wirkt das allerdings nicht. Beim Karfreitagszauber wird die Bühne mit violettem Licht ausgeleuchtet. Die Szene zwischen Klingsor und Kundry findet vor einem Vorhang mit Bildern von Baselitz statt. Der Rest des zweiten Aufzuges wird von einer gemalten Burgmauer mit einem großen schwarzen Riss eingenommen. Einige dieser bildlichen Motive kommen einem bekannt vor. Baselitz hat sie aus seinem Werk wiederverwertet. Insgesamt wirken diese Bilder leicht simpel. Das Motiv der Taube am Ende erinnert eher an einen Sternennebel. Die nicht durch die Bank gefälligen Kostüme besorgte Florence von Gerkan.

© Wilfried Hösl

Nicht durchweg überzeugend geriet die Regie von Pierre Audi. Dabei kann sich sein Grundkonzept schon sehen lassen. Wenn er bereits am Anfang Kundry zeigt, haben wir es mit einem durchaus passablen Tschechow‘ schen Element zu tun. Bereits oben wurde die hier vorherrschende Endzeitstimmung erwähnt. Das ist eine gute Idee. Audi erzählt die Geschichte eines Männerbundes, der sich zu einem Ritual zusammengefunden hat. Amfortas irrt am Stock gehend durch die Reihen seiner Männer, wobei er einen blutigen Klumpen in die Höhe hält. Ein traditioneller Gralskelch ist in Audis Inszenierung nicht zu sehen. Den Gral versteht der Regisseur als das Blut des Amfortas. Solange dieses fließt, ist der Gral anwesend. Demgemäß erhält die Wunde des Gralskönigs eine ganz zentrale Relevanz. Darüber hinaus bietet sich noch eine zweite Deutung an. Man kann den Gral hier ebenfalls als Gemeinschaftserlebnis des Männerbundes ansehen, das die Funktion hat, den Orden zusammenzuhalten. Dieser Gemeinschaftsgedanke verleiht den Gralsrittern die Stabilität, die den Zusammenhalt erst ermöglicht. Voraussetzung dafür ist das Reinheitsprinzip. Als äußeres Zeichen dafür ziehen sich die Männer bei der Gralsfeier aus. Totale Entblößung hat Audi ihnen erspart. Sie tragen alles andere als ansehnliche Nacktkostüme. Ebenfalls in reichlich hässlichen Nacktgewandungen erscheinen im zweiten Aufzug die Blumenmädchen. Damit will der Regisseur wohl ausdrücken, dass sie hier keine erotischen Verführerinnen, sondern vom Leben gezeichnete Frauen sein sollen.

Audi machte sich schon einige Gedanken zu Wagners Weltabschiedswerk, dem hier so gar nichts Bühnenweihfestspielartiges anhaftet. Das ist nicht zu bestreiten. An der technischen Umsetzung haperte es andererseits stark. Mit den Figuren hat der Regisseur praktisch gar nichts anfangen können. Sie bleiben zum größten Teil blass. Eine solide Führung der Personen ist strenggenommen nicht vorhanden, die Sänger werden von der Regie sträflich im Stich gelassen. Gähnende Langweile ist die Folge. Und das versetzt jeder Aufführung den Todesstoß. Was Audi da auf die Bühne brachte, grenzte schon an Verweigerung. Nur Szene und Arrangement reichen für eine gute Inszenierung nicht aus. Um eine Aufführung interessant zu gestalten, ist schon mehr nötig. Von spannendem Musiktheater kann hier keine Rede sein. Lediglich dem Schmerzensmann Amfortas vermochte Audi einige interessante Konturen zu verleihen. Mit dem Regieeinfall, dass der Gralskönig am Ende erlöst sein Leben aushaucht, kann man leben. Auch dass Kundry überlebt, ist akzeptabel.

© Wilfried Hösl

Gut sah es dagegen auf der musikalischen Seite aus. Constantin Trinks am Pult fasste zusammen mit dem bestens disponierten Bayerischen Staatsorchester Wagners Werk als ausgemachtes Weihespiel an und schlug demgemäß auch sehr langsame Tempi an. Letzteres leistete indes einer guten Transparenz Vorschub. Viele Einzelheiten wurden hörbar.

Nun zu den Sängern: Mit vorbildlich fokussiertem, virilem und kraftvollem Tenor sang Clay Hilley einen guten Parsifal. Irene Roberts gab eine vokal impulsive und mit tadellosen extremen Spitzentönen ausgestattete Kundry. Übertroffen wurden beide von Georg Zeppenfeld, der mit seinem kantablen, ebenmäßig dahinfließenden und wunderbar italienisch geschulten Bass als Gurnemanz eine absolute Glanzleistung erbrachte. Prägnantes Bariton-Material und eine vorbildliche Diktion brachte Jochen Schmeckenbecher in die Partie des Klingsor ein. Von Wilhelm Schwinghammers sonor klingendem Titurel hätte man gerne mehr gehört. Nicht zu gefallen vermochte der Amfortas des flach, maskig und gekünstelt intonierenden Christian Gerhaher. Ebenfalls dünnstimmig präsentierte sich der vierte Knappe von Zachary Rioux. Da schnitten seine Knappen-Kollegen Seonwoo Lee, Emily Sierra und Jonas Hacker um einiges besser ab. Frau Sierra war auch als Stimme aus der Höhe zu hören. Und Frau Lee führte zusätzlich das gefällige Ensemble der Blumenmädchen an, dem außer ihr noch Louise Foor, Yajie Zhang, Eirin Rognerud, Eliza Boom und Natalie Lewis angehörten. Mächtig legte sich der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor ins Zeug.

Ludwig Steinbach, 7. April 2024


Parsifal
Richard Wagner

Bayerische Staatsoper, München

Premiere: 28. Juni 2018
Besuchte Aufführung: 4. April 2024

Inszenierung: Pierre Audi
Musikalische Leitung: Constantin Trinks
Bayerisches Staatsorchester