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Opern-Kritik: Staatsoper Stuttgart – Dora (UA)

Der Teufel bleibt männlich

(Stuttgart, 3.3.2024) Die Uraufführung von Bernhard Langs Oper „Dora“ zum Libretto von Erfolgsautor Frank Witzel begeistert das Publikum. Denn hier fließt ein dichter Strom vitalen Musiktheaters.

vonRoberto Becker,

Ist das nun noch eine Faust-Oper, die an der Staatsoper Stuttgart gerade unter dem Titel „Dora“ uraufgeführt wurde? Nur eben mit einer Frau von heute namens Dora als dem Objekt der teuflischen Begierde in Sachen Seelennachschub für die Hölle?

Ja und Nein. Wenn man uneingeschränkt Ja sagt, dann kommt sogleich der Verdacht nach Wiederholung und Variation einer bereits reichlich durchdeklinierten Geschichte auf. Einer Geschichte, bei der das heimische Publikum letztlich die Plausibilität der Novität an deren Nähe zu Goethes Hauptwerk misst. Zumindest so lange noch ein schulischer Lektürekanon nachwirkt, für den der Verzicht auf „Faust“ ein undenkbares Sakrileg ist.

Sogkraft von Text und Musik

Natürlich kann man an dieser „Dora“-Oper auch ohne jede „Faust“-Vorkenntnis seine Freude haben und sie als eine Lektüre-Herausforderung ganz eigener Art begreifen. Das von der Stuttgarter Oper zum Programm mitgelieferte Libretto von Erfolgsautor Frank Witzel umfasst immerhin zwanzig eng bedruckte, doppelspaltig gefüllte Seiten, die (so der Dramaturg bei der Einführung) auf sage und schreibe 700 Übertitel in den reichlich einhundert Minuten verteilt wurden.

Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart
Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart

Der Autor, Jahrgang 1955, wurde u. a. 2015 für sein Romanprojekt „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Für seinen Abstecher ins Libretto-Genre hat er eng und detailliert mit dem österreichischen Komponisten Bernhard Lang, Jahrgang 1957, für dessen mittlerweile 19. Musiktheater zusammengearbeitet.

Diese Entstehungsgeschichte, in die dann ab einem gewissen Punkt auch Regisseurin Elisabeth Stöppler einbezogen war, merkt man der Verschränkung von rhythmischer Sprachmelodie des Textes und Parlandoaffinität der Musik durchweg an. Beides entwickelt einen Sog, in den sich auch die für Lang typischen Wiederholungsschleifen problemlos einfügen.

Familienhölle in einem Siedlungshäuschen

Zu dieser beglückenden Demonstration von perfektem Handwerk gesellt sich immer wieder die Freude am unbefangenen Rückgriff auf bewährte dramatische Muster (etwa der antiken Familientragödien, wenn es um die Familienhölle in einem Siedlungshäuschen geht) oder auf musikalische Anspielungen. Beginnt der Abend noch mit donnernd aus den Logen an der Seite und in der Mitte des ersten Ranges überfallartig niedergehenden Schlagzeugsalven, amüsiert man sich sogleich darüber, wie sich Lang für seinen musikalischen Parlandostrom bei Wagners „Das Rheingold“ oder den Agamemnonrufen der „Elektra“ von Richard Strauss bedient.

Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart
Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart

Diesen Wechsel bekommt die im Umgang mit musikalischen Neuheiten vertraute Dirigentin Elena Schwarz am Pult des in dem Falle 23-köpfigen Staatsorchesters Stuttgart, samt der drei ausgelagerten Dependancen, mit Präzision und Einfühlung in den durchgehenden rhythmischen Sound fabelhaft hin.

Wiederbelebung des antiken Chores

Mit solchen witzig erhellenden Durchgriffen auf das Arsenal von ikonischen Klangbildern greift die Musik auf die Vorgeschichte der um die letzte Jahrtausendwende geborenen Titel-Antiheldin zurück, wertet sie auf, nimmt ihr aber auch jeden Anflug von Einmaligkeit. Zum anderen bekennen sich die Autoren auch mit der Wiederbelebung eines antiken Chores und dessen kommentierender Funktion strukturell zu diesem Rückgriff.

Bevor der erste Ton erklingt (besser: über die Köpfe der Zuschauer hereinbricht), sitzen sie allesamt an der Rampe vor einer hellen Wand, die Ausstatter Valentin Köhler nur mit den selbstleuchtenden Buchstaben DORA versehen hat. Wenn die Wand dann nach hinten abkippt, wird der Blick auf ein Metallgerüst frei, das die abstrakte, manchmal von Videos geflutete Spielfläche begrenzt. Und mit einzelnen Worten oder verselbständigten Körperteilen surreal bevölkert und damit erweitert. Zu Beginn jedenfalls sind sie alle in ihren schräg bunten, auf Typenklischees setzenden Kostümen an der Rampe versammelt. Es ist der achtköpfige antike Chor des Ensembles Neue Vocalsolisten extended.

Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart
Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart

In der Mitte die fabelhafte Josefin Feller, die sich darstellerisch und parlandovokal als Dora profilieren wird. Das gilt auch für ihre Eltern. Maria Theresa Ullrich ist die herrische Mutter und Stephan Bootz der Vater, der seine Arbeitslosigkeit beharrlich ausblendet. Shannon Keegan ist immer auf der Seite ihrer großen Schwester, wenn die attackiert wird.

Dominic Große gibt den kleinen Bruder als Möchtegern Jung-Siegfried auf dem Weg in die Welt und darf einmal sogar so richtig lostönen. Marcel Beekman brilliert als Teufel in Beamtengestalt genauso wie im klassischen Mephisto-Kostüm am Ende. In der ersten Gestalt erkennt ihn Dora gar nicht. Wenn er zum zweiten Mal auftaucht, dann erkennt sie ihn zwar, aber er hat keine Lust mehr, den Lebensberater für Dora zu geben, weil das halt nicht seine Profession ist.

 Ein Stück, dem man gern wiederbegegnen würde

Elliot Carlton Hines schließlich ist Berthold, der Freund und Verehrer Doras. Weil Dora sich nicht für ihn interessiert, versucht er sich erfolglos umzubringen und landet sprachlos im Rollstuhl. Wenn er am Ende im langen weißen Kleid (wie ein Vertreter Gretchens) auftaucht und dann wenigstens eine fürsorgliche Aufmerksamkeit Doras auf sich zieht, mag das eine in die Welt ohne den Glauben an Himmel und Hölle projizierte Art von Erlösungsmöglichkeit sein; oder vielleicht doch nur ein neuer Versuch, der von Dora von Beginn an beklagten Langeweile zu entkommen?

Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart
Szenenbild aus „Dora“ (UA) an der Staatsoper Stuttgart

Von diesem Grundgefühl, das Dora zur Verzweiflung und in die Nähe des Teufels getrieben hat, kommt bei den Zuschauern jedenfalls nichts an. Die ergreift ein dichter Strom vitalen Musiktheaters, bei dem sich Wort und Musik so intensiv wie selten gegenseitig vorantreiben. Jubel für Alle. Und für ein Stück, dem man gern wiederbegegnen würde.

Staatsoper Stuttgart
Lang: Dora

Elena Schwarz (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie), Valentin Köhler (Bühne & Kostüme), Vincent Stefan (Video), Elana Siberski (Licht), Matthias Schneider-Hollek (Ton / Klangregie), Miron Hakenbeck (Dramaturgie), Josefin Feiler, Shannon Keegan, Dominic Große, Maria Theresa Ullrich, Stephan Bootz, Elliott Carlton Hines, Marcel Beekman, Neue Vocalsolisten extended, Staatsorchester Stuttgart

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