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STUTTGART/Staatsoper: NIXON IN CHINA. Im Sog des musikalischen Minimalismus zwischen Politik und Menschsein

10.02.2024 | Oper international

Staatsoper Stuttgart: „NIXON IN CHINA“ 9.2. (WA 7.1.) – Im Sog des musikalischen Minimalismus zwischen Politik und Menschsein

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Michael Mayes (Nixon). Foto: Matthias Baus

Einer der bedeutendsten Staatsakte der Geschichte bildete den Ausgangspunkt für die 1987 in Houston uraufgeführte Oper von John Adams mit einem Libretto von Alice Goodman. Victor Schoner hat das recht komplexe Werk in seiner ersten Stuttgarter Saison vor ca. fünf Jahren zur dortigen Erstaufführung gebracht. Jetzt erlebte es unter der Leitung von Maurice Lenhard eine Neueinstudierung mit teilweise neuer Besetzung. Die Inszenierung von Marco Storman im Bühnenraum von Frauke Löffel und in Kostümen von Sara Schwartz trennt den letzten der drei Akte so radikal von den vorhergehenden ab, dass ein aufwendiger Umbau inklusive Räumung und Abdeckung des Orchestergrabens erforderlich ist, wodurch eine zweite recht lange Pause unumgänglich ist und die Aufführung nicht zum Vorteil in die Länge gezogen wird, zumal sich die reine Spieldauer mit ca. zweieinhalb Stunden im durchschnittlichen Bereich einer Oper bewegt. 

Richard Nixons Staatsbesuch als erster amerikanischer Präsident in China im Februar 1972 mit dem Handschlag Mao-Tse-tungs war eine große Polit-Inszenierung mit Staatsbankett, Besuch einer kulturrevolutionären Modell-Oper, musicalhaftem Sightseeing-Programm, aber auch philosophischem Austausch zwischen den beiden Machthabern. Adams und Goodman überlagern in ihrem Bühnenwerk Realität und Erinnerung, den Rausch des Hochgefühls einer politischen Großtat und die Ernüchterung des Privaten. Diese Szenen sind vom Regieteam mit recht sparsamen, aber die Schauplätze doch verständlich definierenden Mitteln ins Licht gerückt, wozu z.B. Prospekte im Hintergrund, Beleuchtungs-Effekte, und einige Requisiten wie rote (Partei-)bücher und geschwenkte Fahnen beitragen. Im letzten gut halbstündigen Teil treten die Hauptpersonen aus ihrer öffentlichen Funktion als private Menschen heraus, was sich musikalisch in einer deutlichen Reduzierung des Orchesterapparates vom Breitwandsound zu teils melodischer spätromantischer Intimität niederschlägt. Hier ist der szenische Schnitt etwas drastisch geraten, wenn die Beteiligten auf dem verschlossenen Graben (das Orchester kommt hier wie als träumerisch innerer Klang vom Band)  zusammen mit dem Dirigenten und der Souffleuse auf Bänken ganz nah ans Publikum herangeholt sind und ihre sich teils gleichzeitig geäußerten Kommentare und Gefühle vermischen. Das Nachsinnen über die Bilanz ihrer Taten hinterlässt in dieser an eine Probe gemahnenden szenischen Lösung eine fast zu ernüchternde Stimmung, trifft aber vielleicht andererseits das, was sich die Autoren als Dekonstruktion vorgestellt hatten.

Musikalisch war unter der Leitung von André de Ridder wieder alles in besten, den großen Apparat mit dem teilweise aus dem seitlichen Zuschauerraum postierten Staatsopernchor Stuttgart sicher zusammenhaltenden Händen. Das durch zwei Klaviere und ein Keyboard erweiterte Staatsorchester Stuttgart hielt in den beiden ersten Akten die Musik mit ihren immer wieder neu variierten Motiv-Schleifen und einem Lautstärke-Sog, der die Solisten ganz schön forderte, in permanenter Spannung. Der von Bernhard Moncado genauestens einstudierte Chor erzielte einen Raumklang, der das Publikum mitten im Geschehen wähnte.

An der Spitze der Sänger stand erneut Michael Mayes, ein Bariton mit warm dunkler Tonfülle und dynamischer Beweglichkeit sowie glaubwürdig selbstbewusstem Auftreten und einer Präsenz, die sich auch im zweifelnden Privatmann Nixon bemerkbar macht. Diesselben Attribute betreffen Katherine Manley, die als seine Frau Pat mit charismatischer Persönlichkeit und lichtvoll lyrischem Sopran, der sich in den Höhen klar entfaltet, wieder dabei ist. Auf ihrer China-Visite werden sie von Sicherheitsberater Henry Kissinger begleitet, dem der Bariton Shigeo Ishino mit passend festem Tonfall Kontur gibt, auch wenn die Partie musikalisch hinter die anderen zurück tritt.

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Ensemble. Foto: Mathhias Baus

Die chinesische, ganz in weiß gehüllte Seite repräsentiert wieder Matthias Klink als Mao, eine seiner vielen schon gezeigten Charakterstudien, die in ihrer bis ins Detail gehenden körperlichen und vokalen Intensität mit seinem wandelbaren, bis ins Grelle ausartenden Tenor viel Bewunderung abringt. Neu ist seine Frau Chiang Ch’ing in Gestalt der Polin Alina Adamski, die ihren höhen sicheren Koloratursopran mit vorgeschrieben oftmals in die Spitzen gerissenen Tonkaskaden nicht allzu oft damit strapazieren sollte.

Der Katalane Lluis Calvet i Pey mit angenehm weichem, sich in der Entfaltung zunehmend steigerndem Bariton kann als Gesamtpaket seinen Vorgänger als Premierminister Chou En-lai nicht vergessen machen, fügte sich aber gut ins Ensemble.

Maos drei Sekretärinnen, zunächst mit lampenschirmartigen roten Hutkreationen auffallend, sind mit Ida Ränzlöv, Deborah Saffery und Leia Lensing übereinstimmend gleichwertig besetzt.

Die sich zwischen Gebanntheit und zuletzt vorherrschender Irritation bewegende Wiedergabe stieß bei viel jüngerem Publikum auf überschwängliche Begeisterung mit abgestuften Solo-Ovationen.

Udo Klebes

 

 

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