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Zürich, Opernhaus: DIE LUSTIGE WITWE, 11.02.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die lustige Witwe

copyright aller Bilder: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Barrie Kosky inszeniert Lehárs Operettenhit, mit Michael Volle als Danilo und Marlis Petersen als Hanna Glawari

Operette in drei Akten | Musik: Franz Lehár | Text: von Victor Léon und Leo Stein, nach Henri Meilhacs Komödie L'ATTACHÉ D'AMBASSADE | Uraufführung: 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien | Aufführungen in Zürich: 11.2. | 14.2. | 16.2. | 18.2. | 20.2. | 25.2. | 1.3. | 5.3. | 7.3. | 10.3. | 12.3. | 14.3.2024

Kritik: 

JA, DAS STUDIUM DER WEIBER IST SCHWER ...

So heisst es im Refrain von einem der ganz grossen, unsterblichen Gassenhauer aus Lehárs Operette DIE LUSTIGE WITWE. Was in der Nachkriegszeit in Aufführungen und Verfilmungen dieser Operette oftmals als schenkelklopfende Nummer (mit einem genüsslichen Hauch von Misogynität, also Frauenfeindlichkeit) gegeben wurde, erhält nun in Zürich eine tiefere Dimension. Der Regisseur Barrie Kosky lässt am Ende nämlich Hanna Glawari die oftmals gestrichene zweite Strophe des Schlagers im Stil einer Diseuse interpretieren (arrangiert vom Dirigenten der Aufführung: Patrick Hahn). In dieser zweiten Strophe ist dann nämlich das Eingeständnis der Männer zu hören, dass sie eben auch Despoten (heute würde man sagen Machos) seien, zu Seitensprüngen neigten ("..ihr naschet gern, was sonst verboten"), und beschwipst nach Hause kämen. Hanna und Danilo stehen zu Beginn dieser Schlussszene als alterndes Ehepaar nebeneinander am Flügel. Doch Danilo schleicht sich gegen Ende dieser zweiten Strophe von dannen (fühlt er sich betroffen und geht wieder ins Maxim?) und Hanna bleibt alleine auf der dunklen Bühne zurück, stützt sich auf den Flügel und spricht ihre letzten Worte: "Ja, so - ist's einmal und fertig!" Das Licht geht aus. Mit diesem berührenden, wunderbar feinfühlig ersonnenen und poetischen Epilog erreichte Kosky eine Tiefe, die er im Interview im Programmheft eigentlich - wenn auch etwas augenzwinkernd - ausgeschlossen hatte. Aber selbstverständlich ist er ein viel zu kluger Regisseur, um einfach an der lackierten Oberfläche der Operette haften zu bleiben. Vor dem Epilog lässt er nämlich den schmissigen Schlusschor des Finales Weib, Weib, Weib, Weib! Mädchenzart, Gretchenart, blondes Haar, mit dem treuesten Blauäugleinpaar ganz abrupt und verstörend abbrechen, um eben den erwähnten Epilog zu präsentieren. Das ist überraschend und genial. So schliesst sich der Bogen seiner Inzenierung, denn er hatte das Stück mit einem Prolog begonnen, wo man auch die leicht gealterte Hanna am Flügel sitzen sieht, allein, und sich zu einem Arrangement ab Klavierwalze (Kosky hat das auf YouTube entdeckt: Ein von Lehár selbst errichtetes Arrangement aus Melodiefragmenten seiner Operette) an die Vergangenheit erinnert, die nach und nach mit eleganten Tänzern im Frack konkrete Gestalt annimmt. Für diesen Prolog nimmt sich Kosky Zeit, viel Zeit - und das ist gut so, denn danach bringt Kosky den von ihm erwarteten Klamauk auf die von Klaus Grünberg gestaltete Bühne, die von einem spiralförmig über der Bühne in Schienen gleitenden Vorhang dominiert wird, Intimität und Öffentlichkeit zulässt und Kosky die Möglichkeiten zur genauen Charakterzeichnung eröffnet, einer Personenführung, die durchaus auch mal überzeichnet sein und sich in Stereotypen flüchten darf (Männer kriegen's immer gleich im Kreuz, wenn sie sich etwas bewegen müssen ... ). 

KOPFPUTZE UND NOCH MEHR KOPFPUTZE

Erst ist in der langsam heraufdämmernden Erinnerung Hannas alles in Schwarz-Weiss gehalten, die Kostüme werden jedoch von Akt zu Akt bunter. Nach dem Schwarz-Weiss des ersten schleichen sich beim Fest mit den Bräuchen der pontevedrinischen Heimat und dem Vilja-Lied grüne Töne in die Kostüme, sie werden immer ver-rückter, die kunstfertigen Kopfputze der Damen wachsen in die Höhe, bis es im dritten Akt mit den Grisetten und der Imitation des "Maxim" kein Halten mehr gibt, die Farben und die Schrillheit im Offenbach'schen Cancan regelrecht explodieren. Gianluca Falaschi hat hier eine schlicht atemberaubende kostümbildnerische Arbeit vollbracht und die Schneiderei, die Hut- und Schumacherei des Opernhauses Zürich haben diese Entwürfe mit überwältigender Pracht umgesetzt: Allein nur schon deshalb lohnt sich ein Besuch dieser Aufführung.

SCHWUNG

Die für das totale Operettenerlebnis erforderliche, nie nachlassende Beschwingtheit kommt einerseits von den schmissigen Choreografien von Kim Duddy, oftmals mit eingebautem Crossdressing und Genderflexibilität. Andererseits spielt die Philharmonia Zürich Lehárs so wunderbar orchestrierte Partitur mit einer klanglichen Transparenz der Extraklasse. Da lässt der junge, Dirigent Patrick Hahn (Jahrgang 1995 und bereits seit zwei Jahren GMD in Wuppertal) Instrumente und Nebenstimmen aufblitzen, verleiht der Partitur die erforderliche Farbigkeit, ohne je den Schmiss zu vernachlässigen. Das ist überragend geleitet und von den Musiker*innen genau so fantastisch umgesetzt.

GESCHLECHTERKAMPF: DIE SELBSTÄNDIGE FRAU VERSUS STURER BOCK

Die Figur der Hanna Glawari wird von Marlis Petersen mit wunderbarer Vielschichtigkeit interpretiert, eine Frau, die weiss, was sie will. Ihr Spiel ist schlicht grandios, die Agilität, die Geschmeidigkeit, die Eleganz, die Verschmitztheit und die Intelligenz - das alles bringt sie grossartig zum Ausdruck, jeder ihrer Auftritte packt und weckt Interesse! Das gilt auch für Michael Volle als Danilo: Von seinem ersten Auftritt an, wenn er betrunken und in ungeordneten Klamotten aus dem Maxim auf die Bühne torkelt bis zu seinem stillen Abgang im Epilog vermag der begnadete Sängerdarsteller zu fesseln. Stimmlich sind die beiden ein Traumpaar: Er mit seinem vollen, wunderbar ausdrucksstark timbrierten Bariton und seiner exemplarischen Diktion vermag genauso zu begeistern wie sie, Marlies Petersen, mit ihrer weich geführten, nie forcierenden und so wunderschön klingenden Sopranstimme und ihrer intelligenten und einfühlsamen Interpretation. Ihr Piano im Vilja-Lied zum Dahinschmelzen! Wenn sie dann beide vor dem Epilog die Melodie von Lippen schweigen, s'flüstern Geigen, hab dich lieb summen, ist man echt gerührt. 

Ganz eindringlich zeigen Petersen, der Regisseur Kosky und der Kostümbildner Falaschi diese emanzipierte Frauenfigur: Im zweiten Akt fährt sie wie eine Madonnenstatue auf dem Flügel stehend gleich einer Osterprozession auf der Bühne ein, der lange schwarze Umhang wird schnell abgelegt, darunter trägt sie ein hautenges, sexy die Kurven betonendes Kleid. Die Männerfantasien von "Heilige und Hure" sarkastisch bedienend. Gegen Ende mutiert sie immer mehr zur Ikone der selbständigen, emanzipierten Frau im 20. Jahrhundert: Marlene Dietrich; erst im schwarzen, männlichen geschnittenen Frackanzug, dann im eleganten Abendkleid, das Marlene im Lubitsch-Film ANGEL getragen hatte. Makeup, Frisur und Haltung, alles so echt wirkend, dass man glaubte, Marlene sei auferstanden!

DIE ANSTÄNDIGE FRAU UND DIE TROTTEL

Das zweite Paar und die Nebenfiguren sind dann wieder eher in der Schablone der tradierten Operettenkomik angelegt. Valencienne, die vorgibt, eine anständige, verheiratete Frau zu sein, und deshalb ihren Verehrer Camille nicht so richtig ranlässt (oder war da nicht doch was im Pavillon?) wird als dämlich dauerkichernde Dame gezeichnet. Katharina Konradi spielt das mit der gebotenen Komik und singt mit herrlich leichter, biegsamer Stimme. Ihr Verehrer Camille de Rosillon wirkt wie ein befliessener, aber leicht depperter Oberlehrer. Andrew Owens gestaltet die etwas unsympathische Rolle mit sanftem, wohlklingendem Tenor. Baron Zeta (Valenciennes Mann) ist der Trottel vom Dienst, es hat ihm gewaltig auf die Leitung geregnet, so schwer von Begriff ist dieser tattrige Botschafter Pontevedros. Martin Winkler interpretiert ihn mit witzig quäkender Stimme. Die wichtige Sprechrolle des Njegus (Kanzlist bei der pontevedrinischen Botschaft und Überbringer schlechter Nachrichten) wird von der Schauspielerin Barbara Grimm mit spürbar grosser Lust am gekonnten Chargieren gegeben. Stets, wenn vom pontedrinischen Staat die Rede ist, schreien alle Pontevedriner auf der Bühne salutierend UFFTA, diesen Schlachtruf, den man von Fussballfans kennt (oder aus der Folge Yokel Hero der Fernsehserie GOLDEN GIRLS, wo ihn die hinterwäldlerischen St.Olafians anwenden). Die Verehrer Hannas, die noch so gern in Ja, das Studium der Weiber ist schwer einstimmen, sind mit Omer Kobiljak (Cascada) und Nathan Haller (Saint-Brioche) luxuriös besetzt. Zum bestens gelaunten und spielfreudigen Ensemble leisten Valeriy Murga (Konsul Bogdanowitsch), Maria Stella Maurizi (Sylviane), Chao Deng (Kramow), Ann-Kathrin Niemczyk (Olga), Andrew Moore (Pritschitsch) und - es ist immer eine Freude, sie auf der Bühne zu sehen - Liliana Nikiteanu (Praskowia) wichtige Beiträge. Ein besonderes Lob gilt natürlich den Tänzerinnen und Tänzern (Sara Friedli, Natalia López Toledano, Romy Neumann, Sara Peña, Sara Pennella, Noa Joanna Ryff, Pietro Cono Genova, Alexander Hallas, Alessio Marchini, Davide Pillera, Steven Seale, Alessio Urzetta) welch ihre schmissigen und rasanten Auftritte zu echten Hinguckern machen. Der Chor der Oper Zürich (Leitung: Ernst Raffelsberger) und der Statistenverein am Opernhaus Zürich tragen zum Erfolg dieser einhellig und zu Recht lautstark bejubelten Neuproduktion entscheidend bei. 

Inhalt:

Bei einem Fest in der pontevedrinischen Botschaft wird die reiche Witwe Hanna Glawari erwartet. Alle Pariser Jungesellen umschwärmen die lebenslustige Dame, nur Graf Danilo hält sich zurück. Der Grund: Er durfte Hanna einst nicht heiraten, weil sie arm war. Er verbirgt seine nie erloschenen Gefühle für Hanna, um nicht als Mitgiftjäger dazustehen. Danilos Chef allerdings, der Gesandte Pontevedros, Baron Mirko Zeta, drängt Danilo zur Heirat mit Hanna, da sonst deren Vermögen ins Ausland gehe. Unterdessen hat Valencienne, die junge Ehefrau Baron Zetas, ihren Fächer verloren, auf den ihr Verehrer Camille de Rosillon die Worte “Ich liebe dich” geschrieben hatte. Natürlich findet Zeta den Fächer, weiss aber nicht, wem er gehört.

Gartenfest bei Hanna: Ihre Liebe zu Danilo ist wieder entfacht. Doch er weicht aus, erwähnt nur, dass die Dinge anders lägen, wenn sie arm wäre … . Im Auftrag Baron Mirkas sucht er nach der Besitzerin des Fächers, gibt jedoch schnell auf, denn “das Studium der Weiber” ist ihm zu schwer. Valencienne gelangt aber auf Umwegen wieder in den Besitz des Fächers und erklärt ihrem Verehrer Rosillon, dass sie eine "anständige"Frau" sei. Er solle doch besser um Hanna werben. Baron Zeta hat seine Frau mit Rosillon entdeckt und will sie in flagranti ertappen. doch Hanna und Valencienne haben unbemerkt schnell ihre Plätze getauscht und Hanna kommt mit Rosillon aus dem Pavillon und erklärt, sie habe sich mit Rosillon verlobt. Danilo ist verzweifelt und geht ins MAXIM, zurück zu seinen schönen Frauen.

Hanna hat einen Salon ihres Hauses dem Kabarett MAXIM nachgebaut. Danilo erscheint und bittet Hanna im Auftrag Baron Mirkas nicht de Rosillon zu heiraten, da sonst dem bankrotten Pontevedro ihr Vermögen verloren gehe. Hanna sagt zu und erklärt auch, wie die Situation im Pavillon zustande gekommen ist. Danilo spricht noch immer nicht von Liebe, singt aber immerhin “Lippen schweigen s' flüstern Geigen, hab mich lieb”. Baron Zeta hat unterdessen gemerkt, dass er beim Pavillon getäuscht wurde und will sich scheiden lassen. Er will nun Hanna selbst heiraten. Allerdings stellt sich nun heraus, dass Hannas verstorbener Mann im Testament verfügt hatte, dass Hanna ihr gesamtes Vermögen verlöre, sollte sie sich erneut verheiraten. Danilo ist überglücklich, er darf nun um eine “arme” Hanna werben. Nachträglich stellt sich jedoch auch noch heraus, dass Hanna ihr Vermögen nur verlöre, weil es auf ihren neuen Ehemann übertragen werde. (!) Am Ende versöhnen sich auch Valencienne und Baron Zeta wieder, da Valencienne unter das “Ich liebe dich” auf ihrem Fächer als Antwort geschrieben hatte: “Ich bin eine anständige Frau”.

Werk:

Franz Lehár (1870-1948) wurde durch seine rund zwei Dutzend Operetten zum König der silbernen Ära der Operette. Werke wie DIE LUSTIGE WITWE, DER GRAF VON LUXEMBURG, DER ZAREWITSCH oder GIUDITTA begründeten seinen Status als einer der erfolgreichsten Operettenkomponisten seiner Zeit. In Lehárs Adern floss österreichisches, ungarisches und französisches Blut. Deshalb zeichnet sich wohl seine Musik sowohl durch französische Eleganz, als auch durch slawischen und ungarischen volksliedhaften Ton, mitreissende Rhythmen und österreichische Walzerseligkeit aus. Lehár und Puccini kannten sich gut und bewunderten sich gegenseitig.

Etwas zwiespältig ist Lehárs Rolle im Dritten Reich: Seine Textschreiber waren ausnahmslos Juden, seine Frau war jüdischer Herkunft. Da er für sich und seine Frau keinen Ariernachweis erbrachte, durfte er nur dank einer Sondergenehmigung seinen Beruf im Dritten Reich weiter ausüben. Auch Hitler mochte Lehárs Kompositionen sehr, so dass Goebbels' Propagandaministerium die Aufführung der Operetten Lehárs wieder erlaubte. Auch die ungarische Staatsbürgerschaft Lehárs war hilfreich, da eine Aktion gegen den populären Komponisten beim mit dem NS Staat verbündeten Ungarn schlecht angekommen wäre. 1943 durfte Lehár nach einem Zusammenbruch zur medizinischen Behandlung in die Schweiz ausreisen. 1948 kehrte Lehár nach Bad Ischl zurück, wo er bald darauf starb.

Von mir besuchte Aufführung von DIE LUSTIGE WITWE am Opernhaus Zürich:

26.11.1980

Musikalische Leitung: Charly Schneider, Inszenierung: Karl Vibach

Hanna Glawari: Tamara Lund. Valencienne: Jeannette Perry, Danilo: Marco Bakker, Camille: Jörg Schneider 

Karten

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