BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik – Tschaikowskys "Pique Dame" an der Bayerischen Staatsoper Russland sendet Schwarzbild

An der Bayerischen Staatsoper wird Tschaikowskys romantische Gespenster-Oper nach Puschkin zu einer Innenaufnahme des Wahnsinns, bei der Russland vollkommen ausgeblendet wird. Das überzeugte nur Teile des Publikums, obgleich Dirigent Aziz Shokhakimov eine seelenvolle Deutung gelang.

Szene aus "Pique Dame", Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper (Februar 2024) | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Kritik

"Pique Dame" an der Bayerischen Staatsoper

Jeder Kopf hat nur Platz für eine fixe Idee, wissen wir aus Alexander Puschkins kurzer Erzählung "Pique Dame". Zwei oder drei Portionen Wahnsinn passen demnach einfach nicht rein in den Schädel, und so landet Hermann, der junge Pionieroffizier, prompt im Irrenhaus. Er hat nämlich eigentlich mehrere psychische Probleme, denen er in dieser Kombination nicht gewachsen ist: Er ist ein "berechnender Deutscher", wie es bei Puschkin wörtlich heißt, und in St. Petersburg entsprechend verklemmt im gesellschaftlichen Umgang. Er hat sich hoffnungslos verliebt und er bildet sich zunehmend ein, am Spieltisch reich zu werden, eine Hoffnung, die natürlich trügt, wie in der romantischen Spuk-Literatur üblich.

Wahnsinn in Großaufnahme

Szene aus "Pique Dame", Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper (Februar 2024) | Bildquelle: Wilfried Hösl Bildquelle: Wilfried Hösl Insofern geht es also vollkommen in Ordnung, wenn der australische Regisseur Benedict Andrews seine Inszenierung von Tschaikowskys "Pique Dame" als Innenansicht eines Besessenen zeigt. Der Wahnsinn in Großaufnahme sozusagen. Dem Publikum in der Bayerischen Staatsoper wird buchstäblich schwarz vor Augen. Der in Köln geborene Ausstatter Rufus Didwiszus und Lichtdesigner Jon Clark lassen den Ort der Handlung, St. Petersburg, buchstäblich in der ewigen Nacht verschwinden. Was bleibt, ist der weitgehend leere Raum, den Hermann mit seiner Zwangsvorstellung füllt: eine Geisterbahn, die immer schneller im Kreis fährt, was auch das Schicksalsmotiv von Tschaikowsky illustriert. Dieser Hermann führt eine irrwitzige Dreiecksbeziehung mit seinem Revolver, seiner Angebeteten Lisa und den erwähnten drei Karten, die ihm bei Tschaikowsky - anders als bei Puschkin - den Tod bringen.

Streckenweise langatmig

Das hätte als Psychostudie durchaus plausibel, vielleicht sogar fesselnd sein können, doch leider erwies sich der Abend dann doch eher als langatmig und wenig überzeugend, wofür auch der für Münchner Verhältnisse bemerkenswert kurze und allenfalls pflichtschuldige Beifall sprach, ein paar Protestrufe für die Regie eingeschlossen. Andrews lässt seinen Hermann nämlich als sprichwörtlichen "Rebel Without A Cause", als Rebell ohne Motiv, herumstehen. Dass er deutscher Außenseiter in Russland ist, wird nicht thematisiert. Ebensowenig der Militarismus und die Repression, die für die Russen unter Zarin Katharina ähnlich bedrohlich gewesen sein dürften wie unter Putin.

"Pique Dame": Radioübertragung zum Nachhören

BR-KLASSIK hat die Staatsopern-Premiere "Pique Dame" am 4. Februar live im Radio übertragen. Sendung verpasst? Hier können Sie den Mitschnitt 30 Tage lang nachhören.

Schauspielerisch und gesanglich noch Luft nach oben

Szene aus "Pique Dame", Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper (Februar 2024) | Bildquelle: Wilfried Hösl Bildquelle: Wilfried Hösl Hermann fuchtelt quasi von Anfang bis Ende mit seinem Revolver herum, ohne, dass jemals erklärt würde, warum. Hinzu kam US-Tenor Brandon Jovanovich in der Hauptrolle, der stimmlich leider keinen guten Premierentag hatte und darstellerisch nicht so recht zu wissen schien, welche Art Wahnsinn er nun verkörpern sollte. Er grimassierte tapfer, aber im doppelten Sinne ins Leere. Asmik Grigorian als Lisa wirkte letztlich mindestens so verrückt wie er, obwohl sie doch eigentlich eine für die romantische Literatur typische, heldenhafte weibliche Opferrolle hat. Ihre gesellschaftliche Stellung blieb schleierhaft, obwohl sie einen Fürsten heiraten soll. Fast schien sie auch nur eine schemenhafte Einbildung von Hermann zu sein, stimmlich in allen Höhen präsent, aber mit vergleichsweise wenig emotionalen Konturen.

Wenn all das Drumherum weggelassen wird und Russland quasi nur noch Schwarzbild sendet, fallen solche Details besonders auf. Im Übrigen lässt Benedict Andrews seine Personen oft statisch an der Rampe stehen – weil er signalisieren will, dass alles nur in der überstrapazierten Einbildung von Hermann passiert und nichts mit dem realen Leben zu tun hat, also auch nicht irgendwie nachvollziehbar sein darf. Was bleibt, sind viele glatzköpfige Gestalten, darunter die titelgebende Pique Dame, die sich allesamt unsortiert in einem kranken Gehirn tummeln.

Aziz Shokhakimov überzeugt am Pult

Szene aus "Pique Dame", Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper (Februar 2024) | Bildquelle: Wilfried Hösl Bildquelle: Wilfried Hösl Musikalisch freilich gelang dem usbekischen Dirigenten Aziz Shokhakimov mit dem Bayerischen Staatsorchester eine seelenvolle Tschaikowsky-Deutung. Gerade das gemäßigte Tempo ermöglichte eine sehr genaue Auslotung der psychologisch anspruchsvollen Partitur: Bei Tschaikowsky heißt es, zwischen den Noten zu hören. Die Pausen sind wichtig, die Lautstärkewechsel ebenfalls. Dann wird die vermeintliche Folklore schnell zum ergreifenden Horrortrip in die russischen Abgründe. Besonders bejubelt wurden zurecht der Russe Boris Pinkhasovich als souveräner Fürst Jelezki, aber auch die aus Wolgograd stammende Mezzosopranistin Victoria Karkacheva als Polina. Violeta Urmana als Pique Dame war vor allem schauspielerisch ungemein präsent – eine XXL-Diva, die niemandem mehr etwas beweisen muss. Insgesamt eine umstrittene Premiere, die Puschkin sehr ernst nahm, aber damit teilweise überfordert schien.

Sendung: "Allegro" am 5. Februar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Mittwoch, 07.Februar, 17:18 Uhr

Alexnder Störzel

"Russland sendet Schwarzbild"

@Barboncino
Auch ich war als Jugendlicher am 24.11.1984 in der Premiere, von der es jetzt auch eine hochgelobte CD-Aufnahme gibt.
Damals habe ich das Werk fast nicht verstanden, doch faszinierte ich damlas bereits die gesangeliche Leistung. Mit "nicht verstanden" meine ich hauptsächlich die Musik.
Ich fand es z.B. langweilig, dass das Liebesmotiv nicht gesteigert wird, dabei soll aber signalisiert werden, dass diese Liebe keine Chance hat.
Ich habe die jetzige Aufführung noch nicht gesehen, doch denke ich mir, dass hauptsächlich spannender Krimi gezeigt wird. Nach Verklingen des letzten, schönen Akkordes setzte in der Premiere sofort der Applaus ein - kein gutes Zeichen. Damals war ein kurzer Moment der Ergriffenehit, umso stärker dann die Ovationen, doch auch damsl schon Buhrufe für die Inszenierung, die mir damls sehr gut gefallen hat.

Dienstag, 06.Februar, 00:01 Uhr

Jan

Falsch

Der Autor des Artikels schreibt: "die Premiere nahm Puschkin sehr ernst". Offensichtlich hat er Puschkins Pique Dame nie gelesen, denn das Libretto der Oper weicht sehr stark von Puschkins äußerst ironische Erzählung ab, von der in der Oper nicht viel üblich bleibt. Auch die politische Interpretation des Werks ist vollkommen fehl am Platz, denn weder Puschkin noch Tschaikowsky hatten in Pique Dame politische Botschaften versteckt. Hier geht es um etwas ganz anderes! Leider scheinen Regisseure und Kritiker, recht wenig von Oper und Literatur zu verstehen.

Montag, 05.Februar, 21:10 Uhr

Valentine Schneider

Premiere Pique-Dame in der Staatsoper

Mal wieder könnte man meinen, dass auf der Bühne ausschließlich Solisten waren in der Premiere von Pique-Dame am 4.2. in der Bayerischen Staatsoper. Wo sind der Staatsopernchor und der Kinderchor, und wo das Orchester in Ihrer Rezension? Ohne diese Kollektive könnte dieser Abend auch nicht stattfinden, warum verschwinden sie dann so leicht. Oper ist bekanntlich ein Gesamt Kunstwerk, dann besprechen Sie in Ihrer Kritik bitte auch alle Aspekte einer Aufführung, das wäre das Mindeste an Respekt für Alle (!) Darsteller auf der Bühne.

Montag, 05.Februar, 13:20 Uhr

Trappe

Schlimm!

Traurig, wenn heute Opern mit der Prämisse angegangen werden, eine politische Botschaft in die Welt hinaussenden zu wollen. Die armseelig experimentellen Versuche der Selbstinsenzenierung der Regisseure beginnen stets, ich muss das unbedingt anders machen - falsch! Es geht um die Aufführung der Oper, wie sie gedacht war. Dabei eröffnen sich interpretatorisch immer noch eine Vielzahl von Möglichkeiten. So ist dies eher eine Zweckentfremdung und sollte beinahe verboten werden, unter besagtem Originaltitel aufgeführt zu werden. Und den Wahnsinn über den ganzen Abend aufzeigen zu wollen, ermüdet.
Der Regisseur befindet sich von der Qualität eines großen Regisseurs so weit weg, wie es der Distanz von hier nach Australien entspricht.

Montag, 05.Februar, 12:00 Uhr

Sergei Fährlich

Pique Dame

„Dass er deutscher Außenseiter in Russland ist, wird nicht thematisiert. Ebensowenig der Militarismus und die Repression, die für die Russen unter Zarin Katharina ähnlich bedrohlich gewesen sein dürften wie unter Putin.“
Was soll dieser Satz in einer Premierenkritik einer Oper? Muss mittlerweile selbst ein Kulturredakteur die Kampagne gegen den bösen Feind Putin reiten? Zumal der scheinbare historische Vergleich komplett hinkt. Katharina stammt aus einem sächsischen Adelsgeschlecht und lotste als Zarin viele deutsche Auswanderer zur Kultivierung ganzer Landstriche zum Beispiel an der Wolga ins Zarenreich. Die Siedler kamen wegen vieler Privilegien u.a. der Religionsfreiheit, die in ihrer ehemaligen Heimat damals stark eingeschränkt waren.
Bitte auf die Oper und die Inszenierung konzentrieren und solch unterschwellige politische Statements einfach sein lassen. Sie sind unpassend und wie im aktuellen Fall oftmals schlichtweg falsch. Danke.

Montag, 05.Februar, 09:52 Uhr

Barboncino

Pique Dame

Pique Dame in den Achziger Jahren mit Atlantow und Varady an der Bayerischen Staatsoper: Ein musikalisches und szenisches Gustostückerl, das einem heute noch " auf der Zunge zergeht". Ja das war eben die goldene Zeit der Münchener Oper, die wohl nie mehr zurückkehrt. Tempora mutantur.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player