Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Das Märchen vom modernen Mann

Opern-Kritik: Den Norske Opera Oslo – Frauenliebe und -leben – Herzog Blaubarts Burg – Eine Florentinische Tragödie

Das Märchen vom modernen Mann

(Oslo, 20.1.2024) Mit dieser so starken wie schönen Produktion steigt Den Norske Opera vollends in die Liga der wichtigsten mitteleuropäischen Opernhäuser auf. Und Tobias Kratzer, der designierte Intendant der Hamburgischen Staatsoper, offenbart im hohen Norden als Regisseur so einige Geheimnisse seiner Zukunftskonzepte für den deutschen Norden.

vonPeter Krause,

Wird vieles besser oder nur manches anders, wenn Tobias Kratzer zur Saison 2025/26 die Intendanz der Hamburgischen Staatsoper übernimmt? Seit ihn seine Bayreuther Inszenierung des „Tannhäuser“ in die Riege der gefragtesten, ja, auch mit einigem Hype umwehten Namen im Regiefach emportrug, sind die Erwartungen riesig, dass der Landshuter das Haus an der Dammtorstraße alsbald aus dem Schlaf der gediegenen großstädtischen Mittelmäßigkeit herausführt und in jenes internationale Gespräch der Opernszene zurückführt, dass es zu Zeiten des legendären Rolf Liebermann einst und zuletzt in jenen von Peter Ruzicka in den 1990er Jahren noch einmal war. Natürlich lässt sich seit Kratzers Berufung an die Alster jede Neuinszenierung des Erfolgsverwöhnten nun mit gesteigerter Neugierde des „Weißt Du, wie das wird“ betrachten.

Szenenbild aus „Frauenliebe- und leben“
Szenenbild aus „Frauenliebe- und leben“

Eine wirklich neue Opern-Trilogie

Seine erste Regiearbeit in Oslo aber, die nun in dem – ähnlich der Hamburger Elbphilharmonie zum Signet der Hafenmetropole gewordenen – immer noch neuen, architektonisch spektakulären Opernhaus zu bewundern war, bietet beim Rätselraten den echten Mehrwert erster Antworten. Denn Kratzer inszeniert hier eben nicht einfach ein Werk des klassischen Kanons mit dem geschärften Blick des Regietheaters, er entwickelt eine echte neue Haltung gegenüber drei Einzelwerken verschiedener Komponisten, wenn er Schumann, Bartók und Zemlinsky in mutiger Konsequenz aufeinander bezieht. Sein Thema an diesem Abend: Er fragt nach dem Geschlechterverhältnis zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Robert Schumann in seinem Liederjahr 1840 erfolgreich den Kampf bestanden hatte, seine geliebte Clara Wieck heiraten zu dürfen und in „Frauenliebe – und leben“ gerade auch der weiblichen Last der Lust und Sehnsucht Ausdruck verlieh; springt dann in die Entstehungszeit des krimikonzisen Einakters „Herzog Blaubarts Burg“ von Bartók im psychoanalytisch freudianischen Geist um den Ersten Weltkrieg, als alte Ordnungen in Gesellschaft und Partnerschaft aufgebrochen wurden; und landet schließlich mit Zemlinskys „Eine Florentinische Tragödie“, deren Vorlage Oscar Wilde in einem Eifersuchtsdreieck der Renaissance aufspürte, gar verblüffend in der Gegenwart, in der das Märchen vom modernen Mann womöglich vom Traum zur gelebten Wirklichkeit wird – oder doch nicht?

Szenenbild aus „Frauenliebe- und leben“
Szenenbild aus „Frauenliebe- und leben“

Feministisches Feuergefecht gegen toxische Männlichkeit

Die Geschlechterstereotypen haben es in sich. Rollenmodelle von einst scheinen gleich den Traumata unserer kriegsgeschädigten (Groß)väter genetisch immer noch in uns zu schlummern. Das feministische Feuergefecht gegen die toxische Männlichkeit hat nun mal seinen Grund und seine tiefsitzende Basis. Emanzipation und Gleichberechtigung sind noch lange nicht abgehakt. Die neue Geschichte, die Tobias Kratzer mit seinem erprobten kongenialen Team Rainer Sellmaier (Ausstattung) und Manuel Braun (Video) entwickelt hat, beginnt in einer pompösen Villa des 19. Jahrhundert, die Clara und Robert Schumann so oder ähnlich zwar nie ihr Eigen nannten, die aber trefflich für die Biedermeier-Bürgerlichkeit des bequemen Lebens steht, das Frauen, bei ökonomischer Absicherung ihres Lebens, ihren Ehemännern bereiteten.

Szenenbild aus „Herzog Blaubarts Burg“
Szenenbild aus „Herzog Blaubarts Burg“

Von der Last der Lust

Hier singt eine junge Frau (Ingeborg Gillebo mit warmer liedhafter Lyrik) am heimischen Steinway, an dem Pianist Håvard Gimse sie einfühlend zart begleitet, den Zyklus „Frauenliebe- und Leben“ vor den Gästen, die der (hier noch stumme) Hausherr (Heldenbariton John Lundgren) zur edlen Abendgesellschaft eines musikalischen Salons geladen hat. Ihr weibliches Sehnen wird alsbald erfüllt. Er flüstert ihr ins Ohr, dass sie die Seine werde, und reicht ihr den Ring, den sie nun in den Gedichtzeilen des Adelbert von Chamisso rühmt. Neun Monate später erfüllt sie die Erwartungen des Gatten – und gebiert ein Kind. Bis hierhin bleibt Kratzer – bei köstlicher komischer (Über-)Zeichnung – noch nah am Text. Der Regisseur lässt die Frau nun freilich ein ums andere Mal schwanger werden: acht Töchter schenkt sie dem sichtlich unzufriedenen Erzeuger, der sich endlich einen Stammhalter wünscht. Doch als die Amme das neunte Baby dem Unterleib der Mutter entnimmt, ist es eine Totgeburt. Die Zahl der Kinder entspricht zwar jener der Ehe von Clara und Robert Schumann (und zudem den acht Schwestern, mit denen Richard Wagner die Lieblingstochter Wotans aufwachsen lässt), ansonsten nutzt der Regisseur die Möglichkeit nicht, die frühemanzipierten Anteile der Beziehung des Komponisten Robert zur Klaviervirtuosin Clara Schumann, die der stetig wachsenden Familie durch ihre Auftritte als Solistin weitgehend die ökonomische Basis lieferte und sicherte, mitschwingen zu lassen. Und dem Text entgegen lässt der Regisseur am Ende nicht den Mann sterben, sondern die von ihren Geburten erschöpfte Frau. Die hingebungsvolle romantische Erlöserin des in sich gefangenen Mannes soll diese Namenlose bei Kratzer nicht mehr sein, er macht sie zum Opfer männlicher Macht. Die Klammer zum attacca folgenden „Blaubart“ – und all dessen weiblichen Leichen im Keller – ist damit geöffnet.  

Szenenbild aus „Herzog Blaubarts Burg“
Szenenbild aus „Herzog Blaubarts Burg“

Die Dialektik der erotischen Aufklärung

Edvard Gardner, der neue britische Musikchef der Norske Opera in Oslo, setzt hier auf ein hintergründig ausgehörtes, fein gesponnenes, nie zu früh auftrumpfendes Spiel des exquisiten Opernorchesters. Judith (die ungarische Mezzosopranistin Dorottya Lang demonstriert, wie glaubwürdig sie vom lyrischen ins dramatische Fach hineingewachsen ist) lauscht zunächst noch den imaginären Tönen, die dem Flügel zu entströmen scheinen und von den dunklen Geschichten dieses Hauses (das nun, äußerlich gleich, Zeichen des Art déco trägt) und seines Bewohners zu berichten scheinen. Sie findet das Tagebuch, in das die einstige Hausherrin ihre Seele ausschüttete (deren Leichenzug aus Teil 1 zieht noch einmal surreal durch die Szene), und sie will, schon ganz eine Frau der Moderne, wissen, wer denn dieser Typ ist, auf den sie bereit ist, sich in Liebesdingen einzulassen. Sie will Aufklärung – und erfährt deren Dialektik als bittersüße Gewinn- und Verlustrechnung. Denn vom brutalen Sex Blaubarts mit einer ihrer Vorgängerin per VHS-Kassette zu erfahren, dürfte kaum ihre Intention gewesen sein, als sie immer wieder das Öffnen weiterer Türen in seinem Schloss einfordert. Über Etappen einer Zeitreise nähert sich die Inszenierung der Gegenwart. Das allzu männliche Verschieben von Grenzen im Sinne des amerikanischen Mythos der „New Frontier“ zeigt die Episode der Mondlandung, die Blaubart mit Judith und Gästen im Fernseher verfolgt.

Szenenbild aus „Herzog Blaubarts Burg“
Szenenbild aus „Herzog Blaubarts Burg“

Zeitreise ins Heute

Vollends im Heute landen wir nach der Pause in Zemlinskys „Eine Florentinische Tragödie“. Das Bücherregal des Palais ist nun einem Einbauschrank des Schlafzimmers schwedischer Bauart des Eigentümers Simones gewichen, in dessen Bett mit Topper ihn seine Frau Bianca (noch ein Mezzo mit großem Potenzial: Tone Kummervold) mit Guido Bardi (Bella Figura-Tenor Rodrigo Porras Garulo) betrügt. Während Manuel Brauns witzige Videos vom empathischen, Kindererziehung und Potenz versöhnenden „neuen Mann“ das Geschehen des (für den Nebenbuhler am Ende) tödlichen Eifersuchtsdramas konterkarieren, bleibt Kratzer just in Teil 3 des Abends szenisch zurückhaltend, zeigt den schwach werdenden alternden Ehemann, dessen lüsterne junge Frau und den mit Coolness präpotenten Latin Lover mit dunkler Sonnenbrille. Die Entmachtung des mächtigen Mannes schreitet voran. Das neue Austarieren zwischen schönem und starkem Geschlecht – das Klischee der Geschlechter wird hier noch einmal bemüht – steht am Ende nicht als Ergebnis, wohl eher als Aufgabe im Raum, dem Fluch der Stereotypen zu entkommen. Edvard Gardner dreht nun mit seinem Orchester hingegen in feinnerviger Luxus-Nervosität auf. Und – solche Abende dürfen wir demnächst auch für die Hamburgische Staatsoper erhoffen – Den Norske Opera in der norwegischen Hauptstadt steigt mit dieser, pardon, so starken wie schönen Produktion vollends in die Liga der wichtigsten mitteleuropäischen Opernhäuser auf. Denn hier treffen dramaturgischer Mut, eine klare zeitgenössische Verortung und Haltung auf die nötige Exzellenz in allen Gewerken.

Szenenbild aus „Eine Florentinische Tragödie“
Szenenbild aus „Eine Florentinische Tragödie“

Den Norske Opera Oslo
Schumann: Frauenliebe und –leben / Bartók: Herzog Blaubarts Burg / Zemlinsky: Eine Florentinische Tragödie

Edward Gardner (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Ausstattung), Michael Bauer (Licht), Manuel Braun (Video), Ingeborg Gillebo, Håvard Gimse, John Lundgren, Dorottya Lang, Eline Øverby, Liv Rørmark. Maja Evenshaug Christiansen, Begoña Puentes, Rodrigo Porras Garulo, Tone Kummervold, Kinderchor, Opernorchester

Auch interessant

Rezensionen

  • 2018 gab Rubén Dubrovsky sein Debüt am Gärtnerplatztheater München
    Interview Rubén Dubrovsky

    „Es geht um die Wurzeln der Musik“

    Rubén Dubrovsky, Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters, geht musikalischen Dingen gerne auf den Grund und kommt dabei zu manch verblüffender Erkenntnis.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!