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„Giulio Cesare“ an der Oper Frankfurt – Die Barockoper ist ein sehr langer ruhiger Fluss

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Cleopatra, Pretty Yende (r.), mit ihrem treuen Nireno, Iurii Iushkevich. Foto: Monika Rittershaus
Cleopatra, Pretty Yende (r.), mit ihrem treuen Nireno, Iurii Iushkevich. Foto: Monika Rittershaus © Monika Rittershaus

Die Oper Frankfurt zeigt Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ in vielen Schattierungen von Grau.

Giulio Cesare in Egitto“ erzählt jenen Teil aus dem Leben von Cäsar und Kleopatra, in dem es noch einmal gut ausgeht, für die beiden sogar so gut, dass eines der schönsten Duette der Welt daraus resultiert. Für die übrigen Figuren: teils, teils, nein, eigentlich nicht so gut. Im Frankfurter Opernhaus dauert es bis dahin vier Stunden (die beiden Pausen eingerechnet), das ist für eine barocke Perlenkette von Arien und ferner Rezitativen und kleinen Ensembles eine Strecke. Diese ist trotz des als Glück besungenen Ausgangs und trotz der Dominanz hoher Stimmen dunkel grundiert, nicht pechschwarz, aber in den vielen, den zahllosen Facetten von Leid, Trauer, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung.

Georg Friedrich Händels Dramma per musica, auf ein Libretto von Nicola Francesco Haym und 1724 in London uraufgeführt – vor genau 300 Jahre also, s. FR. v. 20.2.) – hat psychologisch einen hohen Wahrheitsgehalt und eine noch höhere Intensitätsstufe. Zugleich tut sich zwischen einigen hochdramatischen Momenten lediglich graduell etwas. Vieles, das macht die ruhige Frankfurter Neuproduktion deutlich, bleibt in einer Art Gleichgewicht des Schreckens: Hier die (noch) nicht ausgeführten Drohungen, dort das große Grausen. Alle planen immerzu was, aber dann singen sie so lange, bis doch wieder nichts daraus wird.

Erst ein Mord, einer von jenen, an denen letztlich kein Weg vorbeiführt, ermöglicht das Fortschreiten der Handlung hin zum Happyend, an dem auch die Regisseurin Nadja Loschky milde zweifelt. Nicht am Glück, das Giulio Cesare und Cleopatra als Paar empfinden. Aber daran, dass alle daran Anteil haben. Cornelia und ihr Söhnchen Sesto werden nicht über das hinwegkommen, was sie in den vergangenen Stunden erlebt haben. „Ich bin zum Weinen geboren“, singen sie.

Musik ist wie ein Zauber, der das Schlimmste verhindert, freilich auch über einige Zeit die Auflösung der verfluchten Situation. Es gibt Inszenierungen, die mit Pep über diesen Stillstand hinweggehen, einen Stillstand, der schon durch die Musik an sich ein sehr langsames Fließen ist. In Frankfurt kann man nun genau dabei zuschauen.

Etienne Pluss’ Bühne ist eine (scheinbar) unendliche Abfolge von Sälen und Kammern, die in zum Teil fast unmerklicher Dauerbewegung am Publikum vorüberziehen. Wer noch etwas länger im Bild bleiben will, muss eventuell in die entgegengesetzte Richtung laufen, das muss ausgetüftelt werden und variiert im Tempo je nach Szene. In den vorüberziehenden Sälen und Kammern herrscht ein weitgehendes Farbenverbot, giftgrüne Trauben oder Bäumlein sind bereits Knaller in den Grauschattierungen, die in schöner Ausleuchtung (Joachim Klein) natürlich dennoch grau bleiben. Während einer Arie bewegt sich alles schon zur nächsten Arie hin, es entstehen reizvolle Bilderteilungen, aber nicht um wie im Serien-Splitscreen mehr Aktion zu vermitteln, sondern um Elegie und Leid und gelegentlich auch das gegenseitige Belauern zu verdoppeln oder zu verdeutlichen. Das hat eine spartanische, minimalistische Seite, es ist wirklich manchmal etwas wenig, dann wieder muss man zugeben, dass es nicht nichts ist.

Dann wieder auch kleine Blickfänge: Sieh an, Julius Cäsar isst ein hartgekochtes Ei. Tolomeo liegt in der Badewanne. Cleopatras Vertrauter Nireno malt in seiner Freizeit Bäume. Die kleinen Fluchten wirken interessanterweise triftiger als etwa die Vervierfachung des Liebespärchens Giulio / Cleopatra. Manches erscheint, wenn Loschky sich interpretierend so zurückhält, wie eine bloß formale Belebung der Szene.

Früh aber und heftig das Schreckensbild, das es auf den Umschlag des Programms geschafft hat und alles weitere in Gang setzt. Der Ägypter Tolomeo, mit seiner älteren Schwester im Clinch um die Herrschaft im Lande, hat Julius Cäsars hierher geflüchteten Rivalen Pompeius in vorauseilendem Gehorsam gegen den soeben in die Stadt einziehenden römischen Feldherrn köpfen lassen. In Frankfurt wird nicht sein Kopf präsentiert, sondern, in einer Vitrine, der Körper dazu. Das ist ein übler Anblick, man kann sich gut vorstellen, wie Loschky und Pluss nach einem einzigen drastischen Bild gesucht haben, um Witwe und Sohn abgrundtief zu schockieren.

Auch ansonsten kommt Tolomeos Untat nicht gut an. Aber alle lassen sich nun eben auch ablenken: Tolomeo und sein Berater Achilla durch Cornelias Schönheit, Giulio Cesare durch Cleopatras noch größere Schönheit. Aus taktischen Gründen gibt sie sich als Dienerin aus, zeigt sich, entschlüpft wieder. Cornelias rachedurstiger Sohn ist unterdessen zu zart und machtlos, um rasch etwas gegen Tolomeo auszurichten. So kann das jetzt eine ganze Weile weitergehen, und so geht es auch eine ganze Weile weiter.

Witz und Selbstironie, an die man sich mit Blick auf Barockopern möglicherweise auch allzu sehr gewöhnt hat, sind auf ein Minimum zurückgefahren. Irina Spreckelmeyers Kostüme bieten Orientierung und zeigen die ägyptische Seite in weißer Dekadenz – Perlen, Netzhemden, aber einen Jux machen sie sich nicht daraus –, die römische trägt hochgeschlossenes Schwarz. Nonnenhaft das Personal, die Lederfaltenröckchen der Soldaten vermitteln ein apartes Extrakt römischer Legionärsuniformen. Im Feld wären all diese Kleidungsstücke untauglich, aber in Frankfurt werden zwar Messer gezückt und Köpfe unter Wasser gehalten, die Schlachten aber spielen sich so weit im Off ab, dass nicht einmal ein Hauch davon auf die Bühne kommt. Zu sehen sind allein Schlachten in den Seelen. Schlimm genug.

Simone Di Felice steuert vom Graben aus das Museumsorchester durch eine schlanke, aber nicht blutarme Musik. Dem Ensemble auf der Bühne ist das dienlich. Sind es fürs Auge die Schattierungen von Grau, sind es fürs Ohr die Schattierungen von hohen Stimmen, die den Abend beherrschen.

Seine Königin ist Pretty Yende, die sich als muntere, freche, absolut nicht mystifizierte Cleopatra in erschütternd exakte Klangwirbel hineinsingt. Cláudia Ribas, eine Perle aus dem Opernstudio, ist die samtig dunkel timbrierte Cornelia. Bianca Andrews Sesto tritt als braver Gymnasiast am Rockzipfel der Mutter auf. Seine körperliche Unterlegenheit gegenüber den wuchtigen Männerkörpern ist virulent, Andrews Mezzo ist wie immer glasklar und verwebt sich wunderbar mit Ribas’. Neben Iurii Iushkevich als Nireno, der eine besonders lichte, makellose Counterstimme mitbringt, ist sie zugleich eine schillernd androgyne Figur – alle Behauptungen vom geschlechterfluiden Barock werden in diesen beiden leibhaftig und greifbar.

Dass das ganz ohne Chichi geschieht, zeigt, dass man Loschkys Personenführung bei all ihrer Zurückhaltung auch nicht unterschätzen sollte. Der Händel ist ihr Frankfurter Debüt, Loschky, deren gelungene Inszenierung der Weinberg-Oper „Die Passagierin“ derzeit am Staatstheater Mainz gezeigt wird, ist künstlerische Leiterin des Musiktheaters am Theater Bielefeld und designierte Intendantin des Hauses (von 2025 an).

Die Irritation eines Julius Cäsar mit hoher Stimme macht sich wiederum Lawrence Zazzo ganz anders zunutze, steigert die Verwirrung durch ein sattsames und unzweideutig männliches Gebaren. Er ist die Figur, die mit Abstand am wenigsten Stress ausgesetzt ist, und auch von den gesungenen Anteilen her dürfte es vor allem die Prominenz seines Namens sein, die ihn zum Titelhelden gemacht hat. Zazzo ist als Tamerlano (im Bockenheimer Depot) unvergessen, im großen Saal fehlt ihm an diesem Abend trotz machtvoller Höhen etwas die Durchschlagskraft. Enorm beweglich bahnt sich sein genießerisch schurkisches Pendant Tolomeo, Nils Wanderer, den Weg durch die Partie. Trotzdem ist es gut, zwischendurch das sonore Wüten des Bassbaritons Božidar Smiljanic als Achilla zu erleben.

Das Publikum schon ziemlich begeistert, aber auch erschöpft. Klug die zwei Pausen, ein paar weitere Striche wären womöglich noch klüger gewesen.

Oper Frankfurt: 29. März, 6., 11., 14., 20., 27. April, 4., 8., 10., 18. Mai. www.oper-frankfurt.de

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