Oper nach Thomas Mann

Verpasste Chance: Brittens „Death in Venice“ im Theater Heidelberg

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AUTOR/IN
Bernd Künzig
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad

Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ nach Thomas Mann ist eine der wenigen Umsetzungen einer literarischen Vorlage des Autors für die Opernbühne. Beide Autoren reflektieren in diesem Stoff die eigene Homosexualität. Als brillante Kammeroper unter Einbezug von Tanz ist Brittens Künstleroper ein Gesamtkunstwerk, dem sich nun das Theater Heidelberg in einer Neuproduktion gestellt hat.

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Kein Stück über das alternd Vergreiste

Ja, Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ nach Thomas Manns Erzählung ist ein Werk über das Sterben, eine Befragung auf Würde oder Unwürde des Abgangs. Und nein, ein Werk über das alternd Vergreiste ist es nicht. In diese Falle geht Magdalena Fuchsberger mit ihrer Inszenierung am Theater Heidelberg.

Der Dichter Aschenbach ist der Insasse einer spießigen Altersklause mit braun-plüschiger Wohnzimmerecke, einer Mahagoni-Schrankwand samt eingelassenem Fernseher und Kochecke.

Oper "Death in Venice" am Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Alternder Künstler vor spießiger Schrankwand: Kammersänger. Winfrid Mikus singt die Hauptrolle des Dichters Gustav von Aschenbach.

Diese Bühneneinrichtung von Monika Biegler steht auf Holzpfählen. „Casa Rialto“ könnte diese Seniorenresidenz des verarmten Dichters heißen. Venedig, zu dem ihn ein unheimlicher Reisender verführt, existiert ohnehin nur in seiner dementen Fantasie.

So bevölkert sich die Wohnung mit lemurenhaften Gestalten als Hotelgäste, Angestellte, Godoliere und Bewohner der imaginierten Lagunenstadt. Ein grünes, blaues und violettes Makeup trägt ihnen einen Verwesungsteint auf. Hier ist schon alles tot, da braucht es die ausbrechende Cholera erst gar nicht, die Aschenbach dahinraffen wird.

Eine Wohnung voller Gipsnackedeis

Seine Begegnung mit Tadzio, die Verkörperung der klassisch erotischen Knabenschönheit, ist wohl eine Art Familienbesuch. Offensichtlich kann der Alte sich aber nicht mehr an seine Verwandtschaft erinnern.

Oper "Death in Venice" am Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
In den Bildnissen nackter Jünglinge der griechischen Antike findet Aschenbach das Sehnsuchtsbild des jungen Tadzio.

Nun beginnen die eigentlichen Probleme: Denn Tadzio ist bei Britten ein Jugendlicher und kein Kind. Es ist recht unglaubwürdig, dass der Heimbewohner nun bei einem Zwölfjährigen ins Schwärmen für die antik-griechische Knabenliebe gerät, dass ihm die Gottheiten von Schönheit und Rausch, Apollo und Dionysos erscheinen.

Da stellt er sich lieber gleich die Wohnung mit klassizistischen Gipsnackedeis voll, anstatt den Knaben durch ganz Venedig zu verfolgen.

 

Oper "Death in Venice" am Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Aschenbach (Ks. Winfrid Mikus) beobachtet die Familie des jungen Tadzio, dessen Schönheit den alternden Dichter verzaubert.

Gesellschaftsspiele statt betörendem Tanz

Britten sieht für Tadzios Rolle einen Tänzer vor. Für ihn hat er eine vom balinesischen Gamelan inspirierte Tanzmusik mit viel Schlagzeug geschrieben.

Die erklingt zwar auch rhythmisch perfekt intoniert vom philharmonischen Orchester. Szenisch macht sie aber gar keinen Sinn mehr. Denn über ein Mensch-Ärger-Dich-nicht-Spiel kommt die Kinderperformance nicht hinaus.

Oper "Death in Venice" am Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
In blassem Grün, Rosa, Lila und Blau sollen die Statistinnen und Statisten an den Verfall erinnern, den Thomas Mann in seiner Novelle der Lagunenstadt Venedig zuschreibt.

Unfreiwillige Komik

Der wunderliche Alte wird von Winfrid Mikus wahrhaft verkörperlicht. Genau dafür ist ein zu hoher Preis zu zahlen. Die Stimme hat ihre besten Tage hinter sich. Heraus kommt ein dünnes Sprechen auf Tonhöhe, anstatt die für Britten charakteristisch klare, lyrische Tenorlage.

Dazu wird täppisch agiert. Man wähnt sich einer Britten-Mann-Parodie beizuwohnen, deren Humor eher unfreiwillig ist. Bei Tadzios Tanzmusik zu antik-olympischen Disziplinen, glotzt die Familie deren moderne Sportvariante im Fernsehen und ahmt sie beseelt lächelnd pantomimisch nach.

Oper "Death in Venice" am Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Ks. Winfrid Mikus (Aschenbach) und Franko Klisović (Stimme Apollos) bewegen sich in kleinbürgerlicher Enge. Das von Britten und Mann evozierte Sinnen nach Kunst und Begierde kann sich in diesem Milieu nur schwerlich entfalten.

Zwischendurch rührt Aschenbach eine Zwischenmahlzeit und löffelt sie auf dem Sofa direkt aus dem Topf. Das kleinbürgerlich realistische Herunterbrechen reibt sich nicht dialektisch mit der Musik, sondern kollidiert mit der zwischen Umbra und Azurblau daher schwebenden Komposition über Kunst und erotisch verbotenes Begehren.

Dirigent Dietger Holm koordiniert solide

James Homann in den Mehrfachrollen vom Reisenden, über den Hotelbesitzer bis zum Gott Dionysos ist ein stimmlicher Gewinn, wenngleich sein machtvoller Bass den dürren Aschenbach an die Wand singt. Die kleinen Ensemblerollen sind stimmig besetzt.

Oper "Death in Venice" am Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Für Opernkritiker Bernd Künzig geht das Konzept der Heidelberger Inszenierung von Regisseurin Magdalena Fuchsberger nicht auf.

Der Dirigent Dietger Holm koordiniert solide. Brittens subtil raffiniert durchdachte Literaturvertonung hätte mehr passioniertes Engagement verdient, szenisch wie musikalisch. Eine verpasste Chance in Heidelberg. Schade.

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