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Opern-Kritik: Staatstheater Nürnberg – Parsifal

Zum Licht wird hier das Blut 

(Nürnberg, 31.3.2024) David Hermann inszeniert Richard Wagners „Parsifal“ in drei verschiedenen Perspektiven und zu vielen, nur teils ausgegorenen Ideen. GMD Roland Böer sucht und findet mit Erfolg einen durchhörbar diesseitigen Zugang zur Musik des späten Bayreuther Meisters.

vonRoberto Becker,

Es ist und bleibt per se ein Risiko, Richard Wagners „Parsifal“ außerhalb des Festspielhauses auf dem Grünen Hügel aufzuführen. Schon mit der Bezeichnung Bühnenweihfestspiel entrückte er es bewusst dem profanen Opernbetrieb. Cosima verlängerte das „Nur-hier!“-Verdikt, so lange es ging. Durchzuhalten war das natürlich nicht. Dem Weihevollen eines suggestiv gedämpften Klangstroms kann sich ein Orchester in einem offenen Graben eh nur nähern – erreichen wird es ihn nicht.

Der neue Nürnberger GMD Roland Böer sucht und findet einen durchhörbar diesseitigen Zugang und bevorzugt – alsbald spürbar – eine flotte Gangart. Wenn man bedenkt, dass es einige Pultstars schon auf fast zwei Stunden gebracht haben, dann sind die 1 Stunde und 36 Minuten, in denen er den ersten Aufzug schafft, betont zügig. Was freilich jedem „Parsifal“ mit offenem Orchestergraben und belebter Szene gut bekommt. Auch dem in Nürnberg.

Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg
Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg

Ein Wunderwerk mit einem Sack voller Fragen

Mit einem betont diesseitigen, theatralisch musikalischen Zugang eröffnen sich natürlich auch Chancen, die Geschichte nicht nur auf die Bühne zu stellen, sondern sie auch zu befragen, ja in Frage zu stellen. Wie so etwas geht, hat 2021 Kirill Serebrennikov mit einer brandaktuellen Vergegenwärtigung in Wien exemplarisch vorgeführt. Der Gralsbezirk als Straflager, der junge Parsifal als Erinnerung des Alten, Kundry als investigative Kundschafterin zwischen den Welten.

Auch an anderen Häusern hat das Regietheater seine Mittel und Zugänge an dem rätselvollsten, vielleicht sogar privatesten Werk Wagners erprobt und allenfalls Teilerfolge erzielt. Die Mauern wanken, aber sie stehen noch. Viele kommen zwar mit einem Sack voller Fragen in den Gralsbezirk hinein, aber nicht immer mit Antworten beladen wieder heraus.

Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg
Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg

Weihspiel, Bühnenspiel und Endspiel

Im Grunde thematisieren Regisseur David Hermann, Jo Schramm (Bühne und Video) und Bettina Werner (Kostüme) dieses spezielle „Parsifal“-Dilemma, indem sie einem stringent durchbuchstabierten eigenen Zugang bewusst ausweichen, drei verschiedene Perspektiven nacheinander vorführen und nur sehr locker miteinander verknüpfen. Es ist mehr als ein Wortspiel, wenn sie aus Wagners eigener Bezeichnung für sein letztes Werk als Bühnenweihfestspiel mit Weihspiel, Bühnenspiel und Endspiel eigene Benennungen für jeden der drei Aufzüge ableiten und einen entsprechenden szenischen Zugang dazu entwickeln. 

Ein kleines Oberammergau

Das Weihspiel erinnert unübersehbar an die berühmten Bemühungen von enthusiastischen Laien, mit ihren Passionsspielen die Erinnerung an den Leidensweg von Jesus wach zu halten. Ein gemütlicher Gurnemanz ist der Spielführer, der gleich zu Beginn auch das Publikum anspricht und sich immer mal eine kleine bewusste Übertreibung im Spiel leistet, um seinen Mitspielern mit ihren schlichten bunten Gewändern und blonden Einheitsperücken zu zeigen, wie es gehen soll. Auf der Bühne steht das Fachwerkgerippe eines Häuschens, dem zwar die Wände fehlen, das man aber in einem Weihespiel als Gralsbehausung verkaufen kann. Immerhin entsteigt Titurel einer Holzkiste und zittert wie ein märchenhafter Zombie über die Szene. Nachdem schon zwei Albtraum-Monster mit Flügeln die Erzählung von Gurnemanz über das Abhandenkommen des heiligen Speeres illustriert hatten.

Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg
Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg

Für den Gral selbst muss der Trog herhalten (in dem zu Weihnachten wahrscheinlich das Jesuskind abgelegt wird). In ihrem Eifer, das Gralswunder vorzuführen, haben sich die Weihe-Spieler etwas besonderes ausgedacht. Hatte man sich schon gefragt, was wohl die schwarzen Taue, die links und rechts von der Rampe quer durch den Saal bis hinauf in den obersten Rang führen, bedeuten sollen, so bekam man die Antwort noch vor der Gralsenthüllung. Da segelt nämlich von diesen Tauen gezogen ein weißes Tuch durch den Saal auf die Bühne und verhüllt das Bühnenhäuschengerippe. Enthüllung mit Verhüllungsprolog – das gab es wahrscheinlich auch noch nie. Beim Gral und seinem Auftritt geht es dann deutlich bescheidener und gänzlich unblutig zu. Zum Licht wird hier das Blut.

Die braune Historie des Hauses

Das Bühnenspiel, also der zweite Aufzug, wird ein Spiel auf und mit der Bühne des Hauses, in dem wir uns gerade befinden. Das Nürnberger Opernhaus war zur Zeit seiner Einweihung 1905 eine ziemlich teure und üppig ausgestattete Schmuckschatulle, die sich die Bürgerschaft geleistet hat. Da dem Möchtegern-Künstler Hitler der Stil für die Oper seiner Stadt der Reichsparteitage nicht gefiel, ließ er die Pracht 1935 rausreißen und durch den nüchternen Neostil ersetzten, den man heute noch vorfindet. Vor diesem Hintergrund mutiert alles zu einer historischen Reminiszenz.

Die Videoüberblendung der Bühne und der Logen holt die alte Pracht des Hauses wieder hervor. Hier gibt es eine Inszenierung mit Klingsor und Blumenmädchen im Stile von 1925 und mit der Zerstörung des alten Zuschauerraums als Videohintergrund des Zusammenbruchs von Klingsors Schloss samt Wiederherrichtung mit Hakenkreuz an der eingefügten Führer-Loge.

Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg
Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg

Nicht ganz klar wird, wieso in dieser vorgeführten Historisierung ein Regisseur immer wieder mit den Darstellern in Konflikt kommt oder die Sänger auch mal im Streit die Szene verlassen. Wenn sich Parsifal ohne Kostüm zeigt, dann in SA-Braun und mit Stiefeln. Seine blonde Perücke hat er abgelegt und modelt sich seine eigenen Haare auch noch im Stile seines Führers zurecht. Dadurch bekommt zwar die Videoanimation des zerstörten Opernhauses einen doppelten Boden – arg konstruiert wirkt dieser Akt aber dennoch. 

Happyend oder Endspiel?

Im Endspiel schließlich taucht Parsifal gleich in siebenfacher Gestalt und jede in weißem Schutzanzug wieder im Bühnenbild des Weihspiels auf. Dort hängen noch die Fetzen der Verhüllung, der tote Titurel ist aufgebahrt, der Gralsbottich abgedeckt. In dieser (auch sonst gern genommenen) postkatastrophischen Atmosphäre steuert Hermann stracks auf eine Art Happyend zu, auch wenn das mit seiner Bezeichnung Endspiel für diesen Aufzug kollidiert. Immerhin fasst er Erlösung als eine Sache für (Über-)Lebende auf.

Amfortas wird zwar gleich von allen sieben Speerbruchstücken attackiert; aber diese Art von Medizin hat zur Folge, dass er seine Wunde los wird und fortan ziemlich munter wirkt. Ebenso wie Kundry, die den Gral nicht nur enthüllt, sondern wie bei einem Zaubertrick allen zeigt, dass er leer ist. Auch wieder ziemlich konstruiert wirkt dessen Nachverwertung als eine Art Vorrichtung zur Umwandlung von Sonnenlicht in Energie (oder was auch immer). Das Licht reflektieren die Gralsbewohner mit jenen Spiegeln nach dort oben, aus denen die Titurelfigur auf wundersame Weise besteht. 

Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg
Szenenbild aus „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg

Starkes Wagner-Ensemble

Auch wenn die Inszenierung einige Fragen offen lässt, war sie doch musikalisch durchweg überzeugend. Mit bestens einstudierten und gut zur Geltung kommenden Blumenmädchen und einem machtvollen Chor, der vor allem bei den Gralsenthüllungen Furore machte. Mit tadelloser Kondition schulterte Patrik Zielke die lange Gurnemanz-Partie, mit überzeugend akzentuierter Diktion Jochen Kupfer den Amfortas.

Wonyon Kang ist ein angemessen dämonischer Klingsor, Nicolai Karnolsky ein betont kraftvoller Titurel. Vor allem aber hinterlassen Anna Gabler als darstellerisch intensive Kundry und der mit betörendem Metall in der Stimme auftrumpfende Tadeusz Szlenkier als Parsifal einen starken Eindruck. Sie alle wurden gebührend vom Premierenpublikum gefeiert. Einzelne Proteste gegen das Regieteam gingen im allgemeinen Beifall unter. 

Staatstheater Nürnberg
Wagner: Parsifal

Roland Böer (Leitung), David Hermann (Regie), Jo Schramm (Bühne, Video), Bettina Werner (Kostüme), Tarmo Vaask (Chor), Georg Holzer (Dramaturgie), Elana Siberski (Licht), Tadeusz Szlenkier, Jochen Kupfer, Nicolai Karnolsky, Patrick Zielke,Wonyong Kang, Anna Gabler, Chor des Staatstheater Nürnberg, Staatsphilharmonie Nürnberg




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