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Don Giovanni. Oper von Wolfgang Amadeus Mozart. Premiere am 4. Februar 2024 am Mainfranken-Theater Würzburg. Foto: Nik Schölzel.

Don Giovanni. Oper von Wolfgang Amadeus Mozart. Premiere am 4. Februar 2024 am Mainfranken-Theater Würzburg. Foto: Nik Schölzel.

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Kalauer, Karikatur, Karneval: „Don Giovanni“ in Würzburg

Vorspann / Teaser

„Don Giovanni“ gehört zu den am häufigsten inszenierten Opern der Spielzeiten 2022/23 und 2023/24. Auf Vera Nemirovas genaue Deutung an der Oper Nürnberg folgte nur zwei Wochen später das Mainfranken Theater Würzburg in der Ersatzspielstätte Theaterfabrik Blaue Halle. Intendant Markus Trabusch und Dirigent Gábor Hontvári taten sich mit Mozarts abgründiger Oper schwer. Den Premierenabend lohnend machte die starke Besetzung der Frauenpartien mit Milena Arsovska als Zerlina, Silke Evers als Donna Anna und Vero Miller als Donna Elvira. 

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Der Verführer Giovanni fordert die göttliche Ordnung heraus, wenn er sich an Frauen vergeht, den von ihn getöteten Komtur zum nächtlichen Schmaus bittet, von diesem in die Hölle geholt wird und die von ihm Geschädigten, aber auch Beglückten in ihrer seelischer Leere allein lässt. „Don Giovanni“ ist immer ein untrügliches Qualitätssiegel für den künstlerisch-mentalen Zustand eines Musiktheater-Ensembles. Bis zur vollendeten Generalsanierung des Gebäudes im Zentrum spielt das Mainfrankentheater Würzburg noch in der Theaterfabrik Blaue Halle. Trotz einer in den drei Frauenpartien phänomenalen Besetzung kam man dort mit „Don Giovanni“ aus mehreren Gründen nicht besonders gut zurecht. Die vielen Details aus Lorenzo da Pontes Libretto für die 1787 in Prag uraufgeführte Oper werden ohne Nutzanwendung für eine tiefere Bedeutung des Premierenabends nur allzu brav aufgesagt. Vom Ansatz hätten es faszinierende Stunden werden können, aber genau Gegenteiliges trat ein. Leidtragend war das szenisch und musikalisch kläglich im Stich gelassene Ensemble. 

Nach dem Verschwinden Don Giovannis stehen die ratlos Zurückbleibenden in Reihe: Donna Elvira als reuige Nonne, Zerlina im blütenreinen Petticoat neben ihrem schmerzhaft durchschnittlichen Masetto (grobkörnig: Taiyu Uchiyama), der einsame gute Junge Leporello und Donna Anna mit Babybauch unter chicer Umstandsmode neben ihrem sympathischen wie hanebüchenen Bräutigam Don Ottavio. Komödie heruntergebrochen zum Kalauer. 

Marcel Kellers graue Elemente, Stufen und Nischen sollten einen allgemein gültigen Spielraum abgeben, dessen Tristesse vor allem durch die Lückenhaftigkeit der „Don Giovanni“-Lesart des inszenierenden Intendanten Markus Trabusch auffiel. Zur Ouvertüre fahndet man mittels eines Phantombilds nach dem „echten“ Don Giovanni. Dieser tritt als Sportrennfahrer, Modezar in weiß und Illustriertenstar auf. Perfekte Oberfläche also. Der Bariton Leo Hyunho Kim singt strahlend, aber ohne Figurenkern. Auch wer die Figuren um ihn sind und was sie wollen, erfährt man nur in Ansätzen. Dabei geht es prickelnd los. In einer heißen Partynacht lockt Donna Anna Giovanni in ihr Schlafzimmer, was einer eindeutigen Aufforderung gleichkommt. Nach dem Totschlag Giovannis an ihrem Vater hat Anna also wirklich Dreck am Stecken und etwas Wichtiges zu verbergen. Gustavo Müller als Komtur ist an diesem Abend die einzige Männerstimme mit Persönlichkeit. In den beiden explosiven Szenen mit Don Ottavio und der seraphischen B-Dur-Arie zeigt Anna dann allerdings weder versteckte Scham noch schlechtes Gewissen, wohl aber primadonnenhafte Leidensroutine in rauen Mengen. So geht es weiter. Keinen seiner durchaus kreativen Einfälle modelliert, schärft oder legitimiert Trabusch. Nichts wird ausgestaltet, begründet oder wenigstens plausibel gemacht. Der Versuch meiner Begleitung, dem Geschehen unter dem Aspekt #tradwife mehr Sinn abzugewinnen, erweist sich als wenig zielführend. Der Chor als Faschingsgesellschaft (einstudiert von Sören Eckhoff) war eine kreative Eigenleistung der Regie. 

Milena Arsovska als Zerlina, Vero Miller als Donna Elvira und Silke Evers als Donna Anna bilden das Herz der Aufführung. Jede für sich klingt etwas anders, im Zusammenklang der Stimmen haben sie sinnliche Farbspiele und dabei die für Mozart wichtige Klarheit und Geradlinigkeit. Groß, schlank und charismatisch bestätigt dieses fulminante Sopran-Trio, dass Mozarts „bestrafter Wüstling“ ein klar erkennbares Beuteschema hat. Evers und Miller agieren zwangsläufig facettenarm, weil die Regie ihnen nichts abfordert. Das Duett mit Leporello, den sie fesselt und knebelt, gerät für Milena Arsovska zum Höhepunkt ihrer Partie, den allenfalls die Belanglosigkeit Leporellos etwas beeinträchtigt. Tair Tazhis Leporello in Jeanslatzhose mit schwarzer Fliege und Roberto Ortiz‘ leicht kehliger Don Ottavio bleiben weitgehend blass. 

Vom Philharmonischen Orchester Würzburg kam diesmal keine Hilfe. Gábor Hontvári dirigiert Mozarts Partitur, als gäbe es keine historisch informierte Aufführungspraxis. Es gibt im Vergleich zu anderen „Giovanni“-Vorstellungen nur selten Szenenapplaus in dieser Premiere. Selbst bei voller Entfaltung klingt der Beifall etwas gebremst. Insgesamt bleibt der Abend der Genialität von Mozarts Oper zu vieles schuldig. Aus der Folge von Bagatellereignissen springt kein einziger Erregungsfunke von angemessener Kraft.

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