Eugen Onegin mit der entrückten Tatjana (Ruzan Mantashyan).
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Und dann ist da, auch bei sehr guten Aufführungen, plötzlich das Außergewöhnliche: Genie, Feingefühl, Spontaneität, Kreativität und die atemberaubende Beherrschung der künstlerischen Mittel. Das sehr Gute wirkt dagegen dann fast ein bisschen fad.

Ruzan Mantashyan gab am Freitagabend in Tschaikowskis Eugen Onegin – Lothar Koenigs leitete das Staatsopernorchester kenntnisreich und engagiert – ein erstklassiges Hausdebüt. Die gebürtige Armenierin hat die Tatjana schon in Hamburg und Berlin gegeben, mit ihrem energischen, durchsetzungsfähigen Sopran forcierte sie die dramatischen Anteile der Partie. Die lyrische Seite der scheuen, literaturaffinen jungen Frau vom Land blieb etwas unterbelichtet: Eugen Onegin war bei ihr mehr große Oper als eine Folge "lyrischer Szenen".

Bühnenmutter und Bühnenschwester

Mit ihrer Bühnenmutter und Bühnenschwester – in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov stehen übrigens alle Handelnden unter Esszimmerarrest – gab es vokale Verwandtschaftsverhältnisse: Auch Elena Manistinas Larina und Daria Sushkovas Olga agierten vokal so perfekt wie potent, wenn auch mit mehr glänzender Politur in der Stimmummantelung.

Mit seinem hellen, druckvollen Bariton interpretierte Boris Pinkhasovich die Titelpartie eher eindimensional: Eugen Onegin war beim russischen Routinier weniger zynischer Dandy als vorwärtsstürmender Kraft- und Machtmensch. Da taten sich bei Ain Anger schon mehr darstellerische Facetten auf. Der Fürst Gremin des Kammersängers war nicht, wie meist üblich, ein steifer alter Geldsack, sondern hatte eine souveräne Lässigkeit. Und Angers große Arie im sechsten Bild: Chapeau.

Bogdan Volkov danken

Das Außergewöhnliche, Atemberaubende dieser Aufführung war aber Bogdan Volkov zu verdanken: einem Stimmagier mit feinem, sonnenstrahlhellem Tenor, der sich auch zu weiten wusste. Sein Lenski war ein flatterhafter, dünnhäutiger Poet, von der Liebe berauscht und tödlich verletzt. Ein Publikumsherzensbrecher. Wenn Volkov singt, müsste diese Oper nicht Eugen Onegin heißen, sondern Lenski. Jubel. (Stefan Ender, 3.3.024)