In Wien muss Hamlet trotzdem sterben

Wien muss Hamlet trotzdem
Wien muss Hamlet trotzdem(c) APA/Marco Borggreve (Marco Borggreve)
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Marc Minkowski dirigiert heute die Premiere von Ambroise Thomas' "Hamlet" im Theater an der Wien. Der "Presse" erklärte er, wieso Hamlet nicht am Leben bleiben darf. Und sprach über seine Wiener Pläne.

Ich mache alles gern!“ So schlicht antwortet Marc Minkowski auf die Frage, warum er sich so für das Musiktheater der französischen Romantik interessiere: „Im Juni dirigiere ich etwa auch meinen ersten ,Il trovatore‘ in Brüssel. Obwohl ich keinen Tropfen französisches Blut in mir habe – ich bin eine polnisch-amerikanisch-tschechische Mischung –, bin ich in Frankreich aufgewachsen und liebe die Literatur meines Landes. Aber man muss sich bewusst sein, dass dabei auch Verdi mitspielt. Sein Einfluss in Paris zu der Zeit war groß. Man kann das in der Partitur von ,Hamlet‘ hören. Ebenso den Einfluss von Franck, Berlioz, manchmal auch Marschner und Weber.“

Tatsächlich lässt sich Minkowski, der mit seinen Interpretationen Alter Musik, mit Monteverdi, Lully, Rameau, besonders Händel, aber auch Gluck bekannt geworden ist, schon lange nicht mehr nur auf dieses Spezialistenrepertoire festlegen. Mit Erfolg hat er Offenbach entstaubt, Mozart steht auch ganz oben auf seiner Liste, daneben hat er Rossini und Donizetti dirigiert, Debussys „Pelléas et Mélisande“, Beethovens „Fidelio“, sogar die französische Erstaufführung von Wagners „Die Feen“ – und viel französische Romantik: Bizets „Carmen“, Boïeldieus „La Dame blanche“, Massenets „Cendrillon“, Gounods „Romeo et Juliette“, Aubers „Le Domino“, Meyerbeers „Robert le diable“ und „Les Hugenottes“ in Brüssel. Letztere Produktion, die er mit dem Regisseur Olivier Py im letzten Juni zur Premiere gebracht hat, wurde von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur Aufführung des Jahres gewählt.

Eine Oper für tolle Stimmen

Gemeinsam mit Py hat Minkowksi nun für das Theater an der Wien ein nächstes Stück Grand Opéra erarbeitet: „Hamlet“ von Ambroise Thomas. Von Thomas ist sonst allenfalls „Mignon“ bekannt. Erst in den letzten Jahren hat „Hamlet“ eine kleine Renaissance erlebt, vor allem dank Interpreten wie Thomas Hampson, Simon Keenlyside und Natalie Dessay. „Es ist eine Oper, die für einen tollen Sopran und einen außergewöhnlichen Bariton geschrieben ist“, meint auch Minkowski. Das war womöglich auch der Grund dafür, dass es so lange mit der Uraufführung von „Hamlet“ gedauert hat. Thomas hatte schon 1863 seine Oper vollendet, als Vierakter und mit Hamlet als Tenorpartie. Erst 1868 kam das Werk dann tatsächlich auf die Bühne, nachdem entsprechende Sänger zur Verfügung standen. Dafür wurde das Werk zur „Grand Opéra“ umgebaut, mit einem fünften Akt und Ballett versehen. Für Jean-Baptiste Faure wurde Hamlet zur Baritonrolle, für die gefeierte Schwedin Christine Nilsson wurde die Ophélie adaptiert.

Minkowskis Hamlet ist der Franzose Stéphane Degout: „Die Rolle passt ihm perfekt. Das ist wie bei der Callas in ,La traviata‘, man weiß nicht mehr, wo ist der Sänger, wo ist die Figur, eines geht ins andere über. Gemeinsam mit Eugen Onegin ist es wohl die schönste Baritonrolle der Operngeschichte.“ Die Ophélie ist Christine Schäfer. „Die Partie hat ein bisschen etwas von der Lucia di Lammermoor, den Frauen aus ,Hoffmanns Erzählungen‘, ein bisschen etwas von Micaela, und es gibt eine Menge Belcanto“, erklärt Minkowski: „Ich bin glücklich, es mit Christine Schäfer machen zu können. Sie ist nicht so bekannt für Belcanto, aber sie ist fabelhaft darin.“

Die Erstbegegnung mit „Hamlet“ war durchaus eine Überraschung: „Wir haben zunächst gedacht, das Stück ist ja ganz interessant, aber orientiert sich vor allem an den Stimmen. Tatsächlich ist es sehr gut geschrieben. Vielleicht besitzt es nicht die gleiche Inspiration wie Gounod oder Massenet. Aber es ist dennoch ein Meisterwerk für sich.“

Das Ballett lassen Minkowski und Py weg. Bleibt die Frage nach dem Schluss. In der Oper darf Hamlet ja leben und wird als neuer König gefeiert. „Wir machen unsere eigene Version“, erklärt Minkowski. „Das Problem ist: Wenn Hamlet lebt, ist das unglaubwürdig. Wir wissen, dass Thomas für Covent Garden ein Finale geschrieben hat, in dem Hamlet stirbt. Aber das ist so kurz, dass man kein Gefühl dafür bekommt, was passiert. Daher kombinieren wir das. Aber er stirbt. Es ist so eine dunkle Geschichte, das geht gar nicht anders!“

Dunkel wird auch die Inszenierung von Olivier Py. Minkowski verspricht starke Bilder, sehr klar, eng an der Musik orientiert, sehr nahe an der Atmosphäre Shakespeares.

„Fliegender Holländer“ im Konzerthaus

Mehr will er noch nicht verraten. Kommende Pläne schon: Nach Wien kehrt er in der nächsten Saison mit einigen Projekten zurück. Sogar mit Wagner. Im Konzerthaus wird am 1.Juni 2013 der „Fliegende Holländer“ zu hören sein, kombiniert mit „Le vaisseau fantôme“, „Das Geisterschiff“ des Franzosen Pierre-Louis Dietsch. Die Oper basiert auf einer Prosaskizze Wagners zum „Holländer“, die ihm, als er Geld brauchte, vom Direktor der Pariser Oper abgekauft und dann Dietsch als Vorlage übergeben wurde. Wagner unter Minkowski erklingt auch im Theater an der Wien am 5.Jänner: das Programm, das Wagner selbst einst hier geleitet hat, mit Ausschnitten aus seinen Opern.

Besonders freut sich Minkowski auf sein erstes Dirigat der Wiener Philharmoniker im Konzerthaus. Ein österreichisch-französisches Programm wird zu hören sein, mit Glucks „Don Juan“, Haydns „La Reine“ und Beethovens „Eroica“. In Paris gibt es dann konzertant „Hoffmanns Erzählungen“ mit Natalie Dessay in allen drei Frauenrollen. Auch mit der Wiener Staatsoper ist er im Gespräch. „Ich bin froh, dass die Intendanten Roland Geyer und Dominique Meyer mir erlauben, in beiden Häusern zu spielen. Wir suchen auch das richtige Repertoire aus, damit es nicht zu viel Konfusion gibt!“

Am 23., 26., 28. und 30.April und am 2. und 5.Mai. Info: www.theater-wien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2012)

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