Eine umweltfreundlich produzierte Oper – vorbildhaft! Eine Opernvorstellung, die generationsübergreifend besetzt ist – umso besser! Ein modernes Opernsujet, welches zeitnah die politische Wirklichkeit einfängt – jetzt wird es spannend. Ein künstlerisches Team, welches sich nichts weniger als eine radikale Systemveränderung auf ihre Fahnen geschrieben hat? Diese ehrgeizige Opernuraufführung von Ellen Reids The Shell Trial an der Dutch National Opera zeigt, dass unsere Klimakrise vor allem auch eine Krise der Verantwortung ist und stellt diese wichtige gesellschaftspolitische Frage unübersehbar in den öffentlichen Kunstraum.

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Lauren Michelle (The Artist)
© Marco Borggreve | De Nationale Opera

Sie werden denken, dass dies alles zu viel des Guten ist... und Sie haben leider recht! Die aktuelle Inszenierung in Amsterdam ist jedoch nicht an ihren hochgesteckten Ambitionen gescheitert, sondern vor allem an praktischen Problemen der Ausführung. Für den Projektchor waren beispielsweise Kinder aus verschiedenen Schulen in Amsterdam und Almere ausgewählt worden. Dieses durchaus lobenswerte Beteiligungsprojekt und vor allem der gemeinsame Probenprozess hätten aber deutlich mehr Zeit verdient. Dasselbe galt für ein Gruppe von älteren Laientänzern, deren Mut und Engagement eine deutlich professionellere Begleitung und Einbettung verdient hätte.

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Anthony León (The Consumer)
© Marco Borggreve | De Nationale Opera

Zurück zum Inhalt: Im Jahr 2021 wurde der Ölgigant Shell vor Gericht für seinen Anteil am Klimawandel verantwortlich gestellt. Shell ging in Berufung und in dieser Verhandlung wird es im nächsten Monat zu einem erneuten Urteilsspruch kommen. So ist The Shell Trial, ursprünglich ein Theaterstück von Anoek Nuyens und Rebekka de Wit, derzeit aktueller denn je. Im erweiterten Libretto von Roxie Perkins, kommen neben verschiedenen Stimmen der Klimadebatte auch die Ölförderung in den ehemaligen Kolonien der Niederlande ins Bild. Das Regieduo Romy und Gable Roelofsen machen im stärkeren ersten Teil der Oper überzeugend deutlich, dass gegenseitige Schuldzuweisungen uns nicht weiterbringen.

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The Shell Trial
© Marco Borggreve | De Nationale Opera

Die charismatische Lauren Michelle (The Law) leitet den Abend spielerisch mit einer kleinen Ansprache ein, bevor sie mit ihrer hell tragenden Sopranstimme das Singspiel beginnt. Der ideal besetzte norwegische Bariton Audun Iversen singt den weltgewandten Shell-Direktor, der lässig demagogisch den gierigen Konsumenten die Schuld in die Schuhe schieben will. Im Folgenden sticht vor allem Sopran Ella Taylor (The Activist) aus einem sehr homogenen stimmgewaltigen Sängerensemble hervor.

Die amerikanische Komponistin Ellen Reid ist in dieser Saison Composer in Residence des Concertgebouw Orchesters und des Concertgebouw. In diesem Rahmen bleibt Reid in diesem Frühjahr in Amsterdam und hat dafür eine neue Vondelpark-Version ihres Soundwalks, eines Spaziergangs mit Musik, entwickelt. Während ihres Aufenthalts arbeitet Reid auch an einer Komposition für das Concertgebouw-Orchester.

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The Shell Trial, vorne: Ella Taylor (The Activist)
© Marco Borggreve | De Nationale Opera

Ihre neue Opernpartitur (für ihre Oper Prism gewann sie 2019 den Pulitzerpreis) kennt vor allem in der ersten Hälfte interessante Aspekte. Ihre sehr einprägsamen Melodielinien unterstützen die Verständlichkeit der stichhaltigen Texte. Die Duette und Terzette gehören trotz der eher traditionellen Harmonik mit zu dem Schönsten, was diese Oper zu bieten hat. Bei der kompositorischen Gestaltung der im Verlauf mehr zeitgenössischen Klänge der Oper überzeugt Reid deutlich weniger.

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The Shell Trial
© Marco Borggreve | De Nationale Opera

Dirigent Manoj Kamps war auch verantwortlich für die Mitgestaltung der freien Teile der Partitur. Er dirigierte in traditionell indonesischer Kleidung Mitglieder der Akademie des Concertgebouw-Orchesters, die, teilweise als Wissenschaftler verkleidet, einen prominenten Platz mitten auf der Bühne einnehmen. Unglücklicherweise sitzen die jungen Musiker viel zu weit auseinander, sodass es im Laufe der gut 1,5 Stunden dauernden Oper immer wieder zu kleinen Koordinationsschwierigkeiten kommt. Wenn gegen Ende eine Kombination mehrerer Kinderchöre aus dem Zuschauerraum heraus von zwei Seiten singend auf die Bühne tröpfelt, bekommt Kamps diese große Gruppe unerfahrener Sänger niemals richtig in den Griff. Auch die bis dahin leidlich zu folgende Handlung gerät hier total aus dem Ruder. Es gibt, besetzt mit jungen Laienstimmen, auf einmal einen zukünftigen Direktor und auch ein zukünftiges Gesetz. Die Inszenierung endet in einer Art Antiklimax, wenn alle Kindern ihre mitgebrachten Schlafsäcke auf der Bühne ausbreiten.

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