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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Die Banditen

Banditen sind das kleinere Übel

(Frankfurt am Main, 28.1.2024) Ein pures Vergnügen: In Jacques Offenbachs Opéra-bouffe stimmt das szenische Timing von Regisseurin Katharina Thoma, die Musik unter Karsten Januschke zündet, und das Protagonisten-Ensemble verschreibt sich dem Esprit voll und ganz.

vonRoberto Becker,

Offenbachs „Die Banditen“ aus dem Jahre 1869 treiben ihr Unwesen nicht allzu oft auf den Bühnen. Und doch kommt einem die Musik vertraut vor. Sie hat durchweg einen einnehmenden Sound. Nimmt sich in allen Nummern Zeit, ihre einschmeichelnde, mitunter elektrisierende Wirkung zu entfalten. Alles, was man so kennt und an der spritzig zündenden Musik dieses Großmeisters der Operette liebt, klingt an, kommt vor, feiert Urstände. Und Karsten Januschke hat offenkundig Freude daran, das relativ klein besetzte Frankfurter Opern- und Museumsorchester auf Touren zu bringen, um den Funken überspringen zu lassen und seinem Publikum einen veritablen musikalischen Operetten-Schwips zu verpassen. Diesem am Ende bejubelten Unterfangen stellen sich Katharina Thoma (Regie), Etienne Pluss (Bühne), Irina Bartels (Kostüme) und vor allem auch Katharina Wiedenhofer (Choreografie) nicht nur nicht in den Weg, sondern voll an die Seite. Raus kommt eine Produktion, die in sich stimmig ist, weil das szenische Timing stimmt, die Musik zündet und ihr Rhythmus auch den Ensembles in die Bewegungen choreografiert ist und sich das Protagonisten-Ensemble dem Esprit dieser Opéra-bouffe verschrieben hat.

Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt

Das Operetteneuropa einst und heute

Das gilt zuerst für die Räuberbande, die von Gerhard Schneider als Hauptmann Falsacappa mit Tenorschmelz und darstellerischem Charisma wie ein Familienunternehmen geführt wird. Und bei der Elizabeth Reiter als dessen Tochter Fiorella mit ihrem durchtriebenen Charme auch mal einen (im Falle des Prinzen von Mantua sogar den genau Richtigen) laufen lässt. Einen der Ausgeraubten gewinnt sie sogar als Mann für sich und als cleveren Personal-Zuwachs für die Räubertruppe. Kelsey Lauritano verkörpert diese Hosenrolle. Ihr Fragoletto ist augenzwinkernd zeitgemäß zum Bio-Bauern mutiert. Obwohl der eher ein feinfühliger Softie ist, geht ihm bei seiner Aufnahmeprobe in die Bande gleich ein dicker Fisch ins Netz. Er fängt nämlich einen Kabinettskurier ab, in dessen Aktenkoffer sich die Unterlagen über einen merkwürdigen Hochzeitsdeal zwischen den Höfen in Mantua und Granada finden. Bei Offenbach und den Star-Librettisten Henri Meihac und Ludovic Halévy haben das Mantua bzw. Granada jeweils umgebende Italien und Spanien nämlich eine gemeinsame Grenze. Das ist eine Anspielung auf das Fachwissen der damaligen Politiker und liegt mitten in einem Operetteneuropa, das mit seiner ganz eigenen Geografie immer gerade noch den Zensoren ausweichen konnte und fürs Publikum mit seinen Anspielungen auf die damals aktuellen Missstände dennoch erkennbar blieb.

Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt

Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?

In Zeiten ohne staatliche Zensur (zumindest was Anspielungen auf krumme Geschäfte in Chefetagen oder Behörden betrifft) stellt sich die subversive Wirkung auch ein, wenn man nicht allzu direkt wird. Da reichen Stichworte oder eine EU-Flagge. Und auch für die berühmte Frage, was ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank sei, hat auch das Publikum der bundesdeutschen Bankenmetropole schlechthin natürlich seine eigene Antwort parat. Bei der Erklärung, woher die Sympathie für die Räuber im Stück rührt, bedarf es also längst keiner Erklärung durch die Regie und einer überdeutlichen Aktualisierung der Geschichte mehr. Zumindest, wenn man, wie das Team in Frankfurt, die Vorlage nicht dekonstruiert (wie es beispielsweise Sebastian Baumgarten in Zürich und Valentin Schwarz in Dresden gemacht haben), sondern im wesentlichen die Funken aus dem schlagen will, was Libretto und Partitur als Geschichte vorgeben.

Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt

Das „Wirtshaus im Spessart“ scheint nicht weit entfernt

Da genügt es durchaus, den Schlagbaum zwischen Operettenspanien und Operettenitalien im Tal unter einer Autobahnbrücke mit lauter beweglichen Pappbäumen und -Büschen und mit Blick aufs Hochgebirge zu postieren, um einen atmosphärischen Rahmen für den Einblick in Falsacappas Sorgen als Vater und Unternehmenschef zu schaffen. Wenn es dann nach einer knappen Stunde und einer Pause ins Gasthaus an der besagten Operettengrenze geht und dort erst die Wirtsleute Pippo, Pippa und Pipetto, dann die eintreffenden Italiener und schließlich die Spanier von den Räubern gefangen und in den Weinkeller verfrachtet werden, damit sie jeweils deren Rollen einnehmen können, ist man nicht allzu weit vom „Wirtshaus im Spessart“ entfernt. Bei den Italienern sind Theo Lebow als Baron von Campotasso und Dietrich Volle als Carabinieri-Kapitän vor allem darauf bedacht, ihre eigene Wichtigkeit herauszustreichen. Bei den Spaniern landen Abraham Breton als Graf von Gloria-Cassis, Juanita Lascarro als Prinzessin von Granada und Tianji Lin als deren Lieblingspage Adolfo von Valladolid mit ihrem Auftritt als Klischee-Spanier einen regelrechten komödiantischen Coup.

Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus Offenbachs „Die Banditen“ an der Oper Frankfurt

In Operetten-Herzogtümern gilt Gnade vor Recht

Nach der Verwandlung in den (schäbigen) Palast von Mantua auf offener Szene hat dort der Prinz (genau den, den Fiorella hatte laufen lassen) einen großen Auftritt beim Abschied von seinen vielen Geliebten. Für das Schlusschaos wichtiger freilich ist der von Peter Bronder als Schatzmeister. Die drei Millionen, die die Räuber nämlich als falsche Spanier von den Italienern als Mitgift für die Prinzessin einsacken wollten, hatte der schon auf eigene Rechnung durchgebracht. Als dann auch noch auffliegt, dass die vermeintliche von den falschen Spaniern präsentierte Prinzessin genauso falsch war (der Prinz kannte sie ja schon aus dem ersten Akt), baumelt den Räubern schnell der Strick vor der Nase. Aber da in Operetten-Herzogtümern nicht so schnell gehenkt wie betrogen wird, löst sich am Ende durch einen revanchierenden Gnadenakt des Prinzen alles in Wohlgefallen auf. Jetzt wechseln die Räuber die Seiten. Oder nur in eine benachbarte Branche? Jedenfalls wissen wir am Ende, warum die uns von Anfang an sympathischer waren, als die diversen Hofschranzen und Schatzmeister.

Oper Frankfurt
Offenbach: Die Banditen 

Karsten Januschke (Leitung), Etienne Pluss (Bühne), Irina Bartels (Kostüme), Katharina Wiedenhofer (Choreografie), Olaf Winter (Licht), Tilman Michael (Chor), Konrad Kuhn (Dramaturgie),Gerard Schneider, Yves Saelens, Jonathan Abernethy, Michael McCown, Jarrett Porter, Elizabeth Reiter, Kelsey Lauritano, Kudaibergen Abildin, Cláudia Ribas, Ekin Su Paker, Peter Marsh, Theo Lebow, Dietrich Volle, Peter Bronder, Abraham Bretón, Juanita Lascarro, Tianji Lin, Pilgoo Kang, Euikyung Kim, Konstanze Schlaud, Julia Mattheis, Hyemi Rusch-Jung, Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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