Nach Puccinis La fanciulla del West wartet die Wiener Staatsoper gleich mit einer weiteren Rarität der italienischen Opernliteratur auf, doch ist für Kontrast gesorgt. Hier Eifersuchtsgeschichte im Wilden Westen samt Happy End im Sonnenuntergang, da ein abstruses Familiendrama, Freiheitskampf und ein kurzes Massaker, das dreieinhalb Stunden Verdi beendet – und an diesem Abend für einige auch gefühlt mehr.

Loading image...
Igor Golovatenko (Guido di Montforte)
© Stephan Brückler

Wie so oft geht es bei Verdi um eine Eltern-Kind-Beziehung, im Fall von I vespri siciliani um Monforte, einen französischen Besatzer im Sizilien des Jahres 1282. Er erfährt im dritten von fünf Akten per Brief, Vater eines unehelichen Sohns zu sein. Zusätzlich enthält der Brief die Aufforderung, den Sohn doch bitte nicht dem Henker auszuliefern – was davor schon durchaus hätte passieren können, denn die sizilianische Kindsmutter und Verfasserin des Briefs ist auf Monforte nicht gut zu sprechen, der Sohn Arrigo daher Revolutionär und ab Kenntnis seiner Herkunftsgeschichte in der Zwickmühle: Die von ihm geliebte Elena ist die Schwester eines von den Franzosen Hingerichteten und daher ebenfalls auf „Ausländer raus“-Kurs, er nun Halb-Franzose. Mit den Hochzeitsglocken für die Arrigo und Elena läutet der Umstürzler Procida eine blutige Revolte ein.

Was Eugène Scribe für dieses Libretto eingefallen ist, ist streckenweise genauso fragwürdig wie die Idee, den Franzosen zur Feier der ersten Pariser Weltausstellung 1855 ihren historischen Rausschmiss aus Sizilien unter die Nase zu reiben. Tatsächlich war das Textbuch eine Notlösung, da Scribe das geplante neue Libretto nicht rechtzeitig liefern konnte und daher seinen Duc d’Albe aus 1838 von Flandern nach Sizilien versetzte. Der Erfolg der Uraufführung war nicht nachhaltig, und Les Vêpres siciliennes verschwanden bald in den Archiven.

Auf der Habenseite des Werks steht die Qualität der Musik, die durch feinsinnige Instrumentierung besticht. Verdi komponierte sie nach seiner „trilogia popolare“ (also Rigoletto, Il trovatore und La traviata), doch wirkt sie trotz ihres Anspruchs als Grand opéra à la Meyerbeer jünger, geht eher in Richtung Nabucco als einen Ausblick auf etwa Don Carlo zu geben (mit dem sich die Vespri den französischen Ursprung teilen).

Loading image...
Rachel Willis-Sørensen (Herzogin Elena) und Erwin Schrott (Giovanni da Procida)
© Stephan Brückler

Die Stimmen lässt Verdi oft unisono mit einem Soloinstrument konzertieren, oder hebt sie bei Spitzentönen und Phrasenhöhepunkten auf ein Podest aus Orchesterklang. Das ist faszinierend und wunderschön, bedeutet aber auch, dass man erstklassige Sänger sowie einen Dirigenten braucht, damit diese Zuspitzungen auch wirklich gelingen. Kapellmeisterisch kann man Carlo Rizzi, der mit der bereits erwähnten Fanciulla-Serie sein erfolgreiches Hausdebüt gegeben hat, nichts vorwerfen; die erwähnten Tricks gelangen, doch wollte der Funke nicht so recht überspringen, und auch das Staatsopernorchester hat man zuletzt wesentlich klangschöner erlebt.

Von der Sängerriege ist zu berichten, dass Igor Golovatenko als Monforte nicht nur Verdis Melodien, sondern auch die Zerrissenheit zwischen Politik und Vaterpflicht ansprechend gestaltete. Wenig Spielraum für Gestaltung hatte dagegen Belcanto-Spezialist John Osborn als Arrigo, der nicht jene Souveränität an den Tag legte, mit der er sonst bei Donizetti und Rossini brilliert. Allerdings ist die Partie des Arrigo eine Nummer größer und Verdi hat ihm nicht gerade die dankbarsten Aufgaben gegeben.

Loading image...
John Osborn (Arrigo) und Rachel Willis-Sørensen (Herzogin Elena)
© Stephan Brückler

Erwin Schrott nahm man den Umstürzler Procida schon allein durch seine Bühnenpräsenz ab. Er durfte einen schicken Hut tragen, doch zauberte er daraus nicht die große Stimmen-Show, die sich seine zahlreichen Fans erwarteten, zudem schien „O tu, Palermo“ ein wenig breiter dirigiert als schmeichelhaft. Wortdeutlichkeit ist nicht Schrotts größte Stärke, und das umständlich-antike Italienisch, in welches das französische Original teils recht unmusikalisch übersetzt wurde, hilft niemandem und machte sich generell bei den Rezitativen und Chorszenen bemerkbar. Letztere gerieten trotzdem beeindruckend, und auch mit der Leistung von Rachel Willis-Sørensen war man zufrieden, da sie mit den großen Herausforderungen zwischen Attacke, pianissimo-Kultur und eingestreuter Koloratur gut zurechtkam. Italienisches Temperament kann sie nicht aufbieten, doch hat sie ein silbriges Timbre und eine solide Technik, da denkt man auch an Richard Strauss.

Willis-Sørensen vermittelte zumindest den Eindruck von Freude am Singen, und das ist in dieser nüchtern-monotonen Inszenierung aus 1998 geradezu ein Wunder. Die Bühne ist über den gesamten Abend mit einer hohen, steilen Treppe ins Nirgendwo quasi ausgefüllt und wird mit ein paar senkrechten Streben zum Gefängnis für Leute, die sich in Kostümen aus dem Risorgimento auf dieser Treppe abmühen. Wer mit einer musikalisch soliden Aufführung und etwas Degen-Gefuchtel zufrieden ist, kann einen netten Abend haben, alle anderen haben eine weitere Verdi-Oper kennengelernt oder auch nur eine Opernerfahrung mehr.

***11